Martin Suter knöpft sich in seinem Thriller „Elefant“ die Gentechnik vor, allerdings gerät sein rosarotes Elefäntchen ein bisschen zu niedlich für den harten Stoff.

Stuttgart - Wie die meisten Romane von Martin Suter wird auch in diesem „Elefant“ eine schwierige Materie allgemein verständlich, streckenweise sogar spannend erzählt. Wer nicht gleich durchblickt, was „mikrozephaler osteodysplastischer primordialer Zwergwuchs“ vom Typ II ist oder wie die Blastozytentransplantation bei Elefantenleihmüttern abläuft, muss sich an die Nachbemerkung halten. Suter dankt darin Koryphäen für klinische Gehirnforschung, Gentechnik und Elefantenmedizin für geduldige Erläuterungen und den Verkäufern des Straßenmagazins Surprise für wertvolle „Einblicke in die Welt der Randständigen und Obdachlosen“. Keine Frage, dieser „Elefant“ ist sauber recherchiert. Aber als Wissenschaftsthriller und Meditation über Evolution und Schöpfung wohl doch eher eine Mücke.

 

Nach „Montecristo“, seinem brandaktuellen Roman aus der Welt der Hochfinanz, wagt sich Suter diesmal also an eine Geschichte über Möglichkeiten und Machenschaften moderner Gentechnik. Formal kann sie getrost als Märchen oder Heiligenlegende bezeichnen. Inhaltlich geht es um einen Elefanten, der den Laboren skrupelloser Genforscher entkommen ist. Genauer: um ein kaum vierzig Zentimeter großes „Schoßelefäntchen“, rosarot wie ein Marzipanschweinchen, süß wie ein Knuddeltier. Für die Wissenschaft ist Sabu ein Versuchtstier, für die Gentechnikfirma ein Spekulationsobjekt, für den Obdachlosen Schoch aber ein Glücksfall: Lebensretter, Erzieher, spiritueller Lehrer. Als Alkoholiker hält Schoch den leuchtenden Minielefanten zunächst für eine Halluzination (im Englischen entsprechen pink elephants unseren weißen Mäusen), und tatsächlich ist Sabu ja auch so etwas wie ein „Wesen von einem anderen Stern“. Elefanten sind edle Tiere voller Würde und Weisheit, und das gilt ganz besonders für den niedlichen Winzling: „Ein heiliger Schein ging von ihm aus. Kaung kniete nieder und betete“.

Obdachloser Investmentbanker

Schon bald sind alle hinter dem heiligen Elefäntchen her: Dr. Roux, der Doktor Frankenstein der Gentechnik, seine dubiosen Hintermänner aus China, Zirkusdirektor Pellegrini. Auf der Seite der Guten kämpfen: Schoch (übrigens kein gewöhnlicher Obdachloser, sondern ein ehemaliger Investmentbanker, der dank Sabu dem Alkohol abschwört und wieder in die Zivilisation zurückkehrt), eine attraktive Tierärztin sowie Kaung, der burmesische Elefantenpfleger aus dem Zirkus, wie so viele Dienerfiguren bei Suter ein hoch anständiger Migrant ohne Papiere. Die chinesischen Killer und wissenschaftlichen Tierquäler kriegen den heiligen Elefanten natürlich nicht, und wenn er nicht früh wie alle gentechnisch manipulierten Zwergelefanten gestorben wäre, lebte Sabu noch heute in Schochs Schlafhöhle oder, artgerechter, im Elefantencamp in Myanmar.

Man erfährt aus „Elefant“ einiges Wissenswertes über gentechnische Eingriffe in die Schöpfung: Tierversuche, bei denen Ratten, Mandrillaffen und Meerschweinchen markiert, mit dem Leuchtstoff Luziferin in fluoreszierende „glowing animals“ verwandelt und am Ende patentiert werden. Suter scheut auch vor unappetitlicheren Themen wie Darmspülung, Prostatamassage und „transrektaler Sonographie“ bei Elefanten nicht zurück und gewährt tiefe Einblicke in die Zürcher Obdachlosenszene mit ihren Ehrenkodizes und Hackordnungen, Wärmestuben und Heilsarmee-Suppen. Die Sprache ist schlicht und funktional, die Erzählstruktur mit über hundert Kleinstkapiteln und zahlreichen Vor- und Rückblenden leider nicht so ganz.

Gleichwohl bleibt „Elefant“ weit hinter Suter-Romanen wie „Die Zeit, die Zeit“ oder „Montecristo“ zurück: Der Plot bewegt sich auf den ausgetreten Bahnen einer Verfolgungsjagd, die Figuren sind eher grob geschnitzt, die Moral wird plakativ ausformuliert. „Jemand wollte ein Luxusspielzeug designen, und es ist ein empfindsames Wesen dabei herausgekommen“, sagt die Tierärztin. Man kann freilich auch sagen: Martin Suter wollte einen packenden Gentechnik-Thriller erschaffen, aber es ist leider nur ein leicht kitschiges Benjamin-Blümchen-Abenteuer herausgekommen.

Martin Suter: Elefant. Roman. Diogenes Verlag, Zürich, 352 Seiten, 24 Euro.