Nach der Reaktorkatastrophe will die Regierung schneller aus der Atomkraft aussteigen - doch Wind und Sonne sind unstete Stromlieferanten.
Stuttgart - Deutschlands Erfolge beim Ausbau erneuerbarer Energien können sich sehen lassen. 2010 trugen saubere Kraftwerke schon 16,8 Prozent zur Stromproduktion bei. Damit kommen die Ökostromer recht nahe an die Kernkraft heran, die 22,4 Prozent beisteuerte. In diesem Jahr wird der Atomstromanteil sinken, weil die Regierung nach der Katastrophe von Fukushima quasi über Nacht beschlossen hat, sieben alte Reaktoren abzuschalten, einige davon dauerhaft.
Dass künftig mehr Strom aus regenerativen Quellen kommen soll, war schon vor Fukushima erklärtes Ziel aller politischen Parteien. Doch das Reaktorunglück in Japan verleiht dem Umbau der Energiewirtschaft zusätzlichen Schub. Der Ersatz des wegfallenden Atomstroms durch fossile Kraftwerke kommt aus Klimaschutzgründen nur als Übergangslösung infrage. Selbst vorsichtige Schätzungen gehen davon aus, dass 2050 die Hälfte des Stroms aus regenerativen Quellen stammen könnte. Das Umweltbundesamt kam sogar zu dem Schluss, dass bis zur Mitte des Jahrhunderts 100 Prozent Ökostrom möglich sind. Dazu müssten aber alle Möglichkeiten zur Stromeinsparung genutzt werden.
Netzstabilität in Gefahr
Damit ist es nicht getan. Weil Wind und Sonne unstete Energiequellen sind, produzieren Ökokraftwerke nicht unbedingt dann den meisten Strom, wenn der Bedarf am höchsten ist. Das bereitet den Netzbetreibern Kopfzerbrechen. Fließt zu wenig grüner Strom, müssen konventionelle Kraftwerke die Lücke schließen. Die Reserven, die sie dafür vorhalten müssen, gehen zulasten des Wirkungsgrads. Übersteigt die Produktion der sauberen Kraftwerke den Bedarf, gerät die Netzstabilität in Gefahr oder Energie verpufft ungenutzt.
Um trotz des wachsenden Ökostromanteils eine verlässliche Versorgung zu garantieren, muss zweierlei passieren. Zum einen müssen neue Leitungen her, um etwa die geplanten gigantischen Offshorewindanlagen im Norden ans Netz anzubinden. Denn die größten Verbraucher sitzen im industriestarken Süddeutschland. Mindestens genauso wichtig sind aber leistungsfähige Stromspeicher. "Wir halten das für eine der zentralen Aufgaben beim Umbau des Energiesystems", sagt ein Sprecher der Eon-Tochter Climate & Renewables.
Akkus sind noch sehr teuer
Die Beratungsfirma Boston Consulting Group (BCG) prognostiziert in einer Studie gigantische Investitionen in Anlagen zur Stromspeicherung. Das globale Marktvolumen soll demnach von heute einer Milliarde Euro im Jahr auf jährlich mehr als zehn Milliarden Euro von 2020 an steigen. Bis 2030 ergebe sich ein Investitionsbedarf von 280 Milliarden Euro, schreiben die Autoren Cornelius Pieper und Holger Rubel. An dieser Schätzung halten sie auch nach dem Fukushima-Schock fest, der einen noch schnelleren Ausbau der Ökostromproduktion auslösen dürfte. Rubel: "Wir haben in unseren Szenarien bereits ein sehr starkes Wachstum der regenerativen Energien unterstellt. Es ist jedoch denkbar, dass wir eine zusätzliche Beschleunigung des Ausbaus erleben werden."
Es gibt viele Wege, elektrische Energie zu speichern. Am bekanntesten sind Batterien. Doch die sind nach Ansicht des Eon-Sprechers wegen ihrer geringen Speicherkapazität - Elektroautobauer können ein Lied davon singen - bislang für große Netze ungeeignet. Zudem sind Akkus heute noch sehr teuer. BCG sieht trotzdem Chancen für die Batterietechnik. "Mit Batterien lassen sich zum Beispiel die kurzfristigen Leistungsschwankungen eines kleinen Windkraftwerks direkt am Erzeugungsort ausgleichen", sagt Rubel. Solche dezentralen Speicher könnten die Netze entlasten.
Die größte praktische Bedeutung haben bis jetzt Pumpspeicherkraftwerke. Die leistungsstärkste Anlage dieser Art ist die Schluchseegruppe im Schwarzwald. Das Prinzip: Überschüssiger Strom treibt eine Pumpe, die Wasser in einen höher liegenden Stausee fördert. Wird Strom benötigt, stürzt das Wasser durch einen Stollen wieder zu Tal und treibt einen Generator an.
Das Potenzial für Pumpspeicher ist begrenzt
Doch hierzulande ist das Potenzial für Pumpspeicher begrenzt. "Die Gesamtleistung liegt aktuell bei rund sieben Gigawatt", sagt Niklas Hartmann vom Institut für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung der Universität Stuttgart. Rund zwei Gigawatt - das entspricht der Leistung von zwei großen Atomreaktoren - könnten nach Einschätzung des Wirtschaftsingenieurs durch neue Anlagen und die Optimierung bestehender Speicher dazukommen. Ein weiterer Ausbau dürfte an Konflikten mit dem Landschaftsschutz und dem Widerstand der Bevölkerung scheitern. Im dünn besiedelten Skandinavien sind die Bedingungen besser, doch zur Anbindung großer Speicherseen im Ausland müssten noch viel mehr neue und längere Leitungen gebaut werden. Aktuell kann das deutsche Stromnetz 0,04 Terawattstunden speichern. Das ist die Strommenge, die im Mittel in weniger als einer Stunde verbraucht wird - viel zu wenig, um die schwankende Erzeugung zusätzlicher Wind- oder Solarkraftwerke abzufedern.Derzeit keine andere Technologie in Sicht
Mehr Speicherkapazität verspricht eine Entwicklung des Zentrums für Sonnenenergie und Wasserstoff-Forschung (ZSW). In einer Halle der Stuttgarter Forschungseinrichtung wimmelt es von chromglänzenden Rohren, Kabeln und Messinstrumenten. Zwei Mitarbeiter laufen dazwischen herum und rufen sich Daten zu. Ulrich Zuberbühler deutet auf einen mit Metallplatten verkleideten Turm. "Das ist ein Reaktor, der aus Wasserstoff und Kohlendioxid Methan produziert", erläutert der Wissenschaftler. Auf ein Blatt Papier schreibt er die dazugehörige chemische Gleichung: 4H2 + CO2 R CH4 + 2H2O.
Diese Reaktion, bei der das sonst als Treibhausgas verteufelte CO2 eine zentrale Rolle spielt, könnte helfen, große Energiemengen auch für längere Zeit zu speichern. Methan (CH4) ist der Hauptbestandteil von Erdgas, für das bereits ein dichtes Leitungsnetz und große Lagerkapazitäten existieren. Die deutschen Erdgasreserven haben einen Energieinhalt von gut 200 Terawattstunden. Würde dieses Gas in Kraftwerken verstromt, könnte es den Elektrizitätsbedarf vieler Monate decken. Für die Umstellung auf 100 Prozent Ökostrom wären zusätzlich 20 Terawattstunden an Speicherkapazität erforderlich, schätzt das ZSW. Außer der Methansynthese sei derzeit keine andere Technologie in Sicht, mit der sich die geforderte Kapazität erreichen ließe.
Unendlicher Kreislauf
Am Anfang des ZSW-Konzepts steht eine Elektrolyseanlage, die überschüssigen Wind- oder Solarstrom nutzt, um Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff zu zerlegen. "Am einfachsten wäre es, Wasserstoff direkt als Speichermedium zu nutzen", sagt Zuberbühler. Dann wäre der Wirkungsgrad am höchsten: Drei Viertel der elektrischen Energie könnten in chemische Energie in Form von Wasserstoff überführt werden. Bei dessen Verbrennung in einem Heizkraftwerk oder einer Brennstoffzelle würde lediglich Wasser frei, das wieder elektrolytisch gespalten werden könnte.
Ein unendlicher Kreislauf - der aber einen Haken hat: die nötige Infrastruktur fehlt. Und angesichts der noch geringen Verbreitung des Energieträgers Wasserstoff ist kaum zu erwarten, dass auf einen Schlag viele Milliarden Euro in den Ausbau der Wasserstoffwirtschaft fließen. Hier kommt Zuberbühlers Methanreaktor ins Spiel, mit dem man elegant auf vorhandene Gasspeicher zurückgreifen könnte. Eine Methan-Versuchsanlage des ZSW ist schon seit November 2009 im Testeinsatz. In Morbach im Hunsrück wurde diese Woche eine weitere Pilotanlage eingeweiht. Betreiber ist die Stuttgarter Solar Fuel GmbH, die sich der Produktion synthetischen Erdgases aus Ökostrom verschrieben hat. Die Technik stammt vom ZSW und dem Fraunhofer-Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik.
Keine Speichertechnik kann alle Probleme lösen
Eon beurteilt die Chancen der Methanproduktion aus Ökostrom zurückhaltend: "Das Potenzial ist schwer abzuschätzen" Klar ist: wenn aus Strom produziertes synthetisches Erdgas wieder zur Stromerzeugung eingesetzt wird, sinkt der elektrische Wirkungsgrad. Von 100 Kilowattstunden Strom blieben am Ende im besten Fall 36 Kilowattstunden übrig, rechnet Zuberbühler vor. Das ist weniger als halb so viel wie etwa bei einem Pumpspeicherkraftwerk. Die Experten von Boston Consulting halten es daher für sinnvoller, das Öko-Erdgas ohne weitere Umwandlungsverluste direkt als CO2-neutralen Brennstoff zu nutzen.
Für BCG-Partner Rubel ist klar, dass es nicht die eine Speichertechnik gibt, die alle Probleme lösen wird: "Wir brauchen einen Mix aus verschiedenen Technologien." Massiv steigende Strompreise erwartet er trotz des milliardenteuren Ausbaus von Netzen und Speichern nicht. Kurzfristig seien zwar hohe Investitionen nötig, doch diesen stünden langfristig niedrigere variable Kosten gegenüber. Wind- oder Solarkraftwerke brauchen weder Brennstoffe noch Emissionszertifikate. Zudem entstehen keine Kosten für die Entsorgung von Atommüll. "Die sind in den heutigen Strompreisen gar nicht mit eingerechnet", sagt Rubel.
Technik und Kosten
Kraftwerke: Bei den regenerativen Energien können nur Wasser-, Biomasse- oder Geothermiekraftwerke konstant Strom liefern. Sie eignen sich daher auch zur Deckung der Grundlast. Wind- und Solarstrom fallen unregelmäßig an und benötigen zusätzliche Speicher.
Pumpspeicher: Diese Art von Wasserkraftwerken wird schon lange zur Abfederung von Verbrauchsspitzen eingesetzt. Vorteile sind der hohe Wirkungsgrad und niedrige Speicherkosten von 3 bis 5 Cent je Kilowattstunde (kWh).
Druckluftspeicher: Elektrisch betriebene Kompressoren pressen Luft in unterirdische Kavernen – etwa Salzstöcke. Die Druckluft treibt bei Bedarf einen Generator an. Weil sich Luft beim Verdichten erhitzt, geht ein Teil der Energie als Wärme verloren. Weltweit gibt es erst zwei solche Anlagen. RWE plant einen Druckluftspeicher mit Abwärmenutzung, der einen Wirkungsgrad von 70 Prozent haben soll. Interessant sind Druckluftspeicher nur zur stundenweisen Speicherung. Die Langzeitspeicherung ist mit 22 bis 38 Cent/kWh sehr teuer.
Chemische Speicher: Wasserstoff oder daraus hergestelltes Methan eigenen sich besonders für die längerfristige Energiespeicherung und damit auch für den Ausgleich jahreszeitlicher Schwankungen. Kosten: 8 bis 24 Cent/kWh
Batterien: Akkus lassen sich stationär oder in Elektroautos nutzen. Vorteil: hoher Wirkungsgrad. Nachteile: geringe Energiedichte, hohe Speicherkosten (8 bis 30 Cent/kWh).