In einer Art Mustersiedlung testet der Versorger EnBW in der Region Stuttgart die Wirkung der Elektromobilität auf das Stromnetz. Denn es droht eine Überlastung, wenn E-Autos massentauglich würden.

Stuttgart - In der kurzen Sackgasse im Stuttgarter Speckgürtel surren die Elektroautos über den Asphalt. Die proppere Wohnsiedlung in Ostfildern ist ein Vorzeigebeispiel für die Mobilität von Morgen. Vor zehn der 22 gepflegten Häuser parkt ein E-Wagen. Die Palette reicht von gefragten Modellen wie Renault Zoe und e-Golf über den futuristischen BMW i3 bis zum luxuriöser Tesla S. Der Schreck der deutschen Autobauer wird reihum gefahren.

 

Die schöne neue Welt hat einen Haken: Sie ist nur ein Versuch, der einen kleinen Blick in die Zukunft eröffnen soll. Mit ihm will die Energie Baden-Württemberg (EnBW) in ihrer „E-Mobility-Allee“ in der Belchenstraße im Stadtteil Ruit ergründet haben, wie sie mit ihren Stromnetzen den prognostizierten Ansturm der E-Mobile bewältigen kann. Glühen die Drähte, kommt es zu Bedarfsspitzen und gefürchteten Ausfällen, die sich im Netz fortpflanzen? Oder rollt mit den vierrädrigen Großverbrauchern eine risikofreie und lukrative Kundschaft auf die Energiekonzerne zu?

Sehen Sie im Video: Warum E-Autos Arbeitsplätze in der Region gefährden könnten.

E-Mobilität soll bei Pendlern beginnen

Die Siedlung aus dem Ende der 80er-Jahre im Landkreis Esslingen hat die EnBW ausgewählt, weil sie dem Wohntypus entspricht, den die Auguren als für die E-Mobilität prädestiniert ansehen – und weil es in diesem Gebiet am Übergang zu den Feldern nur einen Stromkreis gibt. Hier wohnen Pendler. „Die meisten fahren 30 bis 40 Kilometer zur Arbeit, also wäre ein Elektroauto aus ökonomischen Gründen interessant“, sagt EnBW-Projektleiterin Selma Lossau. „Wir erwarten, dass wir bis in fünf Jahren solche Fälle wie in der Belchenstraße in unserem Versorgungsgebiet haben werden“, so die promovierte Wirtschaftsingenieurin.

Die Versuchsfamilien sind von den Fahrleistungen und Praxiseigenschaften der E-Mobile durchaus angetan, zwei hatten schon solche Wagen Probe gefahren. Beim Preis kommt zum Beispiel Norbert Frank (47) allerdings ins Grübeln. „Bei 12 000 Euro Differenz zum Verbrenner muss man erst mal eine Motivation für sich finden“, sagt der Mediaplaner – und stöpselt seinen E-Golf ein. Für die Strecke ins Büro müsse der Wagen alle zwei Tage an die Wallbox. Das ist die schuhschachtelgroße Ladestation, die die EnBW in die Garagen geschraubt hat. Bevor sich Frank ein E-Auto kauft, will er sich mit dessen Umweltverträglichkeit beschäftigen.

70 Prozent werden zu Hause laden

Auch für Norbert Simianer steht aktuell kein Neukauf an. Der 70-jährige frühere Realschulrektor fährt einen Hybrid. Der Zoe „zischt ganz schön ab“, sagt er, es sei ein „angenehmes Fahren“. Inzwischen schaue er auch nicht mehr auf die Verbrauchsanzeige, 280 Kilometer seien bei vollen Batterien möglich. „Die Leitungen können natürlich ein Problem sein, wenn man das nicht austestet“, sagt Simianer.

Eine Studie zur nationalen E-Mobilität prognostiziert, dass 60 bis 70 Prozent der E-Autokäufer zu Hause laden werden. Das wäre wirtschaftlich. An der eigenen Steckdose wird pro Kilowattstunde (kWh) bezahlt. An den öffentlichen Ladestationen dagegen wird nicht Strommenge, sondern Zeit berechnet. Das kann zu happigen Preisen führen.

Auch ein Durchlauferhitzer braucht 20 kW

Die EnBW-Säulen in Stuttgart liefern „bis zu“ 22 Kilowatt (kW), manchmal aber fließt weniger. Dann kann eine Kilowattstunde 50 Cent kosten. Die Ladeleistung sei nicht abhängig von der Netzbeanspruchung, betont die EnBW. Der Konzern liegt nach einer Marktübersicht mit seinen Preisen im Mittelfeld.

In der Mobility-Allee wurden Wallboxen verbaut, die bis zu 22 Kilowatt pro Stunde zur Verfügung stellen. Zum Vergleich: Ein Durchlauferhitzer nimmt an die 20 Kilowatt auf – nur duscht kaum jemand über Stunden. Die vier Platten eines E-Herdes brauchen rund sieben.

Die politisch erwünschten Millionen Elektroautos kann man schwerlich allein an öffentlichen Stationen laden. Wenn aber in der Belchenstraße alle gleichzeitig einstöpselten, „dann würden hier die Sicherungen springen“, sagt Selma Lossau. Ein gefährlicher Dominoeffekt käme in Gang. Bisher hätten aber nur vier Anwohner gleichzeitig geladen. Beim Szenario der Bundesregierung, also einer Million E-Autos, würden von den 25 000 Ortsnetzstationen der EnBW 300 überlastet werden, so Lossau.

Netzausbau als teurer Königsweg

Um die Überlastung zu verhindern, könnten die Versorger das Netz ausbauen. „Das wäre der Königsweg“, sagt EnBW-Sprecher Hans-Jörg Groscurth – und die teuerste Lösung. Die Versorger erproben günstigere Nebenwege. Die Belchenstraße ist dazu ein ideales Testfeld. Ein Messgerät im Haushalt kann zum Beispiel die Spannung erkennen, den Stromfluss begrenzen. Dann flössen nur noch maximal 3,4 Kilowatt. Dann dauert es, bis die Traktionsbatterie eines i3 mit 33,2 Kilowattstunden gefüllt ist. Ganz zu schweigen von der 75-kWh-Batterie des Tesla.

Als zweite Option nennt Lossau, den Stromfluss vorab über eine Zeitsteuerung zu dämpfen. Variante drei wäre ein „Engpassmanagement“, das die Leistung intelligent verteilt. Es müsste erkennen, welches Auto voll geladen werden muss. Variante Nummer vier ist schon in Betrieb: Dazu hat die EnBW Norbert Simianer einen dezentralen Speicher in die Garage gedübelt, so groß wie ein Eisschrank. Er besteht aus gestapelten Batterien. Sie puffern Spitzen, werden bei Schwachlast gefüllt. So könne man Ressourcen schonen, sagt Groscurth. Traktionsbatterien, die mit den Jahren Kapazität eingebüßt haben, können als stationäre Speicher noch lange durchhalten. Auf Puffer setzt übrigens auch das Konsortium Porsche/Daimler/BMW/Ford, das an 150 Stellen in Europa bis 2020 Schnelllader mit 400 Kilowatt Ladeleistung aufbauen will.

Die Branche beobachtet genau

Gleich drei Universitäten – TU Dresden, RWTH Aachen und KIT Karlsruhe – patrouillieren in der E-Mobility-Allee. Die Branche blickt mit Hochspannung auf den Feldversuch. Zunächst wollte die EnBW die Autos im November wieder einsammeln, Ladegeräte ausbauen, Dübellöcher schließen. Inzwischen ist die Verlängerung in die kalte Jahreszeit spruchreif. Doch spätestens im Frühjahr 2019 kommt der Belchneweg wieder in der Gegenwart an.