Bis zu 39 000 Arbeitsplätze in der Autoindustrie sind bedroht, wenn die Umstellung auf E-Autos zu schnell kommt, heißt es in einer Studie. Die Branche ist alarmiert.

Stuttgart - Die neue Strukturstudie zur Zukunft der Automobilindustrie hat zu sehr unterschiedlichen Reaktionen von Seiten der Metallarbeitgeber und der Gewerkschaft IG Metall geführt. Der hiesige Verband der Metall- und Elektroindustrie (Südwestmetall) fordert „bessere gesetzliche und tarifliche Rahmenbedingungen und mehr Rückenwind von der Politik – statt zusätzlicher Belastungen der Betriebe“. Zudem ruft er den Tarifpartner – also die IG Metall – zur Mäßigung bei ihren Forderungen auf. „Die Unternehmen müssen in den nächsten Jahren in diesen Wandel noch mehr investieren als bisher. Dafür benötigen wir eine Tarifentwicklung, die ihnen den notwendigen finanziellen Spielraum lässt“, sagt Stefan Wolf, der Vorsitzende von Südwestmetall in Stuttgart. Dagegen mahnt die IG Metall an, dass die Beschäftigten „gerade in Zeiten des automobilen Wandels Sicherheit“ bräuchten. „Alle Beschäftigten müssen an Bord bleiben“, fordert Roman Zitzelsberger, Bezirksleiter der IG Metall Baden-Württemberg, als Reaktion auf die Studie.

 

Die Strukturstudie, die im Auftrag der Landesagentur E-Mobil BW erstellt wurde, sieht vom Wandel hin zur Elektromobilität in der Autoindustrie zwischen 18 500 und 39 000 der insgesamt 470 000 Arbeitsplätze gefährdet – je schneller sich Elektrofahrzeuge durchsetzen, desto mehr Stellen seien gefährdet. Beschäftigte des Autozulieferers Bosch haben vor dem Dieselwerk in Stuttgart-Feuerbach erst vor kurzem bei einer Protestaktion ihre Sorgen um die Zukunft ihrer Stellen zum Ausdruck gebracht. Denn die Wertschöpfungstiefe eines Elektroautos beträgt – im Vergleich zu einem Verbrennungsmotor – nur etwa ein Zehntel. Darauf wies Uwe Gackstatter, der Vorsitzende des Bereichsvorstands von Bosch Powertrain Solutions, hin. Er forderte von der Politik mehr Zeit für die Umstellung: „Wir können Strukturwandel, aber keinen Strukturbruch.“

Innovationen vorantreiben

Stefan Wolf erklärt nun mit Blick auf den Transformationsprozess: „Hier müssen alle Kräfte zusammenwirken, damit unsere Autoindustrie bei Innovationen weiterhin an der Spitze bleibt und die Jobs am Standort Baden-Württemberg zukunftssicher gemacht werden.“ Wolf, zugleich Vorstandschefs des Zulieferers Elring-Klinger, zeigt sich überzeugt: „Wenn wir die richtigen Rahmenbedingungen schaffen und unsere führende Innovationsrolle verteidigen, werden wir genauso vielen Menschen wie bisher Arbeit bieten können.“ Vor allem bei der beruflichen Qualifikation seien die Herausforderungen groß; Wolf nimmt in diesem Zusammenhang das Wort „Herkulesaufgabe“ in den Mund. Wegen der demografischen Entwicklung werden „einige betroffene Mitarbeiter bis dahin in Rente sein“, so Wolf. „Wenn wir aber den verbleibenden Beschäftigten eine Perspektive bieten wollen, und das wollen wir, müssen wir sie für andere Aufgaben qualifizieren.“

Er regte eine „Bildungs-Roadmap“ an. Sein Augenmerk gilt vor allem den Mittelständlern: „Sie müssen bei der Weiterbildung und der Organisationsentwicklung mit passgenauen Programmen unterstützt werden, sonst laufen sie Gefahr, überrollt zu werden.“ Als Vorbild sieht er die Qualifizierungsverbünde, bei denen sich Mittelständler zusammenschließen, um gemeinsam Mitarbeiter zu qualifizieren. Mitte des Jahres sollen solche Verbünde als Pilotprojekt starten. Bei Bosch heißt es, man biete den Mitarbeitern bereits umfassende Qualifizierungsprogramme an.

Sparprogramme der Unternehmen beunruhigt IG Metall

Mit Sorge reagiert Zitzelsberger auf die Ankündigung von Sparprogrammen in einigen Unternehmen. „Statt schwere Zeiten anzukündigen, müssen jetzt belastbare Personal- und Zukunftskonzepte auf den Tisch“, sagt der baden-württembergische IG Metall- Chef. Diese werde die IG Metall notfalls mit Protesten im ganzen Land einfordern“, droht Zitzelsberger. Die Transformation dürfe auf keinen Fall für eine neue Verlagerungswelle und Tarifflucht missbraucht werden. „Standorte entlang der automobilen Wertschöpfung brauchen jetzt verbindliche Transformationspläne für Investitionen, Produkte und Beschäftigung“, fügte er hinzu.

Um weiterhin führend zu sein, brauche die Branche „neue Technologien entlang der bestehenden Standorte“. Eine Zellfertigung sei unerlässlich. „Nur wer die Fertigung von Zellen und Batterien beherrscht, spielt ganz vorne mit.“ Das größte Hindernis dabei sieht er nicht etwa in der Technologie, „vielmehr muss die Blockadehaltung der Chefetagen überwunden werden“.