Die elektronische Festival-Landschaft im Südwesten boomt und zahlreiche ehrenamtlich organisierte Veranstaltungen finden in diesem Sommer statt. Warum liegt die alternative Feierkultur gerade so im Trend? Und wer steckt dahinter?

Stuttgart - Schon seit einigen Jahren nimmt die Dichte an Elektrofestivals im Südwesten kontinuierlich zu. Auch im Sommer 2018 können sich die Fans von elektronischer Musik auf einen prall gefüllten Veranstaltungskalender freuen. Neben den etablierten Szene-Veranstaltungen wie dem „Jungle Beat Festival“ (27. bis 29. Juli) im Hohenlohekreis, sind in jüngerer Vergangenheit einige neue elektronische Festivals dazu gekommen. Da wären zum Beispiel das „Fuchs & Hase“-Festival (22. bis 24. Juni) in Herrenberg, das in diesem Jahr zum zweiten Mal stattfindet, oder das „Connect!“-Festival (31. August bis 2. September) in der Nähe von Münsingen auf der Schwäbischen Alb.

 

Allerdings unterscheidet sich die Idee dieser Open-Air-Kultur in vielerlei Hinsicht von anderen Festivals. „Wir wollen keinen puren Eskapismus oder stupiden Konsum“, betont Kati Trinkner vom 2015 gegründeten Verein „connect! e.V.“. 2016 und 2017 hatte der gemeinnützige Zusammenschluss von Tanzbegeisterten ein Open Air in der Tübinger Wagenburg organisiert und wagt in diesem Jahr den Schritt zu einem Drei-Tages-Festival. Wie das funktioniert? Verschiedene Veranstaltergruppen, wie unter anderem der Verein Panopticum, der Kunst- und Kulturverein Hbg. e.V., die Albträumer e.V. oder „Waldtraut Lichter“, ein Zusammenschluss verschiedener Stuttgarter Kollektive, ziehen an einem Strang und bündeln ihre personellen wie kreativen Ressourcen.

„Utopien konstruieren“

Denn bei dem Festival soll es nicht ausschließlich um Musik gehen: Akrobaten, Installationen, Workshops und ein Atrium mit Theater- und Sprechkunstauftritten bieten ein buntes Rahmenprogramm und sollen die rund 2000 erwarteten Besucher zum Mitgestalten bewegen. Außerdem gibt es einen Campingbereich extra für Familien und Kinder. Das Festival soll ein „gemeinsames Miteinander propagieren“ und den Raum geben, um „neue Gesellschaftsformen zu erproben und Utopien zu konstruieren“, beschreibt Trinkner das Konzept.

Der offizielle Aftermovie des „Connect!“-Festivals vom vergangenen Jahr:

Die Macher vom „Jungle Beat Festival“ in Saurach (Landkreis Crailsheim) verfolgen ein ähnliches Credo. 2012 als Zusammenschluss von Freunden gestartet, ist das vom Verein Beat-Bus e.V. organisierte Festival ebenfalls vom eintägigen Open Air zur Wochenendveranstaltung mit 4000 Besuchern gewachsen. Da erscheint es fast logisch, dass sich die Organisatoren der beiden Festivals in planerischer Hinsicht austauschen und unterstützen. „Wir wollen kulturelles Gut und elektronische Tanzmusik kombinieren“, sagt Manuel Kochendörfer vom Organisationsteam. Die Veranstalter legen großen Wert darauf, dass hinter Begriffen wie Freiheit, Gemeinschaft und Nachhaltigkeit mehr als nur die üblichen Marketing-Phrasen stecken.

Werte und Musik vermischen

Neben der musikalischen Unterhaltung sind beim „Jungle Beat“ eine Podiumsdiskussion, gemeinsames Yoga und diverse Workshops geplant. Im vergangenen Jahr konnten Besucher beispielsweise mit DJ Dominik Eulberg in Kooperation mit dem Naturschutzbund auf Fledermaus-Exkursion gehen. Zudem setzt sich eine eigens geschaffene Projektgruppe im Vorfeld mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinander und die Tier- und Artenschutzorganisation „Pro Wildlife“ wird mit Spenden unterstützt. Auch der Bezug zur Region kommt beim „Jungle Beat Festival“ nicht zu kurz. Die Veranstalter verstehen sich als Werbebotschafter für die ländliche Gegend und alle Anwohner der umliegenden Ortschaften dürfen kostenlos auf das Gelände.

Das „Jungle Beat Festvial“ 2016 in einem Video zusammengefasst:

Die Szene im Osten und Berlin als Vorbild

Bei den Besuchern findet dieses Festival-Format sehr viel Zuspruch. Weder das „Jungle Beat“-, noch das „Connect!“-Festival können sich über mangelnde Nachfrage beklagen. Im Gegenteil: Der Kartenvorverkauf wird sehr gut angenommen. Aber warum kommt diese besondere Feierkultur genau jetzt so richtig ins Rollen? Viele Leute aus dem Süden würden schon sehr lange zu den Festivals der Szene in Ostdeutschland und um Berlin pilgern, berichtet Trinkner von „connect! e.V“. „Vielleicht ist jetzt das Selbstbewusstsein so weit gewachsen, selbst etwas auf die Beine zu stellen“, mutmaßt sie. Kochendörfer vom Verein Beat-Bus führt einen weiteren Faktor auf: „Die vielen neuen kleinen Festivals inspirieren und ermutigen andere es ihnen nachzumachen.“ Als Grund für die wachsenden Besucherzahlen nennt er die zunehmende Verbreitung und einfache Werbemöglichkeiten über die sozialen Medien.

Ganz ohne Kommerz – geht das?

Dabei fließen alle Einnahmen in den Verein und die Organisation des Festivals, genauso wie beim „Connect!“-Festival. „Non-Profit ist aber ein relativer Begriff“, betont Kochendörfer. Natürlich sei die Organisation an Fixkosten und Planungssicherheit gebunden, aber das Finanzielle stehe sicher nicht im Vordergrund. „Einige Leute bei uns hätten am liebsten gar keine Sponsoren, was aber nicht umsetzbar ist“, verrät Trinkner. Die komplette Selbstorganisation und Freiheit der Organisatoren birgt auch Risiken. „Bei der aktuellen Größe stößt das Prinzip ‚Ehrenamt’ manchmal an seine Grenzen und erfordert viel Fingerspitzengefühl um den reibungslosen Ablauf gewährleisten zu können“, sagt Kochendörfer.

Größer kann und soll das „Jungle Beat Festival“ deswegen nicht mehr werden. Auch die Zukunft des Festivals ist noch völlig ungewiss, da viele Helfer der ersten Stunde nicht mehr den zeitlichen Aufwand stemmen können und mittlerweile in anderen Bundesländern leben. In diesem Jahr aber wird in der schwäbischen Provinz noch getreu nach dem Motto „Spaß haben, tanzen und gleichzeitig eine politische Botschaft vermitteln“ gefeiert. Und das Festivalpublikum muss sich keine allzu großen Zukunftssorgen machen. 120 Kilometer weiter südlich steht mit dem „Connect!“ das nächste alternative Elektrofestival gerade erst in den Startlöchern.