Zig Tausende säumen am 24. Mai 1965 die Straßen, als die englische Königin das Schiller-Nationalmuseum und das Geburtshaus des Dichters besucht. Ein Film von damals zeigt Ausschnitte des Stopps in Marbach.

Es sind Momente, die einen ein Leben lang begleiten und jetzt wieder lebendig werden. Als die englische Königin am 24. Mai 1965 im Rahmen ihrer elftägigen Deutschlandreise die Schillerstadt besucht, steht Friedbert Sommer auf dem Balkon seines großelterlichen Hauses und wartet auf den königlichen Tross – wie zig Tausende, die an diesem Tag die Straßen Marbachs säumen. Doch nicht viele haben einen so guten Platz wie Sommer, denn das Haus der Familie in der Haffnerstraße 26 ist nur einen Steinwurf vom Schiller-Nationalmuseum entfernt, das die Queen besuchen wird.

 

Wochenlange Vorbereitungen

„Ich hatte mir extra für den Tag freigenommen“, erinnert sich Sommer. „Es war eine unglaubliche Stimmung und Atmosphäre.“ Und dann ist der große Moment da. In einem Mercedes-Cabrio fuhr die Queen an der Seite von Ministerpräsident Kurt Georg Kiesinger die Haffnerstraße hinauf. Friedbert Sommer winkt und winkt. Einen Blick der Königin kann der 21-Jährige nicht erhaschen, doch Prinz Philip, der im Auto dahinter sitzt, schaut zu dem jungen Marbacher hinauf. Ein Moment, den Sommer bis heute nicht vergessen hat.

Wochenlang war überlegt worden, wie der Besuch von Her Majesty ablaufen soll. Dass Elizabeth II. im Rahmen ihrer Deutschlandtour tatsächlich ins beschauliche Marbach kommen würde, stand seit Februar fest. Allerdings mutete die Nachricht zunächst als Faschingsscherz an. Die „Marbacher Zeitung“ schrieb damals, man wisse nicht, aus welchen Gründen die Stadt vom Protokoll aus eingeschaltet worden sei. Es sei aber auch nicht wesentlich. „Die Hauptsache ist, dass dieser Tag begangen wird und dass Jung und Alt, arm und reich, dass die Menschen aller Parteien und Richtungen von der Bedeutung dieser Stunde erfüllt sind.“

Legende über Pferdenärrin

Und erfüllt waren die Menschen, die von weit her in die Stadt gekommen waren. „Der Besuch der Queen war ein großer und wichtiger Tag für Marbach. Wann kommt schon ein König oder eine Königin in die Stadt?“, sagt Stadtarchiv-Mitarbeiterin Fenja Sommer. Die Unterlagen zum Besuch befinden sich im Staatsarchiv Stuttgart, in Marbach lagern Presseberichte und Fotos, unter anderem ein Fotoalbum aus dem Nachlass von Bürgermeister Hermann Zanker.

Und eine Publikation von Eugen Ross „And where are the horses? – Eine Königin besucht Marbach“. Denn im Zusammenhang mit ihrem Besuch in der Schillerstadt entstand eine Legende, die wohl Redakteure einer Berliner Boulevardzeitung ins Leben gesetzt hatten. Sie unterstellten der Queen, weniger an Literatur, sondern mehr an den Pferden des 75 Kilometer entfernten Gestüts Marbach interessiert gewesen zu sein. In ihrem Artikel legten sie ihr deshalb die berühmten Worte in den Mund: „Wh ere are the horses?“ – „Wo sind die Pferde?“

Amtskette muss angeschafft werden

Zurück nach Marbach. Insgesamt 45 Minuten sollte der Besuch von Königin Elizabeth II. dauern, 30 Minuten waren davon für den Besuch des Schiller-Nationalmuseums vorgesehen, zehn für Schillers Geburtshaus. Im Museum, der ersten Station, war extra eine neue Ausstellung eingerichtet worden, in der Wesentliches über Friedrich Schiller, sein Wesen und vor allem auch über den Einfluss Englands gezeigt wurde. Und nicht nur das. „Es wurde auch eine Toilette hergerichtet für die Queen, damit sie sich frisch machen kann“, erzählt Friedbert Sommer, der 40 Jahre lang Verwaltungsleiter der Deutschen Schillergesellschaft gewesen ist. „Und es musste eine Amtskette für den Bürgermeister angeschafft werden.“

Nach einem Gang durch die Ausstellung erfreute sich die Queen am Blick über den Neckar hinüber nach Benningen, bevor es im Cabrio dann durch die menschengesäumte Niklastorstraße in Richtung des Geburtshauses des Dichters ging. Interessiert habe die Königin Handschriften Schillers sowie das bescheidene Milieu und die Küche begutachtet, beschreibt die „Marbacher Zeitung“ den Aufenthalt in Schillers Geburtsstätte, mit dem der royale Besuch endete.

Verdeck muss wieder geöffnet werden

Im Schritttempo bewegte sich der Fahrzeugkonvoi durch die Niklastorstraße, die Marktstraße, die Güntterstraße und die Rielingshäuser Straße in Richtung Schwäbisch Hall – anders als vorgesehen weiter mit geöffnetem Autodach. Während des Geburtshaus-Besuches war es geschlossen worden, doch der Unmut der Menschen am Straßenrand, die die Queen sehen wollten, ließ es die Organisatoren wieder öffnen.

Film über den Besuch der Queen

Ein Film
Der gebürtige Marbacher Otto Thumm hat den royalen Besuch mit einer Doppelacht-Kamera festgehalten. Aufgenommen wurden die Szenen ohne Ton. Thumm hat den Film nachträglich bearbeiten und mit Ton hinterlegen lassen. Im vierminütigen Kurzfilm winkt Königin Elizabeth II. beispielsweise huldvoll den Neugierigen am Straßenrand zu.

Drei Kapitel
Unterteilt ist der Film in drei Szenen. Die erste zeigt die Königin im Auto mit dem damaligen Ministerpräsidenten Kurt Georg Kiesinger, im zweiten Wagen befindet sich Prinz Philip mit Kiesingers Gattin. Der zweite Teil des Films ist aus dem Obergeschoss einer Bäckerei gefilmt, während der dritte Teil Bürgermeister Hermann Zanker auf dem Weg zur Stadthalle zeigt.