Fast fünf Wochen lang harren Flüchtlinge jetzt schon in Ellwangen in Quarantäne aus. Zwischenzeitlich waren Hunderte mit dem Coronavirus infiziert. Angst vor der Krankheit und Einschränkungen im Alltag belasten die Bewohner zusehends.

Ellwangen - Jasar fürchtet um die Gesundheit seiner Frau Maryam. Sie lebt zusammen mit rund 500 weiteren Flüchtlingen in der Landeserstaufnahmeeinrichtung (LEA) Ellwangen. 79 davon sind positiv auf das Coronavirus getestet. „Ich habe solche Angst“, sagt der Afghane Jasar. „Vielleicht bekommt meine Frau auch Corona.“

 

Treffen kann er sie nicht: In dem Lager herrscht seit fast fünf Wochen Ausgangssperre, Kontakte mit der Außenwelt sind tabu. Als er sie zuletzt vor knapp zwei Wochen durch den Zaun sprechen wollte, sei er von Polizisten verscheucht worden, erzählt er. „Ich konnte ihr kein Gemüse oder Obst bringen“, sagt Jasar. Maryam, die auch aus Afghanistan kommt, brauche Vitamine. „Meine Frau ist schwanger“, sagt er. Acht Kilo habe sie in den vergangenen Wochen schon abgenommen.

Die Situation in der Unterkunft im Ostalbkreis belastet viele Bewohner. Als Anfang April nach ersten Corona-Fällen die Ausgangssperre verhängt wurde, schossen die Zahlen schnell in die Höhe: Nach zwei Wochen hatte sich die Hälfte der damals rund 600 Bewohner angesteckt. Zwischenzeitlich waren mehr als zwei Drittel infiziert. Jetzt scheint das Schlimmste überstanden. An diesem Sonntag soll die Ausgangssperre auslaufen.

Nur genesene Bewohner aus Ellwangen verlegt

Laut Regierungspräsidium Stuttgart wurden nur genesene Bewohner aus Ellwangen verlegt, also zunächst positiv und dann negativ Getestete. Wer durchgehend negativ getestet wurde, kam nicht raus – eine absurde Situation. „Man ist da so lange drin gefangen, bis man sich irgendwann angesteckt und dann hoffentlich erholt hat“, sagt Seán McGinley vom Flüchtlingsrat Baden-Württemberg. Jeder Kontakt zu einer möglicherweise infizierten Person löst die zweiwöchige Quarantäne von Neuem aus. Das entspricht zwar den Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts. Eine Quarantäne durchleben die meisten Menschen aber in den eigenen vier Wänden und nicht auf einem Gelände mit Hunderten Infizierten.

Die Bewohner hätten permanent Kontakt mit Verdachtspersonen, sagt McGinley. „Die befinden sich in einer Dauerschleife der Quarantäne.“ Jasar versteht es nicht: „Meine Frau wurde fünfmal getestet: immer negativ.“ Dabei könnte Maryam ganz einfach zu ihm: Er ist schon seit acht Jahren in Deutschland und lebt alleine in seiner Wohnung. Maryam kam aber erst vor kurzer Zeit nach und muss in der Unterkunft leben.

Ein 40-jähriger Nigerianer gehört zu einer Gruppe von genesenen Bewohnern, die in eine andere Unterkunft verlegt wurden. Angst und Wut habe er angesichts der Ausgangssperre in Ellwangen gespürt, sagt er. Er wisse zwar, dass sie es versucht hätten – die Verantwortlichen hätten die Situation aber nicht gut geregelt. „Sie hätten es verhindern können“, kritisiert er. Die Bewohner hätten viel zu viel Kontakt untereinander gehabt. Die Behörden bringen positiv und negativ Getestete eigenen Angaben zufolge getrennt unter. Hygienemaßnahmen wurden verschärft, etwa ein zusätzlicher Reinigungsdienst engagiert. Die negativ Getesteten schlafen aber teils zu fünft einem Zimmer. Toiletten teilen sie mit weit mehr.

Auch auf das Mitwirken der Bewohner angewiesen

Auf dem Außengelände und anfangs in der Kantine können sich die verschiedenen Gruppen nach Worten von Bewohnern und Aktivisten ohnehin begegnen. Und durch Umverlegungen würden Bewohner wieder neu zusammengewürfelt. „Kurzum: Es gibt keine Möglichkeit, die Vorschriften und Empfehlungen einzuhalten“, sagt McGinley. Das Abstandsgebot kann laut den Behörden nicht durchgesetzt werden, man sei auch auf das Mitwirken der Bewohner angewiesen. „Alle haben alles zusammen gemacht“, sagt der 40-jährige Nigerianer.

Eine 23-jährige Nigerianerin ist seit Januar in Ellwangen. Sie ist schwanger und lebt dort mit ihrem dreijährigen Sohn. Erst wurde sie positiv und ihr Kind negativ getestet, erzählt sie am Telefon. Beim nächsten Test war es umgekehrt. „Ich habe Angst um meine Kinder.“

Angst vor dem Virus hat ein 27-jähriger Nigerianer keine – er glaubt nicht, dass es existiert. Gerüchte und Verschwörungstheorien kursieren laut dem Flüchtlingsaktivisten Rex Osa bei so manchem Bewohner. Er macht dafür auch eine aus seiner Sicht mangelhafte Informationspolitik der Leitung mitverantwortlich. Es gibt zwar Aushänge, Dolmetscher und mehrsprachige Hinweisblätter für positiv Getestete. Das Regierungspräsidium räumt aber ein: „Durch die Dynamik der Lage lässt sich nicht ausschließen, dass sich die eine oder andere Person möglicherweise zunächst nicht vollumfänglich informiert gefühlt hat.“ Jetzt wurde eine interne Website entwickelt, auf der sich die Bewohner informieren können.

Die Anwesenheit der Bundeswehr sorgt für Druck

Für zusätzlichen Druck sorgt bei manchen Bewohnern die Anwesenheit der Bundeswehr. 35 Soldaten helfen etwa bei der Essensausgabe oder der medizinischen Betreuung. Sie sind laut Osa harsch im Ton, verhalten sich den Bewohnern gegenüber aber korrekt. Viele Bewohner kommen aber aus Ländern, in denen von Uniformierten Gefahr ausgeht.

Schwere Verläufe und Todesfälle gab es laut Regierungspräsidium nicht. Drei Menschen seien vorsorglich ins Krankenhaus gekommen. Ein großer Teil der Bewohner sind junge Männer – die nicht zur Corona-Risikogruppe gehören. Ellwangen ist zudem ein Einzelfall im Südwesten: In den anderen Erstaufnahmezentren des Landes gab es dem Innenministerium zufolge keine vergleichbaren Ausbrüche. 78 von 87 Infizierten leben in Ellwangen. Warum die Zahlen ausgerechnet dort so in die Höhe schnellten, können auch die Behörden schwer abschätzen. Ein Grund könnte sein, dass das Virus dort sehr früh auftrat und von Infizierten ohne Symptome verbreitet wurde.

Die Aktivisten kritisieren die Quarantäne in Massenunterkünften. Geflüchtete würden wie Menschen zweiter Klasse behandelt, sagt Rex Osa. McGinley sagt, die Menschen hätten in dieser erzwungenen Form des Wohnens viel weniger Möglichkeiten, sich vor Infektionen zu schützen. Die Rhetorik, die Pandemie sei eine monumentale gesamtgesellschaftliche Aufgabe, bei der alle an einem Strang ziehen müssten, gelte für sie nicht. Die Aktivisten fordern eine dezentrale Unterbringung. Das Innenministerium verweist darauf, seit März neue Kapazitäten geschaffen zu haben und so die Belegungsdichte in den Unterkünften auf 40 Prozent reduziert zu haben.