Warum ist die Situation so verhärtet?
Gomolzig Das ist der Spiegel einer gesamtgesellschaftlichen Entwicklung. Rücksicht, Toleranz und Gesprächskultur sind auf dem Rückzug. Ich hatte einmal eine aufgebrachte Mutter im Rektorat, die mit dem Zeigefinger auf mich einstupfte, immer wieder. Ich habe sie nach mehrfacher Aufforderung, den Raum zu verlassen, am Ellbogen aus dem Zimmer geschoben. Kurz darauf ging eine Anzeige bei der Staatsanwaltschaft gegen mich ein wegen Körperverletzung im Amt. Zum Glück hatte unsere Sekretärin die Szene beobachtet und konnte als Zeugin für mich aussagen. Das Verfahren wurde eingestellt. Aber der Vorfall hat mich schon geschockt.
Grix Bei den Elternbeiräten kommen etliche Mails von Eltern an, denen man anmerkt, dass sie mit sehr viel Wut im Bauch geschrieben wurden. Meist beruhigt sich die Lage aber dann doch wieder. So einen heftigen Fall haben wir noch nie mitbekommen. Das ist eine Ausnahme.
Nicht unbedingt, wie die Studie von der zunehmenden Gewalt gegen Lehrer zeigt.
Gomolzig Das Schlimme ist, dass viele Lehrer auch nichts sagen. Wir hatten gerade in Oberschwaben einen Fall, da wurde eine Lehrerin von einem Vater geohrfeigt. Der Kollegin wurde geraten, in die Offensive zu gehen, an die Presse und vor Gericht. Aber die Betroffene wollte nicht. Lehrer sehen es oft als ihr eigenes Versagen, wenn Elterngespräche in die Hose gehen. Auch das Cybermobbing gegen Lehrer hat zugenommen. Zigfach verbreitet werden von hinten gefilmte Clips, wie zum Beispiel einem Lehrer das Hemd aus der Hose rutscht.
Grix Es gibt Eltern, die darauf bestehen, dass das Handy in der Schule angeschaltet bleiben muss, weil das Kind erreichbar sein muss. In der Hausordnung der Schule kann aber die Handynutzung im Klassenzimmer ausgeschlossen werden.
Gomolzig Als Lehrer darf ich den Ranzen nicht kontrollieren. Es gibt Eltern, die ihre Kinder anhalten, den Unterricht mit dem Smartphone heimlich aufzuzeichnen. Um zu beweisen, dass der Lehrer nichts taugt.
Grix Das habe ich noch nicht erlebt. Die Hausordnung wird in der Schulkonferenz mit den Elternvertretern abgestimmt. Wir betonen dabei: Ihr müsst eurem Kind Regeln beibringen, das setzt voraus, dass ihr euch selbst auch an Regeln haltet.
Gomolzig Wir müssen das Thema Mediennutzung dringend verstärkt in den Unterricht einbauen. Schon Grundschüler filmen Schulhofschlägereien, und wenn sie entsprechend versiert sind, stellen sie die Videos ins Netz. Andererseits ist für Schulen der Datenschutz, etwa was Fotos von Schülern betrifft, streng geworden.
Grix Es gibt tatsächlich etliche, die nicht einmal ihren Namen in die Klassenliste eintragen wollen. Aber auf Facebook steht dann alles über sie.
Wie wirkt es sich auf das Miteinander von Eltern und Lehrern aus, dass heute viel öfter die Mütter und Väter berufstätig sind?
Grix Die Eltern sind nicht mehr in dem Maße vormittags greifbar wie früher. Elterngespräche sind zum Teil nur abends oder samstags möglich. Darauf reagieren sehr viele Lehrer flexibel. Das finde ich ein großes Entgegenkommen.
Gomolzig Als ich anfing, hatte ich für Ausflüge immer drei, vier Mamis als Begleiterinnen zur Auswahl, seltener Papis. Heute muss ich händeringend suchen, ob jemand mitgehen kann.
Grix Dabei kann es für Eltern sehr interessant sein zu sehen, wie sich das eigene Kind in der Gruppe verhält.
Gomolzig Das könnte für viele Eltern sehr heilsam sein. Viele behaupten ja, wenn es um Probleme beim sozialen Verhalten geht: Schuggen oder mobben, nein, mein Kind tut so was nicht. Die würden staunen.
Grix Ich glaube aber auch, dass es vielen Eltern leidtut, dass sie die Zeit nicht haben. Sie sind froh über qualitativ hochwertige Ganztagsschulen.
Gomolzig Wenn Kinder krank werden oder eine Phase haben, in der sie die Klasse arg stören, bräuchten sie manchmal eine Auszeit. Aber Eltern sind dann nicht erreichbar. Geschwind sich von der Arbeit abmelden können viele nicht. Es nimmt auch stark zu, dass Eltern ihr Kind schon krank zur Schule schicken.
Ändert sich auch die Einstellung der Eltern durch die Berufstätigkeit und die damit verbundene zeitliche Einschränkung?
Grix Ja, es gibt Eltern, die ihre Erziehungsaufgaben an die Schulen abtreten und versuchen, die fehlende Zeit mit dem besagten Überengagement zu kompensieren. Die gedankliche Beschäftigung mit dem Kind hat parallel zur abnehmenden tatsächlichen Beschäftigung zugenommen. Das ist nicht zwingend eine schlechte Entwicklung. Es geht doch darum, wie viel qualitativ hochwertige Zeit man mit dem Kind verbringt. Aber der Gesellschaft können es Eltern nur schwer recht machen. Man ist eine Rabenmutter, wenn man berufstätig ist. Und eine Glucke, wenn man zu Hause bleibt.
Das klingt, als ob die Eltern ein grundsätzlich schlechtes Gewissen haben.
Grix Das ist eine Folge der gesellschaftlichen Entwicklung. Das Einzige, was zählt, ist das Abitur. Dadurch entsteht das Gefühl: Wenn unser Kind das nicht schafft, haben wir als Eltern versagt. Um diesen Druck wegzunehmen, müssen wir die Eltern in ihrem Bauchgefühl fürs Kind wieder stärken. Daran sollten auch Lehrer mitwirken. Wir müssen irgendwie dahin zurückfinden, dass Eltern in ihre Kompetenz und die ihres Kindes vertrauen.
Also liebe Eltern, chillt mal?
Grix Ich musste mich auch sehr zurückhalten bei der Methode, Schreiben durch Lesen zu lernen. Jetzt hat mein großer Sohn ein massives Rechtschreibproblem. Vielleicht habe ich mich da zu sehr zurückgehalten, ihn ordnungsgemäß nicht zu korrigieren. Aber ich habe das als Job des Lehrers gesehen. Die Rollenverteilung muss klar sein. Ich übernehme die Werteerziehung, Sie den Fachunterricht. Aber ehrlich: Manchmal kann ich mein Kind verstehen. Mein Sohn kam einmal mit einem Lehrer nicht klar. Ich habe versucht, ihm den Rücken zu stärken, aber nie komplett gegen den Lehrer gesprochen. Das Respektverhältnis sollte man nicht untergraben.
Das muss man dann auch aushalten.
Grix Stimmt, aber es kann auch gut sein für das Kind, wenn sich die Eltern nicht immer verkämpfen, sondern es selbst mit der Situation umgehen kann. Man muss merken, wann es wirklich Zeit ist einzugreifen.