Der Wechsel aufs Gymnasium bedeutet auch: mehr Klassenarbeiten und mehr Vokabeln. Eine Psychologin und ein Schulleiter erklären, wie Eltern ihr Kinder zuhause unterstützen kann.

Stuttgart - In der Grundschule war Selina immer eine der Besten. Alles ging ihr locker von der Hand, ohne Druck hat sie ihre Hausaufgaben gemacht. Wenn sie damit fertig war, hat sie ihrer Mutter das Heft gezeigt, weil sie wusste, dass sie dafür gelobt werden würde. Es war auch gar keine Frage, dass Selina nach der vierten Klasse auf ein Gymnasium gehen würde. Und plötzlich war alles anders: mehr Hausaufgaben, mehr Fächer, mehr Klassenarbeiten, Vokabeln lernen. Es reichte nicht mehr aus, dass Selinas Mutter einen kurzen Blick in die Hefte warf. Die Hausaufgaben und Klassenarbeiten wurden zu einer Last, und langsam wurde aus dem ehemals unproblematischen Nachmittagsritual eine Quälerei. Es entwickelte sich ein fataler Kreislauf aus Diskussionen, Kontrollen und Sanktionen – bis Selina immer häufiger schlechte Noten nach Hause brachte.

 

Viele Kinder schaffen den Übergang von der Grundschule auf die weiterführende Schule ohne Probleme, aber immer gibt es auch Geschichten wie die von Selina. Elke Wild kennt alle Varianten, interessant für sie sind allerdings immer die problematischen. Elke Wild ist Professorin an der Universität Bielefeld und leitet dort den Bereich Pädagogische Philosophie. Mit ihrer Arbeit versucht sie zu verhindern, dass es so weit kommt wie bei Selina. Ihre Schwerpunkte sind Erziehungspsychologie, Motivationsforschung und pädagogisch-psychologische Beratung.

Dass es gerade nach dem Wechsel von der Grundschule auf das Gymnasium häufig zu einem Knick kommt, sollten Eltern wissen. Dies ist nichts Ungewöhnliches und wird mit dem Begriff Bezugsgruppen- oder Fischteicheffekt beschrieben. Das bedeutet, dass Schüler oftmals eine stärkere Lernmotivation besitzen, wenn leistungsschwächere Mitschüler in ihrer Klasse sind (so wie es in der Grundschule meistens der Fall ist). Denn dann fallen ihre Leistungen öfter auf, sie werden besonders honoriert und sind bestrebt, ihren Vorsprung zu halten.

Zu viel Druck und Kontrolle führen zu einem Leistungsabfall

Kinder, die in der Grundschule von dem Bezugsgruppeneffekt profitiert haben, tun sich in der fünften Klasse oft schwer: „Alle Kinder in der fünften Klasse haben gute Eingangsleistungen“, sagt Elke Wild, „und manchmal landen die einstigen Überflieger im Mittelfeld und tun sich extrem schwer damit.“

Auch Edwin Bartels, der Schulleiter des Schickhardt-Gymnasiums, weiß um die Problematik. Da viele Eltern wegen der weg gefallenen Grundschulempfehlung ohnehin verunsichert sind, rät er den Eltern zu Gelassenheit. „Zumindest im ersten Halbjahr in der fünften Klasse versuchen wir, das Spielerische aus der Grundschulzeit beizubehalten. Aber natürlich zieht es danach an.“ Am besten sei es, wenn man die schulische Elternarbeit in Rituale verpacke. Zum Beispiel: jeden Abend vor dem Abendessen schaut man gemeinsam die gemachten Hausaufgaben durch. „Rituale sind deshalb so gut, weil man – wenn sie sich eingespielt haben – nicht jedes Mal aufs neue diskutieren muss“, sagt Bartels. Allerdings könne man nicht einfach die Gewohnheiten aus der Grundschule übernehmen. „Man muss neue entwickeln“, rät der erfahrene Schulleiter.

Auch Elke Wild empfiehlt, Gewohnheiten zu schaffen. Da sie zahlreiche Untersuchungen zu dem Thema gemacht hat, weiß sie, worauf es ankommt. Die Kinder sollten nicht das Gefühl bekommen, dass es bei dem Ritual nur um Kontrolle gehe. Die Kinder würden nur noch dann Leistung zeigen, wenn Nichtstun Folgen hat (also wenn mit Sanktionen gearbeitet wird). Und fast immer führen zu viel Druck und Kontrolle zu einem langsamen aber stetigen Leistungsabfall.

Mit Kritik sollten Eltern sparsam umgehen

Hinzu kommt, dass Kinder die Kontrolle umso unangenehmer empfinden, je älter sie werden. Es gibt ein paar Regeln, die Eltern bei den Hausaufgaben beachten können. Generell gilt: so wenig Unterstützung wie möglich, so viel Unterstützung wie nötig. Eltern nehmen zwar gern ihren Kinder etwas ab. Es bringt aber mehr, ihnen einen Hinweis zu geben, wo man Informationen nachschlagen kann oder zu sagen, dass sich in dem Text noch fünf Fehler befinden. Diese sollte das Kind alleine finden. Es sollte weder zu häufig mit Belohnungen noch mit Strafen gearbeitet werden. Es sei gut, wenn man sich in der Nähe des Kindes aufhalte, aber nur eingreife, wenn Hilfe benötigt werde.

Mit Kritik sollten Eltern sparsam umgehen – und wenn, dann sollte sie sachbezogen und nicht persönlich sein. Wild empfiehlt auch, das eigene nicht mit anderen Kindern zu vergleichen. Unangemessen sei, wenn man eine schludrige Aufgabe durchstreiche oder gar eine Seite zerreiße. Das sei ein aggressiver Akt, missachte die Arbeit des Kindes und schwäche dessen Selbstwertgefühl. Eltern bringen sich so überdies um die Gelegenheit, zu erfahren, warum es nicht klappt: Sind die Aufgaben zu schwer, zu leicht, zu langweilig?

Es muss aber nicht immer direkt mit Hausaufgaben zu tun haben, wenn Eltern ihren Kindern etwas Gutes für die Schule tun wollen: „Es ist sehr hilfreich, wenn man Kindern die Fähigkeit mitgibt, argumentieren zu können“, sagt Elke Wild. Das bedeutet, dass man sie zu Hause möglichst oft Dinge mitentschieden und begründen lässt: wohin der nächste Urlaub geht, was es am Wochenende zu essen gibt oder welchen Ausflug man als nächstes macht. Auch das ist Elternarbeit.