Lara und Per aus Böblingen haben Kinder im Grundschulalter. Sie sind aber nicht nur Eltern, sondern auch noch Liebende und treffen seit zehn Jahren andere, um mit ihnen zu schlafen.
Ein bisschen peinlich war es schon, als ein Vater aus der Kita Lara und Per auf ihrem Profilbild erkannte und sie ansprach. Das war vor einigen Jahren, die Familie war gerade aus Schweden nach Böblingen gezogen. Per und Lara hatten sich bei der Internetseite Joyclub angemeldet. Dort können sich Menschen vernetzen, die auf Kinky-Partys gehen oder andere Leute kennenlernen wollen. Kinky-Partys sind sexpositive Partys, bei denen sexuelle Fantasien mit Fremden ausgelebt werden können.
Lara und Per machen aus ihrem gemeinsamen Interesse kein Geheimnis, sie hängen es in Böblingen aber auch nicht an die große Glocke. Zum Schutz der Privatsphäre ihrer Kinder haben wir in diesem Text ihre Namen geändert. Lara und Per sind Anfang 40, ihre Kinder besuchen mittlerweile die Grundschule. Nach einigen Jahren in Schweden haben sie sich vor dem Schuleintritt des älteren Kindes entschieden, zurück in Laras Heimat zu ziehen – nicht zuletzt, um die Unterstützung der Großeltern im Alltag wahrnehmen zu können, während sie ihre Arbeit im Homeoffice erledigen können.
Die beiden haben lange in einer schwedischen Großstadt gelebt, sind in weit geschnittener, bunter Hipsterkleidung in Böblingen meist mit ihren Fahrrädern unterwegs und wirken wie die anderen Großstadteltern, denen man vor Grundschulen und Kindergärten begegnet, neben denen man auf winzigen Stühlen beim Elternabend sitzt und sich über die Kinder unterhält.
Per fühlte sich zu einer Kollegin bei seiner Arbeit hingezogen
Doch der eheliche Alltag von Lara und Per ist etwas anders als der anderer Paare, die mehrheitlich wohl noch monogam leben – trotz aller gesellschaftlicher Veränderungen und mehr Offenheit für alternative Modelle in Paarbeziehungen. Von den Unter-30-Jährigen sagt sogar jeder und jede Zweite: Offene Beziehungen werden in Zukunft häufiger. In der Gesamtbevölkerung glaubt das bislang knapp ein Drittel. „Es gibt schon ein sehr großes allgemeines Interesse an offenen oder polyamoren Lebensstilen, auch bei Leuten in unserem Alter“, stellt Lara fest. Oft sei man mehrere Jahre zusammen, und es stelle sich die Frage: Kommt da noch was?
Lara und Per waren seit fünf Jahren ein Paar, als Per vor etwa zehn Jahren etwas Unerwartetes – wenn auch nicht Ungewöhnliches – erlebte. Per fühlte sich zu einer Kollegin bei seiner Arbeit hingezogen. „Ich merkte es nicht gleich, doch dann umso heftiger“, erzählt Per. „Ich fand sie einfach attraktiv. Ich wollte aber auf jeden Fall nichts Dummes tun.“ Per hatte Angst, Lara zu hintergehen. Ohne länger darüber nachzudenken, fragte Per die Kollegin in einem ruhigen Moment: „Könntest du dir vorstellen, mit mir und Lara einen Dreier zu haben?“ Zu seiner eigenen Überraschung sagte die Kollegin gleich: „Gute Idee.“ Das Problem war: Per hatte Lara ja noch gar nichts davon erzählt.
„Wir alle finden ab und zu andere Leute attraktiv – das ist völlig normal“
Heute lachen beide, als Per diese Geschichte erzählt. Doch damals fiel Lara aus allen Wolken, als Per ihr abends gestand, was vorgefallen war. „Ich war total überrascht und auch überrumpelt“, erzählt Lara. Natürlich weiß Per heute, dass er den zweiten Schritt vor dem ersten getan hat – und mit der Kollegin wurde es dann auch gar nichts. Doch das Paar begann, darüber zu sprechen, was es bedeuten kann, sich zu anderen hingezogen zu fühlen – und wie man damit umgehen könnte, ohne einander zu hintergehen, zu betrügen und am Ende zu verlieren. Wie wäre es denn, gemeinsam andere Leute zu treffen und dieses Kribbeln zu fühlen?
„Wir alle finden ab und zu andere Leute attraktiv“, sagt Lara. „Das ist auch völlig normal, es ist ein natürliches Bedürfnis wie auswärts essen oder das Reisen“, glaubt Lara. Per ergänzt: „Wenn man einmal in Mexiko war, bedeutet das meist nicht, dass man dann für immer nach Mexiko will. Und wenn man einmal neues Essen ausprobiert hat, will man ja auch nicht dauernd auswärts essen.“
Dennoch erleben Per und Lara, dass viele ihrer Freunde und Bekannten sich lieber zerfleischen, bevor sie wirklich einen solchen Schritt gehen würden und die Beziehung öffnen. Mit einem Kollegen spricht Lara darüber, mit anderen kaum, da sie nicht nur gute Erfahrungen gemacht hat. „Eine Freundin hat mich richtig verteufelt, es gar nicht verstehen können. Und ein Jahr später hatte sie eine Affäre, heimlich, und hat sich dann getrennt.“ Das sei doch nicht wirklich besser, findet Lara. Sich für sexuelle Erfahrungen mit anderen zu öffnen, sei keine Bedrohung, es sei ein gemeinsames Interesse, das beide zusammen entdecken, sagt Per.
In Baden-Württemberg ist für ihre Interessen viel geboten
Damals vor zehn Jahren stellten sie fest, dass sie auf einer schwedischen Kennenlernseite ein Partnerprofil anlegen konnten. So ergaben sich erste Dates. Zum ersten Mal waren Lara und Per bei einer Swinger-Party. Die fanden sie aber ganz schön schrecklich. „Da muss man Glück haben“, sagt Lara. Das hatten sie kurze Zeit später, als sie ein Paar kennenlernten, das auf diese Weise schon seit zehn Jahren andere Leute trifft, meist im privaten Rahmen. „Von ihnen bekamen wir viel Hilfe, es gab nicht diese unangenehmen und peinlichen Momente, alles fühlte sich natürlich an“, sagt Lara.
Zurück in Böblingen erfuhren Lara und Per zu ihrer eigenen Überraschung, dass in Baden-Württemberg für ihre Interessen schon recht viel geboten war, mehrere Clubs bieten Kinky-Partys an. „In Stuttgart gibt es viele gute Locations, Frida’s Pier zum Beispiel, in Karlsruhe das Loft54“, erklärt Per. So ein Abend bei einer Kinky-Party sei aber nicht günstig: Per und Lara zahlen 100 bis 140 Euro pro Abend, inklusive Essen, oft könne man noch eine Sauna besuchen.
Beide kleiden sich dann in „sehr schöne Dessous“, wie sie sagen. Sie raten unerfahrenen Besuchern, den Organisatoren zu schreiben und nach dem Dresscode zu fragen. „Mit Hasenmaske, ganz nackt oder die Frauen nackt und Männer angezogen, da gibt es alles – manchmal sagt das schon ein bisschen was darüber aus, was man dort für Leute erwarten kann“, findet Lara.
„Mit manchen Menschen funktioniert man besser als mit anderen“
Im Club gehe es sehr respektvoll zu, niemand sei betrunken. Eigentlich sei es für alle wünschenswert, in so einem Umfeld sexuelle Erfahrungen zu sammeln, glaubt Lara. Manche Leute, die man treffe, seien tief in der Szene drin, könnten so ausführlich von ihren Sadomaso-Geräten erzählen wie andere von ihrem Rennrad. Per erzählt: „Einmal war ein Pärchen da, er hatte einen Geigenkasten mit lauter Sachen drin zum Auspeitschen. Wir führten mit ihm ein nettes Gespräch, die Geräte wurden ausprobiert, er sagte: Guck, das musst du so halten.“
Wenn Lara und Per mit anderen schlafen, sind alle involviert, das ist ihnen wichtig. Die beiden fühlen sich mit ihrem ungewöhnlichen „Hobby“ nicht besonders. „Mit der richtigen Person kann man alles teilen“, glaubt Lara. „Mit manchen Menschen funktioniert man besser, es ist sehr schön, wenn man so jemanden findet, weil man dann sehr viel machen kann, was man zuvor vielleicht nie für möglich gehalten hätte.“ Und das ist aus ihrer Sicht keine so große Hürde, wie manche glauben. Per erzählt: „Ein Freund von mir hat ewig darüber nachgedacht, SM auszuprobieren, aber es nicht getan. Das ist, wie wenn du dein Leben lang von Disneyland träumst, aber nie hingehst.“ Man müsse sich immer fragen, was im schlimmsten Fall passieren könne, sich eine Exit-Strategie überlegen, das Erlebte nachbesprechen, glaubt das Paar. Eifersucht gebe es dann so gut wie gar nicht. „Eifersucht entsteht, wenn man etwas voreinander verbirgt“, glaubt Per.
Mit dem Vater aus der Kita, der sie auf ihrem Profilbild wiedererkannte, ging es übrigens gut aus – der war ja offensichtlich selbst auf der Joyclub-Seite und bei Kinky-Partys. „Zwar ohne seine Frau, doch sie weiß davon“, berichtet Per. Jetzt schaue der Mann Per und Lara in der Stadt immer wissend an. Man nickt sich zu, das war’s.