Christian und Özgü Baudisch aus Stuttgart fragen, wie sie ihrer Tochter (2,5) vielfältiges Essen schmackhaft machen können. Eine Ernährungsberaterin gibt im Elternratgeber Antworten.

Familie/Bildung/Soziales: Lisa Welzhofer (wel)

Das Ehepaar Baudisch aus Stuttgart berichtet: Tochter Elektra (2,5) isst Nudeln, Kartoffeln oder Reis pur, ansonsten sagt sie zu fast allem „Nein“. Ernährungs- und Familienberaterin Edith Gätjen erklärt im Gespräch mit dem Paar, ob sie sich Sorgen machen müssen, was dahintersteckt und wie die Eltern der Kleinen Lust aufs Ausprobieren machen können.

 

Özgü Baudisch: Unsere Tochter will immer weniger auf ihrem Teller haben – müssen wir uns Sorgen machen?

Edith Gätjen: Das ist für dieses Alter kein unübliches Verhalten. Es gibt genetisch fest verankerte biologische Schutzprogramme. Diese hatten zu Zeiten als Jäger und Sammler ihre Berechtigung, sorgten fürs Überleben der Menschen. Bei Kindern wirken sie noch sehr intensiv, weil sie intuitive Esser sind. Diese Programme besagen zum Beispiel: Ich liebe Süßes, das ist nährstoffreich und nicht giftig. Ich lehne Saures und Bitteres ab, weil das möglicherweise giftig ist und wenig Energie liefert. Ich liebe Salziges, denn früher gab es wenig frei verfügbares Salz, aber der Körper braucht kleine Mengen davon. Und schließlich: Ich bin auf der Suche nach konzentrierter Energie, weil wir früher nicht wussten, wann es das nächste Mal etwas zu essen gibt. Ich würde aber gern noch ein paar Dinge fragen: Isst Ihre Tochter Fleisch?

Özgü Baudisch: Vielleicht mal ein Fischstäbchen oder ein frittiertes Hähnchenteil. Aber in anderer Form nicht. Wurst isst sie auch, etwa Lyoner oder Saitenwürstle.

Edith Gätjen: Was ist mit Ei?

Christian Baudisch: Ein halbes hart gekochtes Ei manchmal, vielleicht einmal im Monat.

Edith Gätjen: Milch und Joghurt?

Özgü Baudisch: Früher gern, heute nicht mehr, außer Fruchtzwerge. Ich mag ihr eigentlich nicht so viel Zucker geben, aber weil sie sonst keine Milchprodukte isst, gebe ich ihr die Fruchtzwerge.

Edith Gätjen: Obst?

Özgü Baudisch: Apfel, Birne und Banane. Aber nicht als Mus.

Edith Gätjen: Wie schläft sie?

Özgü Baudisch: Von 8 Uhr abends bis zum nächsten Tag durch und allein im Zimmer. Sehr selten kommt sie mal zu uns ins Bett.

Edith Gätjen: Wie sind ihre Ausscheidungen?

Christian Baudisch: Sie hat regelmäßig Urin und Stuhl in der Windel.

Edith Gätjen: Wie isst sie in der Kita?

Christian Baudisch: Das läuft es genauso. Auch dort isst sie nur bestimmte Dinge. Manchmal erzählen die Erzieherinnen, dass sie zwei Teller Nudeln gegessen hat. Und dann braucht sie stundenlang wieder nichts.

Edith Gätjen: Ihre Tochter verhält sich zu Hause und in der Kita gleich. Das ist gut. Bis zum Alter von 1,5 oder zwei Jahren essen Kinder normalerweise am liebsten das, was Eltern auch essen, gern von deren Teller auf deren Schoß. Sie wissen dann: Das sind alles sichere Lebensmittel. Aber danach, wenn sie in die Autonomiephase kommen, verlassen sie sich eben nicht mehr auf andere. Sie wollen selber herausfinden, ob Lebensmittel sicher sind oder nicht. Dazu essen sie mal etwas, dann wieder nicht. Ihre Tochter geht noch sehr auf Sicherheit. Sie sieht sich an, wie Sie oder andere Kinder es machen, aber probiert selbst noch wenig aus.

Viele Kinder machen Trennkost

Özgü Baudisch: Ja, sie will mich zum Beispiel gern mit Tomaten füttern, würde sie aber nie selbst essen. Sie hilft auch in der Küche mit und beobachtet alles.

Edith Gätjen: Es ist wichtig, dass sie es annehmen, wenn Ihre Tochter Sie füttern will, damit sie sieht, das kann man essen. Die „Trennkost“ machen manche Kinder in dem Alter. Denn wenn die Lebensmittel durcheinander sind, können sie nicht erkennen, was sicher ist und was nicht. Deshalb mag Ihre Tochter auch Fruchtzwerge, weil man darin keine Frucht erkennt.

Christian Baudisch: Es gibt immer Protest, wenn Essen „verschmutzt“ ist. Wenn sie zum Beispiel einen Kern im Brot findet.

Edith Gätjen: Genau, und die Butterbrezel geht, weil sie farblich unauffällig ist und weil Butter viel Energie liefert.

Özgü Baudisch: Aber auch wenn das alles normal ist. Wie sollen wir uns verhalten?

Edith Gätjen: Ich finde es sehr gut, dass Sie den Fokus darauf haben, was alles gut läuft: Sie geht in die Kita, sie ist fröhlich, gut entwickelt, kann sich artikulieren, sie hat einen gesunden und guten Schlaf. Das ist ein Zeichen dafür, dass Ihr Kind gut versorgt ist. Wäre sie schlapp tagsüber, würde viel schlafen, müssten wir auf der Nährstoffebene gucken, ob es Mängel gibt. Wir kommen unterschiedlich auf die Welt. Es gibt Menschen mit sportlichem, musischem oder literarischem Talent. Und es gibt Menschen, die kommen mit einem Talent fürs Essen auf die Welt. Ihre Tochter hat ein Talent in Bezug auf Konsequenz, sie bleibt sich treu. Essen ist vielleicht nicht ihr Talent, kann es aber werden. Aber nur, wenn jetzt kein Stress damit gemacht wird. Wenn Sie einfach akzeptieren, wie es läuft. Mir wäre am liebsten, das wäre gar kein Thema mehr für Sie. Aber mich würde noch interessieren, wie das Essen bei Ihnen abläuft?

Özgü Baudisch: Wir essen zusammen. Abends gibt es meist etwas Warmes, Fleisch oder Fisch mit Beilagen. Sie nimmt sich dann nur Beilagen: Kartoffeln, Nudeln, Reis oder auch mal Quinoa.

Nicht zum Probieren zwingen

Christian Baudisch: Aber wenn sie nichts für sich findet, ist das auch in Ordnung, dann gibt es kein Theater. Dann isst sie einfach nichts.

Edith Gätjen: Sie machen schon vieles richtig, indem Sie sagen: Ab und zu gibt es das, was du gern isst. Und manchmal gibt es das nicht. Wichtig wäre, dass Sie Elektra nicht zum Probieren zwingen oder animieren. Sie will ihre Erfahrungen selbstbestimmt machen. Auch in der Kita sollte es auf keinen Fall einen Zwang zum Probieren geben.

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Özgü Baudisch: Ich frage sie schon immer wieder, ob sie probieren will, weil ich gelesen habe, dass man einem Kind Lebensmittel bis zu 30 mal anbieten muss, bevor es probiert.

Edith Gätjen: Diese Aufforderung zum Probieren macht Ihrer Tochter Stress. Denn sie will Ihnen ja eigentlich gefallen, mit Ihnen kooperieren, schafft es aber in diesem Punkt gerade nicht. Sie bekommt das Gefühl: Ich kann es nicht und jetzt zeigst du es mir immer wieder. Für mich ist die Begrifflichkeit wichtig: nicht zum Probieren, sondern zum Ausprobieren animieren. Stellen Sie ihr ein kleines Ausprobierschüsselchen immer hin. Aber erst, wenn sie selber sagt, dass sie etwas ausprobieren will, tun Sie ihr einen kleinen Klecks rein. Kinder müssen oft erst mit den Lebensmitteln eine Zeit lang flirten, zum Beispiel beim Einkaufen und Zubereiten.

Alle zusammen einkaufen

Christian Baudisch: Wir gehen gern alle zusammen auf den Markt und kaufen ein, das macht ihr auch Spaß.

Edith Gätjen: Genau. Ihre Tochter muss Kontakt zu den unterschiedlichen Lebensmitteln haben. Das kann in der Kita sein, wo Spinat und Möhren auf dem Tisch stehen und sie sieht, wie andere Kinder das essen. Oder mit Ihnen auf dem Markt, wo Sie sich darüber unterhalten, wie frisch und lecker der Brokkoli aussieht. Irgendwann kann Elektra dann entscheiden: Ich habe es jetzt oft genug gesehen, ich trau mich näher ran. Vielleicht riecht sie erst mal nur dran. Dann nimmt sie es mal in die Hand. Irgendwann wird aus dem Flirt dann ein Kennen- und vielleicht Liebenlernen. Aber das braucht Zeit. Kinder kann man nicht kognitiv ansprechen. Ein Satz wie „Wenn du Gemüse isst, wirst du groß und stark“ ist Ihrer Tochter egal.

Özgü Baudisch: Ja, das beeindruckt sie nicht. Dann sagt sie: Ich will nicht groß werden.

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Edith Gätjen: Ihre Tochter macht das toll! Die würde ich gern kennenlernen. Die hört auf sich, das ist keine Mitläuferin. Aber ein paar Tipps habe ich noch. Ihre Tochter sollte keinen Hunger schieben müssen. Wenn es keine Sättigungsbeilagen gibt, die sie mag, sollten Sie ihr Brot auf den Tisch stellen. Denn sonst schließen Sie sie aus der Essensgemeinschaft aus. Und es ist frustrierend, immer wieder nichts für sich zu essen zu finden. Um ihren Speiseplan vielfältiger zu machen, könnten Sie auch mal einen Kuchen backen mit einem Teil Vollkornmehl, Eiern, Milch, nicht zu viel Zucker, vielleicht gemahlenen Nüssen. Sodass viele verschiedene Lebensmittelgruppen darin sind und Kuchen isst sie gern. Zum Thema Wurst: Achten sie auf Wurst mit einem möglichst hohen Fleischanteil, am besten 80 Prozent. Denn dann haben Sie Nährstoffe wie Eiweiß, Eisen und Zink drin. Bei Nudeln können Sie auch mal Vollkorn- und Dinkelnudeln ausprobieren.

Christian Baudisch: Manchmal spielt Elektra mit dem Essen. Sollen wir das unterbinden?

Edith Gätjen: Wenn Kinder anfangen, aus dem Reis Burgen zu bauen, ist das ein klares Zeichen, dass ihnen gerade langweilig ist und sie keinen Hunger mehr haben. Dann sollten Sie das Essen beenden und sie spielen lassen. Sollte sie allerdings mit dem Brokkoli mal in Kontakt kommen wollen, indem sie ihn in die Hand nimmt, sollten Sie das zulassen, denn dann kann das ein erstes Flirten sein.

Özgü Baudisch: Wann ändert sich das mit dem wählerischen Essen?

Edith Gätjen: Normalerweise öffnen sich Kinder zum Grundschulalter hin von selbst. Aber nur unter der Voraussetzung, dass sie keine negativen Erfahrungen mit Essen gemacht haben. Wenn Essen zur Belohnung oder Bestrafung dient, sie gezwungen werden, machen sie zu. Das ist eine Herausforderung für Eltern, weil man sich vielleicht auch Sorgen macht. Aber ich sage: Der Teller ist privat, der Mund ist intim, darin hat niemand anderes etwas zu suchen. Die Kinder öffnen sich nach und nach, wenn sie zu den Lebensmitteln und den Menschen, von denen sie das Essen lernen und mit denen sie essen, eine gute Beziehung haben. Und für eine gute Beziehung müssen Eltern die richtige Balance finden zwischen Autonomie und Verbundenheit.

Haben Sie auch eine Frage oder ein Problem, das Sie – auch ohne spätere Namensnennung – mit einer unserer Elternratgeber-Expertinnen diskutieren wollen? Dann schreiben Sie an elternratgeber@stzn.de

Spezialisiert auf das Thema Familienernährung: Edith Gätjen. Foto: Sarah Wiener Stiftung

Edith Gätjen – Die Ernährungs-Expertin

Edith Gätjen studierte Ernährungswissenschaften in Bonn und lebt heute in Köln. Sie arbeitet seit 35 Jahren selbstständig als Ernährungsberaterin und hat sich auf das Thema Familienernährung, insbesondere Kleinkindernährung bis zum Grundschulalter, spezialisiert. Sie bildet dazu auch Pädagogen, Hebammen und Ernährungsfachkräfte weiter. Außerdem ist sie systemische Paar- und Familientherapeutin und hat als Mutter und Großmutter viele persönliche Erfahrungen zu dem Thema gesammelt. Im Trias-Verlag hat sie „Das geniale Familienkochbuch“ und „Lottas Lieblingsessen – Über 90 Rezepte, die wirklich schmecken“ veröffentlicht. Edith Gätjen ist Präsidentin des Verbands für Unabhängige Gesundheitsberatung (UGB).