Wie reagieren, wenn die erste Übernachtung ansteht? Und wie besser nicht. Unsere Expertin für Teenager-Fragen weiß Rat.

Nachrichtenzentrale: Nadia Köhler (nl)

Stuttgart - Nadine Neumüller berichtet: Ende des Jahres hat sich das Leben unserer Tochter (16) grundlegend verändert. Im Tanzkurs hat sie ihren ersten Freund (17) kennengelernt. Seit Ende November treffen sich die beiden regelmäßig am Wochenende und oft auch an einem Abend unter der Woche. Nach knapp zwei Monaten Beziehung wollen sie nun beieinander übernachten. Unsere Teenager-Expertin, die Pädagogin und Ratgeberautorin Inke Hummel, diskutiert mit Nadine Neumüller, wie Eltern mit diesem Anliegen gelassen und trotzdem verantwortungsvoll umgehen können.

 

Ist meine Tochter frühreif oder ist es normal, dass die Frage in diesem Alter kommt?

Bei einer 16-Jährigen muss man mit dieser Frage rechnen. Die Pubertät geht nicht bei allen Kindern zum gleichen Zeitpunkt los und auch nicht bei allen mit gleich schnellen Schritten voran. Aber sie wollen selbstständig werden und sind auf dem Weg ins Erwachsensein. Dabei müssen sie verschiedene Dinge ausprobieren – und dabei auch Fehler machen. So eine Übernachtung gehört dazu. Nicht immer steckt hinter diesem Anliegen Sex. Manchmal wollen die Teenies auch einfach nur kuscheln oder abends nicht wieder nach Hause müssen. Und eines zeigt diese Frage auch: Die Tochter hat Vertrauen zu ihrer Mutter.

Leider war meine erste Reaktion aber: „Oh! Okay, ist es schon soweit?“

Ja, das passiert. Aber eigentlich finde ich die Reaktion total menschlich und verständlich. Ich hätte vermutlich auch mein erstes Gefühl in Worte gefasst – und das finde ich auch wichtig. Das ist ja eine andere Situation als wenn die Tochter fragt: „Darf ich heute auf die Eisbahn oder nicht?“

Wie hätte ich besser spontan reagiert?

Gar nicht so sehr viel anders. In so einem Fall muss man nicht sofort „Ja“ oder „Nein“ sagen. Das kann auch mal zwei, drei Tage dauern, bis man für sich zu einer Meinung gefunden hat. Ich rate aber immer dazu, spontan ehrlich zu reagieren. Ich hätte wahrscheinlich gesagt: „Oh, da bin ich mir jetzt unsicher, weil ich gerade ein bisschen überfordert bin. Ich habe dazu jetzt noch gar keine Meinung. Ich würde gern erst einmal drüber nachdenken und vielleicht auch mal mit Papa darüber sprechen.“ Dadurch fühlen sich Teenager nicht vor den Kopf gestoßen. So signalisiert man ja, dass die Tür prinzipiell noch offen ist.

Außerdem fände ich es gut, die Tochter zu fragen, warum sie gerne möchte, dass ihr Freund diesmal bei ihr übernachtet, statt um elf wieder zu gehen. Einfach um mal zu hören, was hinter dem Wunsch steckt. Wenn ich eine gute Beziehung zu meinem Kind habe, sagt es mir das auch.

Oft schätzen wir die Teenies falsch ein, weil wir bei ihnen immer so ein bisschen auf Alarm eingestellt sind. Vielleicht wollen die beiden einfach nur beieinander übernachten und zusammen einen Film schauen – und klar, wahrscheinlich auch ein bisschen fummeln. Aber es könnte ja sein, dass das noch gar nicht mehr werden soll.

Wie lässt sich meine erste Reaktion wieder eingefangen? Wie kommen wir jetzt auf eine Lösung, die mir die Sicherheit gibt, dass die beiden wissen was sie tun?

In der Beziehung zu seinen Kindern wird man immer Fehler machen und auch mal etwas Doofes sagen. Wichtig ist nur, danach darüber zu reden. Das geht nicht immer sofort, weil Teenager oft zuerst total dichtmachen. Aber ich würde es dann zu einem späteren Zeitpunkt probieren und sagen: „Tut mir leid, meine Reaktion war blöd. Aber die Frage hat kurz Angst in mir ausgelöst.“ Es ist wichtig, seinem Kind gegenüber zu sagen, welche Gefühle man hat. Aus meiner Erfahrung ist es dann auch wieder offener und bereit, sich anzuhören, was unsere Bedenken sind.

Und dabei rate ich auch dazu, so offen wie möglich zu sein und ihr im Zweifel auch zu sagen, wenn man sich bei dem Jungen mit einer Übernachtung nicht wohlfühlt oder das einfach nicht möchte. Aber klar ist auch, wenn zwei Teenager miteinander Sex haben wollen, wird ein Übernachtungsverbot das nicht verhindern. Dann muss ich auch damit leben können, dass sie nachmittags bei ihm auf der Couch miteinander schlafen – oder ganz woanders.

Muss ich mit ihr über Sex reden?

Wenn man nachfragt, warum der Tochter die Übernachtung so wichtig ist, könnte das schon auf ein Gespräch über Verhütung hinauslaufen. Das kommt aber auch ganz darauf an, wie offen der Teenager ist. Aber prinzipiell würde ich ein Gespräch über Verhütung anbieten und abwarten, inwieweit sie sich darauf einlässt. Das kann man ja auch machen, ohne das Wort „Sex“ in den Mund zu nehmen. Zum Beispiel, indem man nachfragt, ob sie weiß, worauf sie sich einlässt. Vielleicht fragt sie dann: „Wie war das bei Dir zum ersten Mal?“ Dann würde ich von meinen eigenen Erfahrungen erzählen, ohne zu genau ins Detail zu gehen. Wie war das bei mir? Was war gut und womit habe ich mich nicht wohlgefühlt? Dann kann sie einhaken und fragen, was sie bewegt. Es kann aber auch gut sein, dass sie einfach nur sagt: „Mama, wir haben das im Griff! Ich bin vorbereitet.“ Dann muss ich entscheiden, ob ich ihr in dieser Hinsicht vertraue oder nicht.

Meine Mutter hätte gesagt: „Übernachten kommt nur in Frage, wenn Du Dir vorher die Pille verschreiben lässt.“

Ja, damit würden sich sicher auch heute noch viele Mütter besser fühlen. Ich rate aber dazu, die eigene Meinung nicht mit dem Hammer durchzusetzen. Stattdessen würde ich lieber fragen, ob sie sich Gedanken über Verhütung gemacht hat, ob ich ihr helfen kann oder ob sie mal zu meiner Frauenärztin gehen möchte. Eine bestimmte Verhütungsmethode würde ich persönlich meiner Tochter nicht vorschreiben, sondern dafür sorgen, dass sie sich gut beraten lässt.

Sie will aber nicht die Pille nehmen, sondern nur mit Kondomen verhüten. Das ist mir aber viel zu unsicher.

Das kann ich sehr gut nachvollziehen. Dann würde ich sehr intensiv thematisieren, dass Kondome nicht immer so sicher sind und dass es damit auch zu blöden Situationen kommen kann, wenn man erst einmal so richtig bei der Sache ist. Aber auch da würde ich sagen: Lass dich beraten, vielleicht gibt es ein Präparat, das ganz sanft wirkt und mit dem du trotzdem auf der sicheren Seite bist.

Und manchmal hilft es auch zu abstrahieren. Also zu erzählen, wie es einer Freundin, Bekannten oder früheren Mitschülerin ergangen ist, als sie früh schwanger wurde und von der Schule abgehen musste oder andere Träume aufgeben musste.

Aber am Ende sollte man ihre Entscheidung akzeptieren und ich finde es wichtig, zu signalisieren: „Wenn doch was passiert, dann komm bitte zu mir. Ich reiße dir nicht den Kopf ab, du musst keine Angst haben, wir suchen gemeinsam eine Lösung!“

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Wie verhalten wir uns am besten, damit der Abend nicht für alle angespannt und peinlich wird?

So natürlich wie möglich, wie an jedem anderen Abend auch. Vorher würde ich vielleicht noch besprechen, was mir wichtig ist. Will ich, dass man mal zusammen mit der Familie isst und spricht? Möchte ich morgens um sieben ungestört im Nachthemd in der Küche herumtigern können. Oder wann möchte ich Ruhe haben? Und natürlich würde ich klopfen, wenn ich unbedingt ins Zimmer muss.

Was kommt als Nächstes?

Vielleicht wollen die beiden einmal länger zusammen wegfahren oder sie wünschen sich, dass die Eltern mal verreisen und sie allein daheim sein können. Aber es könnte natürlich auch der erste große Liebeskummer folgen. Darüber reden wir dann beim nächsten Mal.

Haben Sie auch eine Frage oder ein Problem, das sie mit einer unserer Elternratgeber-Expertinnen diskutieren wollen? Dann schreiben Sie an nadia.koehler@stzn.de

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Inke Hummel- die Teenager-Expertin

Inke Hummel Foto: Benjamin Jenak, Veto Magazin

Pädagogin
Inke Hummel ist Pädagogin M.A. aus Bonn und berät Eltern und Institutionen – immer mit dem Fokus auf Bindung und Beziehung. Ihre Stärke ist es, eine offene Atmosphäre zu schaffen, in der alles erzählt werden kann und ihrem Gegenüber dann alltagsnah Impulse und neue Blickwinkel mitzugeben.

Ratgeber zur Pubertät Foto: Humboldt-Verlag

Autorin
Die 44-Jährige ist auch als Bloggerin und Kinderbuchautorin aktiv. Im Humboldt-Verlag bringt sie ihr Wissen in Ratgeberform in die Familien. Das Jugendalter ist einer ihrer Beratungsschwerpunkte und Pubertät hat sie zurzeit gleich dreifach im eigenen Haus.