Zwischen Schnitzel und Schreckstarre verfolgten die Gäste im Lautenschlager den finalen EM-Auftritt der deutschen Elf. Am Ende herrscht Enttäuschung – doch „es gibt einfach Wichtigeres als Fußball“.

Stuttgart - „Ich tippe auf 2:1 für Deutschland“, zeigt sich Darius vor dem Anpfiff hoffnungsvoll. „Ich bin ja auch für Deutschland“, druckst David ein bisschen herum. Ich hab aber Geld auf England gesetzt. Die beiden sind am Dienstag mit Freunden ins Lautenschlager gekommen, um das Viertelfinalspiel von Jogis Jungs gegen England zu verfolgen. Es sei nicht leicht gewesen, noch irgendwo in Stuttgart einen Platz zu finden. Hier habe es geklappt, begründen sie die Wahl der Lokalität.

 

Auch in der guten Stube des Wirtshauses ist es voll. Das Publikum ist bunt gemischt: Das Spektrum reicht vom mitfiebernden, ergrauten Herrn im DFB-Hemd bis zum neutral gekleideten Pärchen, das sich das Geschehen beim Essen ansieht. Die Karte ist EM-tauglich: Das Ofenbrot wird wahlweise nach französischer oder nach schweizer Art serviert. Wiener Schnitzel und Deutschland-Burger stehen zur Wahl. Wen es nach Englischem verlangt, der kann Gin aus London bestellen.

In der 75. Minute herrscht Stille

Eine Stuttgarter Variante der Wacholder-Spirituose ist ebenfalls im Angebot. Sportlich müssen sich die rund 50 anwesenden Ballsport-Enthusiasten alternativlos mit dem begnügen, was die beiden Teams auf dem Bildschirm liefern. Der von Goretzka in der 20. Minute eingeläutete Angriff sorgt für erste Lautäußerungen. Ansonsten sind die meisten Achtelfinalzeugen im Lautenschlager ähnlich ausgeglichen wie das Spiel. Besonders gelassen ist der Mitfünziger im Gastraum außerhalb der Fußball-Zone. „Ich höre schon, wenn etwas Wichtiges passiert“, stellt er fest. Den vorab angekündigten „EM-Kracher“ aus dem Off wahrzunehmen, genügt ihm.

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Die Geräuschkulisse liefern während der ersten Halbzeit vor allem die englischen Fans mit ihren Pfiffen und Anfeuerungsrufen. Hier und da unterhält man sich auch an den Tischen. Das fällt allerdings erst auf, als in der 75. Minute Stille eintritt. Eine kurze Schreckstarre begleitet das Tor von Raheem Sterling. Gesichter versteinern. Ein junger Mann fasst sich ungläubig an die Stirn. Die Geste wiederholt sich, als Müller wenig später allein vor dem Tor der Engländer zum Schuss kommt und den Ball links vorbeischiebt. Unmut macht sich Luft. „Den musst du machen!“ ruft jemand dem Oberbayern mit Abschlussschwäche zu. Nervosität greift um sich. Sie löst sich mit der 86. Minute und dem 2:0. Resigniert schüttelt Darius den Kopf. Das war’s dann wohl.

„Es gibt Wichtigeres als Fußball“

„England hat absolut verdient gewonnen“, stellt David nach dem Schlusspfiff fest. Dass er so entspannt wirkt, hat nichts damit zu tun, dass er auf den richtigen Sieger gewettet hat. „Ich habe nicht das korrekte Ergebnis getippt“ sagt er. „Geld bekomme ich also nicht. Aber es gibt einfach Wichtigeres als Fußball.“ Das sehen wohl auch die Sportliebhaber so, die sich zum Rauchen in den Außenbereich des Lautenschlager begeben haben. Statt über das Spiel tauschen sie sich in der Abendsonne über Corona und Urlaubspläne aus.