Der Nationalverteidiger Per Mertesacker will alles tun, um nach seiner langen Verletzungspause bei der EM wieder fit zu sein. Aber ein Restrisiko bleibt.

Kräftiger Gegenwind bläst beim Training in sein Gesicht, doch das ist nicht das einzige Problem von Per Mertesacker. Hinter ihm nämlich zieht gemeinerweise auch noch ein Fitnesstrainer an einem Band, das um Mertesackers Rumpf gezogen ist, was die Fortbewegung zusätzlich erschwert. Und so benötigt der lange Fußball-Nationalverteidiger für die zehn Meter zum nächsten Hütchen all seine Kraft und wischt sich hinterher ermattet den Schweiß von der Stirn.

 

Als Regenerationstrainingslager sind die Tage der DFB-Auswahl auf Sardinien gedacht, was zumindest auf Per Mertesacker so nicht zutrifft. Er muss schon zu Beginn der EM-Vorbereitung mit höchster Intensität arbeiten, um das aufzuholen, was er in den vergangenen Monaten versäumt hat. Seit Februar hat der 27-Jährige kein Spiel mehr bestritten und müht sich nun darum, rechtzeitig zum EM-Auftakt am 9. Juni gegen Dänemark fit zu werden. „Für mich ist jeder Tag wichtig“, sagt er, „ich spüre, wie es aufwärts geht.“

Eine schwere Sprunggelenksverletzung hat Mertesacker im Februar gestoppt, er musste operiert werden – – ausgerechnet in der Zeit, als es für ihn beim FC Arsenal besser zu laufen begann. Im vergangenen Sommer war er für knapp zehn Millionen Euro von Werder Bremen zu dem Londoner Club gewechselt und brauchte zunächst einige Zeit der Eingewöhnung. Mertesacker unterliefen Fehler, – die Reaktionen waren gnadenlos. Die „Grazilität eines Liegestuhls“ wurde ihm von einer Boulevardzeitung bescheinigt, auch die Fans wurden unruhig. „Es war am Anfang nicht einfach“, sagt Mertesacker, der sich nicht nur mit seiner Familie in London einleben, sondern sich vor allem an das schnellere und körperlich robustere Spiel in der Premier League anpassen musste.

Eine Verletzung stoppte ihn jäh

Woche für Woche wurde es besser, bis zu dem Moment, als am 11. Februar die Verletzung seinen Aufschwung jäh stoppte. „Ich sehe meine erste Saison trotzdem sehr positiv“, sagt Mertesacker nun, „und ich freue mich auf hoffentlich noch viele Jahre in England.“ Er habe eine neue Sprache erlernt und „meinen Horizont erweitert, nicht nur fußballerisch, sondern ganz generell“. Vor dem Fernseher im deutschen Teamhotel erlebte er am Sonntag den letzten Spieltag, an dem sich der FC Arsenal durch einen 3:2-Sieg bei West Bromwich Albion als Tabellendritter direkt für die Champions League qualifizierte.

Der Arsenal-Trainer Arsène Wenger hatte Mertesacker erlaubt, vorzeitig zur deutschen Nationalmannschaft zu reisen. „Das ist vielleicht der einzige Vorteil der Verletzung: dass er sich ganz konzentriert vorbereiten kann“, sagt der Teammanager Oliver Bierhoff, der schon nach den ersten Tagen auf Sardinien festgestellt hat: „Per ist unglaublich heiß, er hat sich die EM in den Kopf gebrannt.“ Und auch der Assistenztrainer Hansi Flick sagt: „Er macht einen hervorragenden Eindruck und ist auf dem Weg, auf dem wir ihn erwartet haben.“

Fragt sich nur, ob die Zeit reicht. Ein Risiko jedenfalls bleibt. Mertesacker ist zwar bei den vergangenen drei Turnieren Stammspieler gewesen und zählt mit 79 Länderspielen zu den erfahrensten Kräften im Team. Ohne Spielpraxis offenbarte er aber in der Vergangenheit Unsicherheiten. Seine Situation erinnert an jene seines alten Abwehrkollegen in der Nationalmannschaft, Christoph Metzelder. Auch der war vor der EM 2008 monatelang verletzt, wurde während der Vorbereitung aufgepäppelt – und schleppte sich dann mit mäßigen Leistungen durch das Turnier.

Diese Erfahrung hat Joachim Löw anschließend dazu veranlasst, auf angeschlagene Spieler lieber zu verzichten. Mertesacker jedoch gehört zu den erklärten Lieblingen des Bundestrainers, auch weil er als wichtiger Integrator innerhalb der Mannschaft gilt. Hinzu kommt, dass es in der deutschen Verteidigung, anders als in der Offensive, nicht die größten Auswahlmöglichkeiten gibt. Neben dem Dortmunder Mats Hummels zählen die Münchner Jérome Boateng und Holger Badstuber zu den Bewerbern. Beide jedoch präsentierten sich im Pokalfinale am Samstag in beängstigend schwacher Verfassung.

Am Fernseher hat Mertesacker auch dieses Spiel verfolgt – und dürfte es zum Anlass genommen haben, bei seiner Aufholjagd noch eine Schippe draufzulegen.