Unser Kolumnist Paul Kreiner gibt einen kurzen Einblick in das Verhalten der Römer im Berufsverkehr. Dort gilt: Vorfahrt bekommt, wer keine Rücksicht nimmt. Rollstuhlfahrer haben ein Nachsehen.

Rom - Ein Mittwochmorgen. Der Bus in die Stadt ist fast voll: Franziskus-Fans auf dem Weg zur Generalaudienz, eine Schulklasse unterwegs ins Theater, Berufspendler. An einer Haltestelle warten zwei grauhaarige deutsche Rom-Besucher. Er im Rollstuhl. Damit er reinfahren kann, will der Busfahrer die Rampe runterklappen, aber zwei Touristinnen stehen auf der Klappe und geben sie nicht frei. Sie tun so, als verstünden sie keinerlei Sprache. Die Frau des Rollstuhlfahrers macht Zeichen mit den Händen: „Bitte ein wenig zur Seite!“ Doch viele im Bus zucken mit den Schultern, schütteln den Kopf: „Kein Platz hier drin!“ Einige zeigen auf die junge, schwarze Familie, die mit ihrem Kinderwagen schon einigen Raum blockiert, und sagen: „Zuerst müssen die raus!“

 

Der Busfahrer gibt auf. Der Mann im Rollstuhl blickt müde drein. Seine Frau verzieht resigniert die Lippen, dann lächelt sie hilflos und freundlich und traurig zugleich: „Ach ja, wieder mal. . .“ Die Türen gehen zu. An der nächsten Haltestelle stehen sechs Nonnen. Nicht eben zarte Persönchen, zumindest ihrer Statur nach. Sie bitten nicht. Sie lächeln nicht. Sie drängeln einfach – und sind drin. Alle sechs. Ohne dass jemand protestieren würde.

Warum dann nicht auch ein Rollstuhl Platz gehabt haben sollte, versteht keiner. Aber offenbar fragt sich das auch niemand.