Für seine Dokufilm „Musik als Waffe“ ist Tristan Chytroschek aus Calw für den Emmy nominiert worden. Ein Besuch bei dem Schwaben im Hamburg.

Calw/Hamburg/New York - Eigentlich, schießt es mir auf dem Hamburger Flughafen durch den Kopf, hätte ich mir ein Autogramm geben lassen sollen. Von Tristan, meinem Spielkameraden, mit dem ich vor 40 Jahren im katholischen Kindergarten von Calw-Heumaden Legotürme baute und später im Calwer Hesse-Gymnasium Kurvendiskussionen führte. Schließlich ist der Filmemacher als Emmy-Nominierter jetzt eine Größe im internationalen Dokumentarfilmgeschäft. Und bald vielleicht sogar eine Berühmtheit – falls er am Montagabend in New York den Fernseh-Oscar für seine Dokumentation „Musik als Waffe“ gewinnt.

 

Zwei deutsche Produktionen sind im Wettbewerb um den begehrten Preis dabei. Neben dem für ZDF/arte und den australischen Sender SBS produzierten Film von Tristan Chytroschek, der in der Sparte „Arts Programming“ nominiert ist, kann sich auch die Münchener Loopfilm für ihren Dokufilm „Wettlauf zum Südpol“ Hoffnung machen.

Während ich auf meinen Platz im Flugzeug zusteuere, genießt Tristan Chytroschek an diesem letzten Abend vor seinem Flug nach New York schwäbische Leberspätzle. Regelmäßig kommt in der Hansestadt ein Zirkel von Schwaben zusammen und genießt frisch zubereitete Speisen nach Rezepten aus der Heimat. Bei Linsen mit Spätzle oder Maultaschen wird aber nicht nur über die schwäbische Küche gesprochen, sondern auch darüber, was die Wahlhanseaten zuletzt so alles erlebten. Was Tristan so alles erlebte, hat er mir bei unserem Treffen erzählt.

Die Nachricht, dass er nominiert ist, traf ihn „wie ein Hammer“

Anfang Oktober erfährt der 44-Jährige davon, dass seine 52-Minuten-Dokumentation „Musik als Waffe“ für den Emmy nominiert worden ist. „Ich saß mit einer Freundin bei einem Glas Wein, als das Telefon klingelte. Die Arte-Redakteurin fragte mich, ob ich sitze“, erzählt Chytroschek in seinem Büro an der Außenalster. „Ich hatte geglaubt, dass eine neue Produktion, für die wir gerade in Verhandlungen stehen, gekippt wurde.“ Stattdessen die frohe Botschaft der Emmy-Nominierung. „Das hat mich getroffen wie ein Hammer.“

Ihm ist sofort klar, dass schon die Nominierung des Films die kleine Produktionsfirma mit Büros in Köln und Hamburg in neue Sphären katapultieren kann. Dann würden vielleicht auch die finanziellen Sorgen etwas geringer, von denen die Filmemacher bei jedem neuen Projekt geplagt werden. Für „Musik als Waffe“ war ein Budget von 120 000 Euro vorgesehen. Am Ende kostete der Film 60 000 Euro mehr. „Das wäre fast das Aus für unsere Firma gewesen“, sagt Chytroschek. Nicht nur die Produktionskosten belasteten die Filmemacher. Wenige Tage vor dem Abgabetermin der Produktion verließen Chytroschek die Kräfte. „Zu dem Zeitpunkt waren erst 30 Minuten Film fertig geschnitten.“

Inzwischen ist der Streifen in 18 Ländern ausgestrahlt worden. Nur in den USA wurde er nie offiziell von einem Sender ins Programm genommen. Stattdessen strahlte ihn dort der arabische Sender Al Jazeera aus und löste in der amerikanischen Öffentlichkeit eine heftige Debatte aus.

Quälen ohne anzufassen

Der Film begleitet den Komponisten Christopher Cerf, der mehr als 200 Lieder für die Kindersendung Sesamstraße geschrieben hat, auf eine dramatische Reise. Nachdem Cerf erfahren hatte, dass mit seiner Musik unter anderem Häftlinge in Guantanamo gefoltert worden sind, macht er sich auf, um an verschiedenen Orten Antworten darauf finden, was seine Lieder mit Gewalt, Folter und Tod zu tun haben. Er begegnet einem amerikanischen Soldaten, der in Guantanamo das Foltern mit Musik miterlebt hat, und er befragt einen Verhörspezialisten, der erklärt, wie der US-Geheimdienst CIA Musik als quälendes Werkzeug einsetzt. Durch tagelanges, ununterbrochenes Abspielen unerträglich lauter westlicher Musik soll der Willen der Gefangenen gebrochen werden. Das amerikanische Militär nennt dieses Vorgehen schlicht „No touch torture“ – quälen ohne anzufassen.

Die Reise führt den Komponisten zu einem Konzert der Rock-Band „Drowning Pool“. Deren Lied „Bodies“ ist zu einer heimlichen Hymne von US-Soldaten im Irak und in Afghanistan geworden – und zu einem Foltersong. Cerf will erfahren, wie die Musiker damit umgehen, dass ihr Song so missbraucht wird. Eindringlich sind auch jene Filmsequenzen, als Cerf auf einen traumatisierten ehemaligen Guantanamo-Häftling trifft, der die psychologischen Qualen der Folter durch Musik beschreibt. Um zu verstehen, was Musik Schreckliches in einem Menschen auslösen kann, wagt der Komponist am Ende sogar einen Selbstversuch.

„Musik als Waffe“ untersucht den Zusammenhang von Gewalt und Musik. Der Film macht die lange Geschichte des Einsatzes von Musik zu Kriegszwecken deutlich, führt drastisch vor Augen und Ohren, wie etwas Reines und Schönes in den Händen von Militärstrategen und Folterknechten zu einer fürchterlichen Waffe wird.

Ein altes Liederbuch als Inspirationsquelle

Auf die Idee zu dem Film war Tristan Chytroschek gekommen, nachdem seine 78-jährige Mutter Ingeborg ein Liederbuch aus ihrer Jugend auf dem Dachboden gefunden hatte. In „Wir Mädel singen“ finden sich nicht nur viele bis heute beliebte Volkslieder, sondern auch Lieder, mit denen Kinder von den Nazis auf den Kampf gegen den Feind eingeschworen wurden. „Als ich das Buch meiner Mutter durchblätterte, habe ich mich gefragt, in welcher Form Musik heute noch manipulativ eingesetzt wird“, sagt Chytroschek. Sechs Jahre dauerten die Recherchen für sein Werk.

Dass Tristan mal Filme machen würde, war nach dem Abitur, als wir uns dann langsam aus den Augen verloren, nicht abzusehen. Der gebürtige Pforzheimer studierte Maschinenbau in Esslingen, doch das Ingenieurswesen begeisterte ihn wenig. Um Abwechslung in den Studienalltag zu bringen, absolvierte er Auslandspraktika, seine Diplomarbeit schrieb er in Argentinien. Nicht die Abschlussarbeit, sondern das Schreiben des nur eine Seite umfassenden Vorworts machte ihm so viel Spaß, dass er plötzlich wusste, was er werden wollte: Journalist.

In England studierte er Medienwissenschaften, dann führte ihn der Weg über Print und Radio zum Film und der BBC, für die er Wissenschaftssendungen produzierte. Ein Kollege lockte ihn dann zur Umsetzung einer Spielshow – eine Art Kombination aus „Spiel ohne Grenzen“ und „Quarks & Co“ – nach Amerika. Schließlich führte ihn sein Weg zurück an die Themse und über den Rhein an die Elbe – wegen einer Frau vom Neckar. „Ich hatte mich total in eine Stuttgarterin verliebt“, erzählt Tristan. Weil er nicht nach Stuttgart und sie nicht nach London wollte, wurde Köln sein neuer Lebensmittelpunkt. Er wurde Mitgesellschafter der jungen Filmproduktionsfirma a&o buero, später eröffnete er das Hamburger Büro, das er bis heute leitet.

Seine nächste Produktion beschäftigt sich mit dem Handel von Elfenbein, Nashorn-Hörnern, Tigerknochen. Die werden, so hat Chytroschek recherchiert, nicht nur für die chinesische Medizin genutzt, sondern zunehmend als Spekulationsobjekte in Tresoren aufbewahrt. Die Dokumentation dreht er in Asien und Afrika. „Es wird spannend und etwas gefährlich, aber das ist absolut mein Ding“, sagt Tristan beim Abschied. Wir wollen in Kontakt bleiben.