Lachgesichter, Gemüse, Kackhaufen: Emojis sind zunehmend Bestandteil der digitalen Sprache, sie verändern unsere Kommunikation. Und: demnächst wird das Selfie-Emoji eingeführt.

Stuttgart - Ein Flugzeug. Eine Sonne. Und eine Welle. Er fand sie in der SMS eines Freundes. Emojis, wie man diese Piktogramme nennt, die sich immer häufiger um Kurzmitteilungen und Emails ranken. Er sei auf dem Weg in den Urlaub, simste ihm der Freund. Okay, dachte Anatol Stefanowitsch, dann geht es wohl mit dem Flieger in den Süden. Aber warum hatte der Freund das nicht gleich geschrieben? Dachte er vielleicht, ohne Bilder ginge die SMS in der Flut von Nachrichten unter?

 

Und überhaupt: Wo kamen diese vielen Emojis plötzlich her? Wie veränderten sie die Kommunikation im Internet? Stefanowitsch (45) ist Professor für Sprachwissenschaften an der Freien Universität (FU) Berlin. Einer, der versucht, die Linguistik aus ihrem Elfenbeinturm herauszuholen und neue Ergebnisse allgemein verständlich aufzubereiten. Einen „digital immigrant“, so nennt man Menschen wie ihn, die den Computer und das Internet erst als junge Erwachsene kennengelernt haben. Stefanowitsch bloggt, er ist bei Facebook unterwegs, er twittert. Er kommuniziert mit seinen drei Kindern per WhatsApp. Das Smartphone ist sein ständiger Begleiter. Er ist zuhause in den neuen Medien.

Emoji ungleich Emoticon

Doch die Emojis irritierten ihn. Aufgrund des ähnlichen Klanges der Begriffe werden Emojis häufig mit Emoticons verwechselt, zumal ihre Funktion und Handhabung weitestgehend identisch sind. Mit den Bildern ging es ihm wie mit den Emoticons, diesen Schmunzel- oder Schmollgesichter, mit denen seine Kinder gerne ihre WhatsApp-Nachrichten dekorierten, um zu zeigen, wie sie etwas meinten. Stefanowitsch sagt, er habe gar nichts gegen die Emoticons. Er benutze sie sogar selber, gerne auch den Zwinker-Smiley, der signalisiert: Hey, glaub nicht alles, was Du da liest. Das ist ironisch gemeint. ;-) Semikolon, Bindestrich, Klammer.

Was denn nun genau der Unterschied zwischen Emoticons und Emojis sei, wurde er immer wieder gefragt. Stefanowitsch konnte die Frage nicht eindeutig beantworten. Er recherchierte und stellte fest, seine Kollegen konnten es auch nicht. Die Emoticons waren zwar schon häufiger Gegenstand der Forschung. Es gilt als erwiesen, dass sie Informationen transportieren, die in der schriftlichen Kommunikation wegfallen. Mimik und Tonfall. Das sagt ja schon das Wort, ein Hybrid aus „emotion“ (Gefühl) und „icon“ (Bild)

Bei Emojis geht es ums Gruppengefühl

Doch über Emojis (japanisch für Bilderbuchstaben) fand er kaum Informationen. Der japanische Software-Ingenieur Shigetaka Kurita hatte sie Ende der neunziger Jahre für einen neuen Pager-Service entwickelt. Er suchte einen Gimmick, um die App auch unter Jugendlichen zu vermarkten. Inspiriert von derfernöstlichen Manga-Welt und der Kalligrafie entwarf er einen Satz von 176 Pixelbilder, darunter einen Kussmund und eine Glühbirne. Reiner Firlefanz – oder doch eine neue Geheimsprache, ein Code aus Hieroglyphen des digitalen Zeitalters? Das will Stefanowitsch jetzt herausfinden. Zusammen mit einer Kollegin wertet er systematisch halb-öffentliche Dialoge auf sozialen Netzwerken aus.

Noch ist seine Pilotstudie nicht abgeschlossen, doch den Kulturpessimisten unter seinen Kollegen gibt er schon mal Entwarnung: Der Untergang des Abendlandes, der Abschied von der Schriftsprache stehe nicht bevor. Schließlich würden Emojis überwiegend in der Kommunikation unter Menschen eingesetzt, die sich nahe stehen. Es gehe darum, ein Gruppengefühl herzustellen und soziale Beziehungen zu pflegen. „Je stärker der Fokus auf der Nachricht liegt, desto sparsamer werden die Bilder verwendet.“

Instagram nach Emojis durchsuchen

Seine Skepsis im Umgang mit den Pixelhaufen hat der Familienvater inzwischen überwunden. Ihr Siegeszug sei eine Folge des Tempos, mit dem im Internet kommuniziert werde. „Das wird immer schneller. Inzwischen kommunizieren wir fast in Echtzeit.“ Piktogramme könnten da durchaus hilfreich sein. Schließlich, sagt Stefanowitsch, sei es doch so: Man tippe eine Meldung ins Handy, doch die Empfänger seien ganz woanders, örtlich und in Gedanken. Man könne nicht erwarten, dass sie sich auf Anhieb in die eigene Situation hineinversetzen könnten. Und genau diese Lücke schließen die Emojis, sagt Stefanowitsch. Der Freund, der ihn einst per SMS über seine Urlaubspläne informiert hatte, brauche jetzt zum Beispiel nur noch drei Zeichen – Flugzeug, Sonne, Strand – wofür er sonst einen Aufsatz gebraucht hätte.

Die Emojis, sagt Stefanowitsch, erfüllten eine ähnliche Funktion wie die Hashtags bei Twitter. Das sind Schlagwörter, die man mit dem Rautezeichen # verbindet und es anderen Nutzern so ermöglicht, schnell Informationen zu einem bestimmten Thema zu suchen. Auf dem Foto-Portal Instagram ist das neuerdings auch mit Emojis möglich. Stefanowitsch sieht es als Beleg seiner These: „Ich wundere mich, dass Facebook und Twitter das nicht schon längst eingeführt haben.“

2016 soll es ein Selfie-Emoji geben

722 international anerkannte Symbole gibt es inzwischen, vom Kamel bis zum Bordell, vom Pizzastück bis zum lachenden Kackhaufen. Die Liste wird ständig aktualisiert. Vorschläge können Nutzer dem Unicode mailen, das ist eine internationale Kommission von Software-Herstellern. 38 neue Emojis haben es auf die Auswahlliste für 2016 geschafft, zum Beispiel das Selfie, eine Schwangere, die Avocado oder das Croissant. Über die Lebensmittel hat sich Stefanowitsch besonders gefreut. Schließlich, sagt er, habe er die Emojis längst auch auf ihre Praxistauglichkeit getestet.

Eine Woche kommunizierte er mit seiner Lebensgefährtin auf WhatsApp nur mit Symbolen. Eine Strafarbeit, seufzt der Berliner. Einige Lücken konnten sie zwar mit Zahlen- und Richtungspfeilen schließen. Ein Bär in Kombination mit der Deutschlandflagge hielt als Symbol für Berlin her. Doch auf den Einkaufszetteln fehlten plötzlich wesentliche Punkte. Mineralwasser zum Beispiel. „Es gibt keine Flasche“, bedauert Stefanowitsch.

Auch auf der Liste mit den neuen Piktogrammen sucht man sie vergeblich. Wissenschaftler Stefanowitsch sieht es positiv. Er sagt, noch seien die Emojis eben weit davon entfernt, das gedruckte Wort abzulösen. Eine beruhigende Erkenntnis, irgendwie. Die digital immigrants, sie können vorerst noch mitreden.