In dieser Form erstmalig umwirbt der Regierungschef von den Grünen die Nobilität des Landes. Er wolle die Leistung des Adels wertschätzen, sagt er. Ist das die ganze Wahrheit?

Stuttgart - Das Bürgertum hatte zum Adel lange Zeit ein ambivalentes Verhältnis. Wirtschaftlich meist erfolgreicher, in seinem linken Spektrum republikanisch gesinnt und auf die Gleichheit aller Menschen abstellend, fand sich bei den Bürgerlichen immer auch ein adelssehnsüchtiges Nachahmertum, vor allem den Lebensstil betreffend. Nun sucht sogar Ministerpräsident Winfried Kretschmann, der seine grün-schwarze Koalition als eine „im besten Sinne bürgerliche Koalition“ adelte, die Nähe zur Nobilität.

 

Das passt indes zum Leitbild seiner Regierungserklärung, den sozialen Zusammenhalt in der Gesellschaft zu fördern. Sich dem Allgemeinen zu entziehen gilt als Signum des Adels, doch Kretschmann ist willens, auch die Blaublüter in sein politisches Programm einzubinden. Er lädt den Adel des Landes Mitte Mai zu einem Empfang mit Abendessen ins Neue Schloss.

Das Schloss versinnbildlicht den Standesunterschied

Geladen sind nach Auskunft des Staatsministeriums etwa 80 Adlige; die nicht näher erläuterte Auswahl erfolgte unter Konsultation der Adelsvereinigung und des Hauptstaatsarchivs. Kretschmann sagt, es gehe ihm darum, die Leistung der Adelsfamilien bei Erhalt und Pflege von Schlössern und Wäldern zu ästimieren. Der Erhalt der Schlösser und anderer historischer Liegenschaften, an denen sich die Allgemeinheit erfreue, sei doch sehr teuer.

Tatsächlich erlöste das Land 2009 die badische Markgrafenfamilie mit dem Kauf von Schloss Salem aus einer prekären Lage. Der Deal, der auch etliches Kulturgut und das Versprechen des Rechtsfriedens umfasste, belief sich auf rund 60 Millionen Euro. Ein Wohntrakt aber verblieb bei der Adelsfamilie. Denn erst die Schlösser ermöglichen es dem Adel, den überkommenen Standesunterschied weithin sichtbar am Leben zu halten.

Kretschmann selbst trat in der Vergangenheit eher nicht als Adelsfreund hervor. Im Gegenteil monierte er, dass die früheren Herrscherfamilien Württemberg und Baden von den CDU-Regenten regelmäßig als Königliche Hoheiten tituliert wurden. Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU), der seinen Amtseid auf die republikanische Verfassung abgelegt hatte, tat einst kund, er könne sich auch vorstellen, unter einem Mann wie Herzog Carl (von Württemberg) demokratisch zu regieren.