Die CDU ringt mit sich um die Zukunft von Willi Stächele im baden-württembergischen Landtag – und fürchtet einen Dominoeffekt bei seinem Sturz.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Es muss eine unglaublich schwere Entscheidung sein für Willi Stächele (CDU). Fünf Monate lang war der frühere Finanzminister obenauf: Als einziges Mitglied der Regierung Mappus hatte er sich weiterhin ein Ministergehalt, Dienstwagen und alle Annehmlichkeiten eines Amtes gesichert. Landtagspräsident zu sein, zu reden, zu reisen, zu repräsentieren - das war der Traumjob des 59-jährigen Südbadeners. Und er füllte ihn nach dem Eindruck vieler Abgeordneter auch ganz gut aus. Nicht jede seiner Ideen sei ausgegoren, so das Urteil, aber er bringe frischen Schwung in die Parlamentsarbeit.

 

Nun aber soll es schlagartig vorbei sein mit dem schönen Leben? Soll er freiwillig zurücktreten, bevor ihn SPD und Grüne mit dem am Montag eingebrachten Misstrauensantrag aus dem Amt drängen? Und das alles wegen des soeben als Verfassungsbruch verurteilten EnBW-Deals, der doch zuallererst auf das Konto des abgewählten Ministerpräsidenten Stefan Mappus ging?

Doch wenn Stächeles viel gerühmter politischer Instinkt nicht in eigener Sache versagt, dann muss er auch die Kehrseite der Medaille sehen: Ein Landtagspräsident, der das Budgetrecht des Landtags auszuhebeln geholfen hat, bliebe immer eine Angriffsfläche für die Koalition. Hoch über den Abgeordneten thronend verkörperte er stets die "Schandtat", wie sie der SPD-Fraktionschef Claus Schmiedel treffend genannt hatte. Schon bei der nächsten Plenarsitzung am Mittwoch, so wäre zu befürchten, würden viele Kollegen demonstrativ sitzen bleiben, anstatt ihm wie gefordert stehend Respekt zu erweisen.

Kämpfen oder kapitulieren

Nicht minder hin- und hergerissen waren die Parlamentarier der CDU. "Der Willi" sei doch eigentlich kein Täter, sondern ein Opfer, hieß es mitfühlend. Was hätte er denn machen sollen, als ihn Mappus in der Nacht vor dem Aktienkauf die - nun als verfassungswidrig verworfene - Notbewilligung für fast fünf Milliarden Euro abpresste? Auf der anderen Seite sahen weitblickendere Christdemokraten, dass Stächele ihnen fortan ein ständiger Klotz am Bein sein würde. Wie solle die Erneuerung der Partei glaubhaft sein, wenn eine der schwersten Altlasten in seiner Person ständig sichtbar bleibe?

Kämpfen oder kapitulieren - das in der Fraktionssitzung die Gretchenfrage, wenn Stächele seinen Kollegen die Entscheidung nicht vorher abnimmt. Die Antwort fällt vielen CDU-Leuten umso schwerer, als es nicht alleine um das Schicksal des Präsidenten geht. Wer, fragen sie bang, wird bei seinem Sturz als Nächstes in Haftung genommen für die Machenschaften von Mappus?

Die Abgeordneten, die den Verfassungsbruch nachträglich abgesegnet haben - teils naiv überzeugt, teils zähneknirschend wider bessere Einsicht? Auch die anderen ehemaligen Mitglieder der Regierung, die am 6. Dezember kalt erwischt wurden und den Deal nur noch abnicken durften? Taugt überhaupt jemand aus dem Kabinett für den Präsidentenposten - oder sind alle Mappus-Mitstreiter, egal, wie kritisch sie den Premier insgeheim sahen, "verbrannt"?

Die Suche nach dem Nachfolger

Man könne zum Beispiel über Heribert Rech als Stächele-Nachfolger reden, wird aus dem grün-roten Lager signalisiert. Der war einer von fünf CDU-internen Kandidaten für die Landtagsspitze. Doch das könnte auch eine Falle sein. Der Ex-Innenminister steht nämlich für die andere große Erblast von Mappus - den Wasserwerfereinsatz im Schlossgarten.

Ebenso wie der EnBW-Kauf, analysierte der Grüne Boris Palmer klug, sei der zutiefst "unbürgerlich" gewesen. Der Unterschied zu Stächele: Rech wurde offenbar nicht selbst aktiv, sondern überließ das eigentlich von ihm zu bestellende Feld komplett dem Ministerpräsidenten. Erst hinterher verteidigte er das Geschehene wortreich. Sei der Ex-Minister erst einmal gewählt, so die Sorge in der CDU, begännen auch die Angriffe auf ihn - wie zuvor bei Stächele. SPD und Grüne hatten freilich immer klar gesagt, dass dessen Zukunft vom Urteil des Staatsgerichtshofs abhänge. Er nahm es nicht ernst oder verdrängte es.

Auch in der FDP wird heftig gerungen, wie man sich im Fall Stächele verhalten soll; noch gibt es keine klare Ansage. Prekär ist das Thema vor allem für den Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke. Als "bester Freund" von Mappus muss er am ehesten fürchten, für den EnBW-Coup in Mithaftung genommen zu werden. Ex-Justizminister Ulrich Goll, der den rechtswidrigen Deal blauäugig bejubelte, ist nur noch Hinterbänkler. Dabei spricht manches dafür, dass auch Rülke überrumpelt wurde - und gute Miene machen musste.

Ist Stächele ein Fall für den Verfassungsschutz?

Wenn Stächele fällt, könnte auf Dauer auch seine eigene, keineswegs völlig stabile Position wackeln. Andererseits muss die FDP aufpassen, dass sie nicht schon wieder vor der eigenen Parteijugend dumm dasteht. Die Julis unter dem 25-jährigen Landeschef Jens Brandenburg waren es, die die Problematik des EnBW-Deals als Erste erkannten, sie sind es auch jetzt, die Stächeles Rückzug für unausweichlich halten. Verkämpft sich Rülke aus Eigeninteresse für den Präsidenten, könnte er schnell auf dem falschen Fuß erwischt werden.

Außerhalb des Politikbetriebs gab es derweil eine Frage zu klären, die etwa in Online-Foren aufgeworfen wurde: Ist Stächele nun, da ihm höchstrichterlich ein Verfassungsbruch bescheinigt wurde, ein Fall für den Verfassungsschutz? Steht er fortan wegen Wiederholungsgefahr unter Beobachtung?

Schließlich hatte er angekündigt, er würde heute wieder genauso entscheiden. Die Anfrage an das Landesamt für Verfassungsschutz beantwortete das SPD-geführte Innenministerium: Man sei nur zuständig für die Abwehr von Gefahren für die freiheitlich-demokratische Grundordnung. Der Fall Stächele zähle dazu nicht.