Der russische Geschäftsmann Andrey Bykov hat Kontakte bis in höchste Kreise – und kooperiert schon seit Jahren mit der EnBW.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Karlsruhe - Zumindest in einem Punkt waren die Dementis eindeutig. Nein, versicherten die EnBW und ihr früherer Chef Utz Claassen, mit Scheingeschäften habe man nichts zu tun . Ansonsten ließen ihre Stellungnahmen zu den Behauptungen des russischen Geschäftsmannes Andrey Bykov manches offen.

 

Ob Bykov wirklich Lobbyarbeit geleistet hat, um der EnBW Zugang zu sibirischem Erdgas zu verschaffen? Ob ein von ihm angebahntes Milliardengeschäft tatsächlich kurz vor dem Abschluss stand? Seit wann und inwieweit man überhaupt kooperiert? Dazu blieb die Auskunft des Karlsruher Konzerns seltsam vage. Um das Gasgeschäft weiterzuentwickeln, prüfe man „immer wieder verschiedene Optionen auch im Ausland“. Sofern solche Projekte nicht zustande gekommen seien, „waren hierfür stets rein wirtschaftliche Gründe ausschlaggebend“. Auch Claassens Erklärung musste man genau lesen. Die Geschäftsbeziehung sei „jedenfalls nicht während seiner Amtszeit als Vorstandsvorsitzender . . . eingegangen“ worden, ließ er erklären; das sei „zweifelsfrei beweisbar“.

In der Tat. Nach StZ-Recherchen reicht der geheimnisumwitterte Kontakt bereits in die Zeit seines Vorgängers Gerhard Goll zurück – und sogar noch weiter. Goll bekam Bykov, wie er sich erinnert, im Spätjahr 2001 anlässlich eines Besuchs im Kernkraftwerk Neckarwestheim (GKN) vorgestellt – und zwar vom damaligen kaufmännischen Geschäftsführer Wolfgang Heni. Mit dem Russen, erläuterte der ihm, verbinde GKN „schon eine längere Geschäftsbeziehung zu kerntechnischen Themen“. Der inzwischen pensionierte Heni ist einer jener vier Manager, die die EnBW wegen der Geschäfte mit Bykov auf 93 Millionen Euro Schadenersatz verklagt – und eine Schlüsselfigur in der Russland-Affäre. Schon lange vor der Fusion zur EnBW pflegte er, auch als Einkäufer für Uran, beste Beziehungen in den Osten. So könnte auch der Kontakt zu Bykov entstanden sein, der früher als Diplomat in Bonn und Berlin tätig gewesen sein soll – Deutsch spricht er fließend – und später als Strippenzieher im internationalen Energiegeschäft agierte.

„Gas zu günstigen Konditionen“

Bykov unterbreitete dem damaligen Konzernchef Goll sogleich ein Angebot: Er könne für die EnBW „Gas zu günstigen Konditionen aus der UdSSR beschaffen“. Die Karlsruher waren interessiert, man kam offiziell mit Bykovs Firma ins Geschäft. Sie vermittelte einen Kontakt zum staatlichen Mineralölunternehmen Rosneft, das auch Gas fördert und die EnBW beliefern wollte. Ende 2002 stellte sich heraus, dass dieses Ziel – so Goll – zu den für die EnBW relevanten Bedingungen nicht erreichbar war. Welche Hürden im Weg standen, sagt der ehemalige Vorstandschef nicht.

Verhinderte der französische Großaktionär EdF aus nationalen Interessen etwa schon damals, dass Badener und Russen ins Geschäft kamen? Das könnte erklären, warum spätere Kontakte – so Bykovs Darstellung – an den Franzosen vorbei eingefädelt wurden. Völlig abwegig wäre der Versuch übrigens nicht, wie Insider erläutern. Die Anbahnung eines Milliardendeals hätten die EdF-Leute zwar unterbinden können, bei einem ausverhandelten, für die EnBW womöglich sehr vorteilhaften Vertrag, wäre ihnen das ungleich schwerer gefallen. Pikanterie am Rande: für das Gasgeschäft war im Vorstand damals ausgerechnet der Franzose Pierre Lederer zuständig.

Trotz des geplatzten Gasdeals, mit dem zunächst auch die vertraglichen Beziehungen endeten, kamen die EnBW und Bykov erneut ins Geschäft. Anfang 2003 wurde laut Goll ein Vertrag mit dem Kernkraftwerk Neckarwestheim besiegelt. Dessen Ziel: zusammen mit dem damaligen US-Konzern Westinghouse sollten in Russland Kapazitäten für die Produktion von Brennelementen für EnBW-Reaktoren aufgebaut werden. Im April 2003 schied Goll aus. Was danach geschah, sagt er, wisse er nicht.

In den Atommeilern des Konzerns wurden jedenfalls schon früh russische Brennstäbe eingesetzt, auch solche mit Uran aus Militärbeständen. Beide Seiten profitierten: Die Russen konnten das hochangereicherte Uran etwa aus U-Booten oder Eisbrechern gleichzeitig entsorgen und Geld damit verdienen, die Deutschen kamen günstig an Atombrennstoff – eine moderne Variante von „Schwerter zu Pflugscharen“. Man machte Geschäfte und diente auch noch dem Weltfrieden.

Bykov war dabei eine Schlüsselfigur. Vor zehn Jahren propagierte er die Idee als Geschäftsführer einer in der Schweiz ansässigen Firma: des Nuclear Disarmament Forum (NDF) in Zug, zu deutsch Abrüstungsforum. Präsident war der mehrfache Schachweltmeister Anatolij Karpov, mit dem Bykov angeblich auch die Liebe zum Schachspiel verband. Gegründet und mit Kapital ausgestattet wurde das Forum vom Brennstoffeinkäufer eines Schweizer Kernkraftwerks, zu dem Bykov später auf Distanz ging. Nicht kommerzielle Interessen, sondern idealistische sollten im Vordergrund stehen – jedenfalls in der öffentlichen Wahrnehmung. Doch die hehren Motive wurden ihm nicht durchweg abgenommen, wie die Misstöne um eine PR-Veranstaltung 2002 in Zug zeigten.

Nach dem Fehlschlag tauchte Bykov ab

Mit großem Brimborium wollte das Forum damals mehrere Friedenspreise verleihen – unter anderem an den südafrikanischen Bischof Desmond Tutu und den russischen Präsidenten Wladimir Putin, zu dem Bykov schon damals gute Kontakte nachgesagt wurden. Ob er auch offiziell einer der Wirtschaftsberater Putins war, blieb immer diffus. Die Preisverleihung erfolgte durch Putins Vorvorgänger Michail Gorbatschow, für das Rahmenprogramm im Zuger Stadtcasino hatte man das russische Staatsorchester und die Starlets Michelle Hunziker und Lolita Morena engagiert. Beköstigt wurden die Gäste mit Champagner und Kaviarhäppchen.

Doch das Großaufgebot an Prominenz half wenig, die Preisverleihung wurde von Protesten überlagert. Greenpeace sah darin eine Reinwaschung für „fragwürdige Atomgeschäfte“, der Zuger Landammann sagte demonstrativ wieder ab – auch wegen Putins Rolle im Tschetschenienkrieg, aber vor allem, weil er sich nicht für undurchsichtige PR-Zwecke einspannen lassen wollte. Bykov zeigte sich damals fassungslos über das ihm entgegenschlagende Misstrauen. Er werde weiterhin für Abrüstung kämpfen, verkündete er trotzig.

An Medienkontakten hat Bykov kein Interesse

Nach dem Fehlschlag indes mied er die Öffentlichkeit, bis heute. An Medienkontakten sei er nicht interessiert, sagt sein deutscher Anwalt. Die deutsch-russische Außenhandelskammer in Moskau, deren Präsidialrat er angehört, darf nicht einmal seine Kontaktdaten herausgeben. In der Mitgliederliste, die auch die deutschen Topmanager Klaus Mangold und Eckhard Cordes aufführt, firmiert er als „Geschäftsführer von Energonavigator“. Die Firma bietet sich als Plattform an, um internationale Kontakte in der Energiebranche und den gegenseitigen Austausch zu fördern – teils bei Konferenzen, teils im Internet. Dort ist Bykov immerhin auf Videos zu sehen: ein Mann um die fünfzig mit weichem, bubenhaften Gesicht, dessen Züge ein wenig an den jungen Jelzin erinnern. Auffällig sind seine braunen Augen, die beim Reden ständig hin und her wandern – als würde er das Publikum abscannen. Bykov sei religiös und verehre den heiligen Nikolaus, heißt es, er soll auch karitativ tätig sein.

Doch meistens geht es wohl um Geschäfte. Vom Zuger „Abrüstungsforum“ gibt es übrigens eine interessante Verbindung zu einer der beiden Firmen, die die EnBW heute darauf verklagen, 120 Millionen Euro für angebliche Lobbyarbeit in Russland behalten zu dürfen: Die Eurepa Suisse SA residierte damals unter der gleichen Adresse wie NDF. Später zog sie ebenso wie die zweite klagende Firma, Pro Life Systems SA, nach Zürich um. Ihr Zweck ist laut Schweizer Handelsregister bei Eurepa „der Aufbau eines internationalen Netzwerks . . . zwischen Westeuropa und den GUS-Ländern, insbesondere in den Bereichen Energie und Versicherungswesen“, bei Pro Life Systems geht es um Bau und Vertrieb von Kontroll- und Mautsystemen für Verkehr, Transport und Logistik. 2009 ist Bykov aus den Funktionen dort ausgeschieden. Inwieweit er mit den Firmen verbunden blieb, ist unklar.

Im gleichen Züricher Bürohaus, Stockerstrasse 50, residierten damals zwei Bykov-Firmen, an denen die EnBW beteiligt war: Easy Toll Systems und ETS Premium. Angeblich ging es dort um ein System, mit dem der Weg radioaktiver Materialien in Russland verfolgt werden sollte. Nachdem Moskau die Mittel dafür gestrichen hatte, versandeten die Pläne. Inzwischen sind die Unternehmen liquidiert. In ihren Gremien saßen einst zwei der Manager, gegen die die EnBW heute klagt: Heni und der gerade wiederbestellte Technikvorstand Hans-Josef Zimmer. Heni war Ende der neunziger Jahre übrigens auch an Gesprächen mit russischen und Schweizer Akteuren beteiligt, in denen es um ein atomares Endlager in Russland ging. Diesen „Meinungsaustausch“ habe aber nicht die EnBW initiiert, versicherte das Unternehmen später. Konzernintern beflügelt der Vorgang die Spekulationen, bei der Russland-Affäre gehe es um weitaus mehr, als bisher bekannt sei.

Mehr Klarheit könnte es geben, wenn Bykovs Klage der EnBW auch offiziell zugestellt wird – und eines Tages öffentlich darüber verhandelt würde. Noch indes liegt die 77-seitige Schrift beim Karlsruher Landgericht, das auf den Kostenvorschuss von 300 000 Euro wartet. Über die Gründe des Zögerns darf Bykovs Anwalt – was Wunder – nichts verraten.