Die Kontrolleure des Landes sollen bei der Aufsicht über die Kernkraftwerke nicht mehr mit der Betreiberfirma EnBW kungeln. Aber vergraulen will man sie auch nicht. Für das Umweltministerium ist das eine Gratwanderung.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Es war eine heikle Gratwanderung für Franz Untersteller (Grüne). Einerseits kam der Umweltminister nicht umhin, seiner eigenen Atomaufsicht erhebliche Fehler zu bescheinigen. Zu offenkundig hatten die Kontrolleure beim Umgang mit anonym gemeldeten Sicherheitsverstößen im Kernkraftwerk Philippsburg versagt. Andererseits musste er seine Kritik möglichst konstruktiv formulieren, denn auf die zuständigen Beamten ist er weiterhin angewiesen; nur vereinzelt rücken neue für ausscheidende nach. Also sprach Untersteller diplomatisch von einer „lernenden Organisation“ und davon, dass ein „selbstkritisches Hinterfragen das Merkmal einer verantwortungsvollen Atomaufsicht“ sei.

 

Noch schwieriger ist die Gratwanderung für den Beamten, der seit gut einem Jahr an der Spitze der Abteilung steht: Gerrit Niehaus, zuvor Referatsleiter in der Atomaufsicht des Bundes. Das Vertrauen des Ministers, der ihn lange kennt und als „absoluten Experten“ schätzt, genießt er uneingeschränkt. Von den Mitarbeitern aber wurde er mit gemischten Gefühlen aufgenommen. Niehaus nämlich war es, der den Aufsehern des Landes gleich zweimal massiv auf die Sprünge helfen musste: im Jahr 2001, als sie die Tragweite schwerer Sicherheitsverstöße in Philippsburg partout nicht erkennen konnten oder wollten, und 2011 wieder, als erst durch ein anonymes Schreiben neue, gravierende Schlampereien in dem Atommeiler bekannt wurden. Beide Male gerieten die jeweiligen CDU-Minister, zunächst Ulrich Müller und später Tanja Gönner, erheblich in Bedrängnis.

Der neue Chef stößt nicht nur auf Gegenliebe

Natürlich sei „ein Wechsel an der Abteilungsspitze nicht immer reibungslos“, sagt Niehaus selbst. Das gelte erst recht, wenn der Neue von der Bundesaufsicht komme, „mit der es einige Streitigkeiten gab“. Da bleibe es auch nicht aus, „dass meine Veränderungen oder die notwendige Aufarbeitung von Schwächen nicht nur auf Gegenliebe stoßen“. Insgesamt aber habe er „eine gut organisierte Abteilung vorgefunden und einen sehr motivierten Mitarbeiterstab“. Seine Erkenntnis: Der gute Ruf, den die baden-württembergische Aufsicht bundesweit genieße, „hat sich mir bestätigt“.

Vielleicht muss der Ministerialdirigent so reden, um seine Leute bei Laune zu halten. Doch das Lob wirkt etwas dick aufgetragen angesichts der Versäumnisse der Aufsicht, die bei der Aufarbeitung der anonym gemeldeten Vorfälle sichtbar wurden. Die seien fast noch gravierender als die Verstöße der EnBW als Betreiber, hört man als Einschätzung aus Fachkreisen. Im Grunde sei es „ein Behördenskandal“, wie die Kontrolleure da mit den Kontrollierten gekungelt hätten, befindet ein international renommierter Reaktorsicherheitsexperte. Sein Fazit: Bei den „Mauschelbrüdern“ im Ministerium müsse man schon gründlich aufräumen.

Andere, teils ehemalige Akteure bestätigten diesen Eindruck: Viel zu distanzlos sei das Verhältnis zwischen den EnBW-Leuten in Philippsburg und ihren Aufsehern in Stuttgart gewesen. Auf dem kurzen Dienstweg seien Fehler abgehakt oder sogar vertuscht worden, die eigentlich offengelegt und gründlich aufgearbeitet gehört hätten. „Da wurde viel telefoniert, aber wenig dokumentiert“, sagt ein Kenner. Die Verantwortung zwischen den Betreibern und der Aufsicht sei so zusehends verwischt worden. Selbst der frühere Konzernchef Gerhard Goll, der nach den Pannen von 2001 hart durchgriff, soll sich einst darüber aufgeregt haben.

Der Minister lässt die Vorfälle intern aufarbeiten

Für den neuen Minister Untersteller hätten die Vorgänge allemal Anlass sein können, die Probleme bei der Aufsicht – ebenso wie die Vorfälle in Philippsburg – von externen Gutachtern durchleuchten zu lassen. Doch das wäre wohl ein schlechter Start für seinen neuen Abteilungsleiter gewesen. Also entschied man sich für eine interne Aufarbeitung unter Federführung von Niehaus. Er bildete eine Arbeitsgruppe, der bewusst kein Mitarbeiter des für Philippsburg zuständigen Referates angehörte. Zwölf Mal tagte die Runde, sichtete Unterlagen, befragte die zuständigen Aufseher und die beteiligten Tüv-Prüfer.

Auch Niehaus’ Vorgänger Oskar Grözinger, von Untersteller einst mit lobenden Worten in den Ruhestand verabschiedet, wurde angehört. Seine Rolle erscheint im Nachhinein weniger rühmlich: Beim wohl gravierendsten Vorfall, als die Philippsburger nur für die Revision genehmigte Arbeiten bei laufendem Betrieb durchführten, wurde er wegen des Urlaubs der eigentlich Zuständigen persönlich eingeschaltet. Doch für eine angemessene Reaktion sorgten weder der Chef noch später seine Mitarbeiter: Das Abweichen der EnBW von den Vorgaben sei weder umgehend gerügt noch sicherheitstechnisch aufgearbeitet worden, moniert der Abschlussbericht des Ministeriums.

Insider sagen: die ganze Truppe ist verseucht

Dem 80-Seiten-Papier merkt man an, dass lange an dem Text gefeilt wurde. „Es wäre konsequent gewesen (. . .)“, „es wäre von Vorteil gewesen (. . .)“ – mit solchen Formulierungen wird die Kritik möglichst schonend verpackt. Versäumnisse benennen, aber die Verantwortlichen nicht vor den Kopf stoßen: von diesem Bemühen ist die Analyse sichtlich geprägt.

Nicht alle Atomexperten sind sich sicher, ob Untersteller und Niehaus mit dieser sanften „Umerziehung“ Erfolg haben werden. Im Grunde sei „die ganze Truppe verseucht“, sagt ein Insider, der neue Chef stehe „allein auf weiter Flur“. Doch das sieht Niehaus anders. Die Mitarbeiter seien „sehr auf mich zugegangen“, und er habe auch „viel Verständnis gewonnen“.