EnBW-Deal Eine Zeitbombe bringt Stächele ums Amt

"Tragisch" ist das meistbenutzte Wort in der CDU: Wie Stefan Mappus seinen Minister Willi Stächele schon im Dezember 2010 politisch erledigt hat.
Stuttgart - Selbst im bittersten Moment seines Politikerlebens beweist Willi Stächele noch Humor. "Ich dachte, abwärts geht's schneller", witzelt der Landtagspräsident, als er - umringt von Reportern und Kamerateams - eine halbe Ewigkeit vor dem Aufzug warten muss. Kurz zuvor hatte er in drei dürren Sätzen seinen Rücktritt erklärt und wollte eigentlich nichts mehr hinzufügen. Erst am Mittwoch im Landtag will er den Schritt offiziell begründen. Nun, da er mit Fragen bestürmt wird, sagt er doch noch etwas. Ob er Wehmut empfinde? "Ich hab's gern gemacht", sagt der 59-jährige Südbadener und lächelt melancholisch.
Gut gemacht habe er es obendrein, hatte ihm der CDU-Fraktionschef Peter Hauk kurz zuvor bescheinigt. In seiner kurzen Amtszeit habe Stächele "frischen Wind" in die Parlamentsarbeit gebracht. Dass er so schnell wieder abtreten muss, bedauern viele CDU-Abgeordnete; "tragisch" ist das meistbenutzte Wort an diesem Dienstag. Man werde Stächele zu nichts drängen, sondern seine Entscheidung akzeptieren - das war die Linie vor der wie immer um 14 Uhr beginnenden Fraktionssitzung.
Als Stächele und Hauk Seite an Seite in den Sitzungssaal gehen, ist die Nachricht schon seit einer Stunde raus: Der Ex-Finanzminister werde nach dem Urteil des Staatsgerichtshofs, der ihm beim Kauf der EnBW-Aktien einen Verfassungsbruch bescheinigt hatte, seinen Hut nehmen. Zweimal hört man hinter den verschlossenen Türen Applaus - das erste Mal, als sich der Nochpräsident selbst erklärt, das zweite Mal, als Fraktionschef Hauk ihm dankt. Dann kommen beide kurz heraus, um den Rücktritt zu bestätigen. "Ich gebe mein Amt zurück", lautet der Kernsatz.
Abgeordnete sehen Stächele als Opfer Mappus'
Der Antrag von SPD und Grünen, ihm am Donnerstag per Abstimmung das Vertrauen zu entziehen, ist damit hinfällig geworden. Stächele lässt sich nicht vorführen, er will - soweit das noch geht - in Würde abtreten. Unvermeidlich war dieser Schritt seit dem vorigen Donnerstag, als die Verfassungsrichter ihn unerwartet deutlich verurteilten:
Bei der Freigabe von fast fünf Milliarden Euro per Notbewilligungsklausel habe er das "Königsrecht" des Landtags verletzt, über den Haushalt zu bestimmen. Wie schnell Stächele seine Lage realisierte, ist von außen schwer zu beurteilen; politischen Instinkt dafür hat er genug. Viele Abgeordnete aber wollten partout nicht wahrhaben, dass der Rücktritt unbedingt sein müsse. Bis zuletzt verfochten sie die These, Stächele sei doch kein Täter, sondern das Opfer des früheren Ministerpräsidenten Stefan Mappus.
Das stimmt in gewisser Weise - aber insgesamt doch nicht. Wahr ist, dass Mappus seinen Finanzminister in eine fast schon teuflische Zwangslage brachte, als er ihn am Abend des 5. Dezember 2010 etwa um 23 Uhr mit seinem Ansinnen überrumpelte: Stächele müsse fast sechs Milliarden Euro bewilligen, damit das Land die EnBW-Aktien der Électricité de France (EdF) kaufen könne.
Stächele in der Zwickmühle
Da der Landtag aus Geheimhaltungsgründen nichts erfahren dürfe, habe er das Geld mit der eigentlich für Erdbeben oder Seuchen vorgesehenen Klausel lockerzumachen. Hätte Stächele sich geweigert, wäre anderntags sein Rücktritt fällig gewesen - ein beispielloses Debakel drei Monate vor der Wahl. Also setzte er seinen "Willi" unter die Notbewilligung und ersann einen vermeintlich cleveren Ausweg: Per Aktennotiz hielt er fest, wie wenig, zu wenig Zeit ihm für die Prüfung der Milliardenausgabe geblieben war. Öffentlich verkündete er unverdrossen das Gegenteil.
Die Wahrheit wäre vielleicht nie bekannt geworden, wenn die CDU einem sicheren Sieg entgegengegangen wäre. Doch als die Wahlaussichten düsterer erschienen, wurden Auszüge aus dem Vermerk den Medien zugespielt - ob von ihm selbst oder von dritter Seite, wird wohl nie herauskommen. Jedenfalls stand Stächele nun als halbwegs aufrechter Finanzminister da, der seinem autokratischen Ministerpräsidenten nur widerstrebend gefolgt war.
Mit dieser Legende startete der 59-Jährige, der zuvor schon Europa- und Agrarminister gewesen war, nach dem Machtverlust seine neue Karriere. Gleich vier CDU-interne Konkurrenten - darunter drei ehemalige Kabinettskollegen - schlug er bei der internen Nominierung aus dem Feld. Mit breiter Mehrheit, darunter vielen Stimmen von Grünen und SPD, wurde er im Mai zum Landtagspräsidenten gewählt. Dass er gleichsam eine Zeitbombe am Bein hatte, wollte in der CDU niemand sehen.
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