Nach der Atomkatastrophe in Japan wachsen die Zweifel am Wert von EnBW. Mit dem schnellen Wiederverkauf wird es wohl nichts werden.  

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Die Staatsanwaltschaft arbeitete ausnahmsweise einmal schneller als angekündigt. Drei Monate - also bis nach der Wahl - glaubten die Stuttgarter Ermittler eigentlich zu benötigen, um die Strafanzeigen gegen Ministerpräsident Stefan Mappus und Finanzminister Willi Stächele (beide CDU) wegen des EnBW-Deals zu prüfen. Aber dann kamen sie doch schon nach wenigen Wochen zu dem Ergebnis, dass es nichts zu ermitteln gebe: Für den Anfangsverdacht der Untreue fehle es an konkreten Anhaltspunkten, der Aktienkauf könne ein "treuwidriges Risikogeschäft" gewesen sein. Nichts deute darauf hin, dass gegen die "Regeln der kaufmännischen Sorgfalt" verstoßen worden sei. Ein Vermögensschaden lasse sich so wenig erkennen wie eine Vermögensgefährdung. Also, lautete das Fazit der für politisch heikle Fälle zuständigen Staatsanwältin, gebe es keine "verfolgbare Straftat".

 

Inzwischen, keine drei Wochen später, steht der Persilschein der Justiz in einem seltsamen Kontrast zur politischen Diskussion. Die dreht sich zusehends um die Frage, welche Vermögensschäden dem Land durch Mappus' milliardenschweren Überrumpelungscoup drohen. Bis in CDU-Kreise hinein wird bereits der Vergleich mit dem Skandal um die Hypo Alpe Adria gezogen - jener österreichischen Bank, bei der sich die BayernLB viel zu teuer einkaufte, die für den Freistaat zum Milliardengrab wurde und längst die Staatsanwaltschaft und einen Untersuchungsausschuss beschäftigt. Selbst wenn der Ministerpräsident die Wahl noch einmal gewinnen sollte, prophezeien Parteifreunde, werde er seines Amts nicht mehr froh: Dann müsse er ausbaden, was er mit der Geheimaktion angerichtet habe.

Früher als erwartet erfüllt sich nun auch die Sorge von Regierungsstrategen, der EnBW-Deal könne zum Gegenstand eines Untersuchungsausschusses werden. Für die Grünen ist mit den neuen Informationen über die späte Einbeziehung des Finanzministers das Maß voll: Sie fordern ein solches Gremium für die Zeit nach der Wahl - unabhängig davon, wer dann regiert. Dass ausgerechnet jetzt ein Vermerk Willi Stächeles bekannt wird, wonach er erst am Vorabend um 23 Uhr eingeweiht wurde, wundert manche Koalitionskollegen nicht. Stächele wolle wohl deutlich machen, dass er das Milliardengeschäft, entgegen allen offiziellen Beteuerungen, schon aus Zeitgründen gar nicht näher prüfen konnte. Für die immer klarer werdenden Risiken, so die Botschaft, könne man ihn nicht in Haftung nehmen.

Mappus steht mit seiner Einschätzung einsam da

Massive Zweifel am Sinn des EnBW-Deals gab es schon vor der Atomkatastrophe in Japan. Die meisten Analysten beurteilten die deutschen Energieversorger skeptisch. Auch die Investmentbank Morgan Stanley, deren Deutschlandchef Dirk Notheis das Geschäft mit seinem Freund Mappus einfädelte, machte da keine Ausnahme: "Stay cautious", seien Sie vorsichtig, warnten die Banker im September in einer Studie über RWE und Eon. Begründet wurde die negative Einschätzung ("untergewichten") unter anderem mit den politischen Risiken für die Atomkraftwerke. Für die EnBW als Konzern mit dem höchsten Kernkraftanteil müsste das umso mehr gelten. Kannte Mappus das Papier von Morgan Stanley Research Europe? Man habe die öffentlich zugänglichen Researchberichte bei der Ermittlung des Kaufpreises ausgewertet, antwortet das Staatsministerium. Notheis selbst äußert sich grundsätzlich nicht. Nur als jetzt angebliche Äußerungen von ihm die Runde machten, der EnBW-Kauf sei für das Land ein "Bombengeschäft", sofern kein Atommeiler in die Luft fliege, dementierte er scharf: Nie habe er dergleichen gesagt, "ein solcher Zynismus ist mir absolut fremd".

Seit Fukushima haben sich die Aussichten für die EnBW noch einmal erheblich verdüstert. Je radikaler die Atomwende in Deutschland ausfällt, desto größere Einbußen drohen dem Konzern mit seinen bisher vier Reaktoren. Da stellt sich die schon bisher aufgeworfene Frage, ob das Land mit 4,7 Milliarden Euro nicht zu viel für seine 45 Prozent bezahlt hat, noch deutlich schärfer. "Absoluten Quatsch" nennt Mappus die Diskussion über den Marktwert der EnBW; der hänge doch nicht davon ab, ob ein Altmeiler ganz und einer temporär stillgelegt werde. Doch mit dieser Einschätzung steht er ziemlich einsam da.

Allenthalben werden die Perspektiven für die EnBW-Aktie derzeit als stark eingetrübt angesehen. Jene 41,50 Euro, die das Land allen Anteilseignern anbietet, würden nach Ablauf des Übernahmeangebots so schnell nicht wieder erreicht - oder überhaupt nicht mehr. Immer mehr Kommunen entscheiden sich in diesen Tagen denn auch, ihre Papiere abzustoßen. Die erste Frist dafür lief am Freitag ab, eine Nachfrist am 6. April. Dann wird sich der Kurs an der Börse wieder frei bilden und ein gewisses Indiz für den tatsächlichen Wert des Unternehmens geben. Jeder Euro unter dem Kaufpreis bedeutet dann einen Verlust von 112 Millionen Euro. Rechnerisch, fürchten Experten, könne sich das schnell auf ein Milliardenminus summieren.

Finanziellens Fiasko für Baden-Württemberg?

Schon jetzt ahnen die klügeren Köpfe in der Koalition, dass es mit dem raschen Wiederausstieg des Landes nichts werden wird. Mit Verlust zu verkaufen kann sich keine Regierung leisten. Der FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke stimmte die Öffentlichkeit schon einmal auf eine "Durststrecke" ein: Man müsse die Aktien wohl eher bis 2016 halten. Das aber könnte die auf Kante genähte Finanzierung ins Wanken bringen. Eine der beiden Milliardenanleihen, deren Zinsen das Land mit der EnBW-Dividende bezahlt, läuft 2014 aus. Den äußerst günstigen Zinssatz von 1,9 Prozent dürfte es dann nicht mehr geben. Was Wunder, dass immer mehr Stimmen vor einem finanziellen Fiasko für Baden-Württemberg warnen - vom Bund der Steuerzahler über Wissenschaftler bis zur Landtagsopposition. Im Fall eines Wahlsieges, schwant es SPD und Grünen, habe man einen schweren Klotz am Bein.

Auch die Justiz dürfte sich mit dem EnBW-Deal noch einmal beschäftigen müssen. Zumindest einer der vier Anzeigeerstatter will sich mit dem Bescheid der Staatsanwaltschaft nicht abfinden und neue Ermittlungen fordern.

Kurioser Streit über Erlös aus Aktienverkauf

Problem: Der Streit über die Gewinnverteilung aus dem Verkauf der EnBW-Aktien in der Stadt Villingen-Schwenningen ist beigelegt. Damit kann die Gemeinde jetzt ihre rund 63.000 Anteile für 2,6 Millionen Euro an das Land Baden-Württemberg veräußern. Der Verkauf war zuvor gescheitert, weil die Gemeinde Mühlhausen, die 1969 in Villingen-Schwenningen eingemeindet wurde, mindestens 50 Prozent von dem Geld beansprucht. Immerhin habe sie die Aktien damals gekauft.

 Lösung: Nun wurde ein Kompromiss gefunden: Mühlhausen erhält 45 Prozent des Geldes, der Rest fließt in die Sanierung des Haushalts. Die 800 Einwohner in Mühlhausen können sich jetzt über einen wahren Geldsegen freuen. „Würde man die 1,1 Millionen Euro aufteilen, wären das etwa 1350 Euro pro Einwohner“, sagte Pressesprecherin Elke Zimmermann. Das Geld werde jedoch auf ein Konto für Sanierungsmaßnahmen eingezahlt. lsw