Der EnBW-Steinkohlekraftwerkblock RDK 8 in Karlsruhe gilt als relativ modern und sauber: Aber er läuft kaum noch. Die Stromerzeugung aus uralten Braunkohlewerken und Erneuerbaren Energien ist günstiger.

Karlsruhe - Der Blick von Jürgen Szabadi, Werksleiter am Rheinhafen-Dampfkraftwerk (RDK) der EnBW in Karlsruhe, schweift mit Interesse auf den Rhein, manchmal auch über den Rhein. Zum einen beschert der seit Wochen relativ niedrige Pegelstand des größten deutschen Stroms derzeit erhöhte Transportkosten für die Steinkohle, von der sein hochmoderner Kraftwerksblock RDK 8 bei Vollbetrieb jeden Tag 10 000 Tonnen verheizt. Zum anderen sorgt die zeitweise Stilllegung von fünf Atomkraftwerken in Frankreich für eine leichte Verknappung des Stromangebots, sodass Szabadi seinen vergleichsweise teuren Kohlestrom gut anbieten und sein Kohlekraftwerk wieder hochfahren kann.

 

Unter dem Titel „Meilensteine der Ingenieurbaukunst“ hatten die Ingenieurkammern von Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz dieser Tage die Presse zu einem Blick hinter die Kulissen des im Mai 2014 eröffneten und 1,3 Milliarden Euro teuren Steinkohlekraftwerks Block 8 in Karlsruhe (RDK 8) eingeladen.

Wegen Pannen in Frankreich wird jetzt hochgefahren

Und so faszinierend die Technik, der Blick auf die riesige 912 Megawatt-Turbine oder auf die 5000 Tonnen schwere, wegen der Hitzeausdehnung an der Decke aufgehängte Brennkammer (Dampferzeuger) auch war, so frappierender waren die Ausführungen des Werkdirektors. RDK 8 ist ein Kraftwerk des Stillstands – es läuft ja kaum, und wenn das jetzt wegen Frankreich anders sein sollte, dann stellt das Jürgen Szabadi, um die 50, ein Zwei-Meter-Mann, mit der Sachlichkeit eines Maschinenbauingenieurs fest. Freudige Erregung ist nicht zu spüren, wenn er sagt: „Vermutlich wegen der Ereignisse in Frankreich werden wir in eine Phase gehen, wo wir RDK 8 auch am Wochenende wieder anfahren werden.“

Das ist eine kleine Sensation. Gerade im Sommer sei der Betrieb am Wochenende sowie montags und freitags gestrichen worden, sagt Szabadi. Verantwortlich dafür sei die Merit Order, die Wert-Reihenfolge bei der Einspeisung von Energie ins Stromnetz, von der beim Baubeschluss für RDK 8 im Jahr 2006 keiner etwas ahnen konnte. „Der Vorrang der Erneuerbaren Energien führt zu deutlichen Verschiebungen zu Lasten der thermischen Erzeugung“, heißt es bei der EnBW. Der Strombasispreis ist infolge der Merit Order drastisch gesunken, die Erlöse ebenfalls. Steinkohle wird unwirtschaftlich im Vergleich zu den Erneuerbaren sowie noch laufenden Atommeilern und uralten Braunkohlekraftwerken, die längst abgeschrieben sind. „Die klassische Mittagsspitze beim Strombedarf brauchen wir nicht abzudecken, das machen die Solaranlagen“, sagt Szabadi.

Nicht einmal die Hälfte der möglichen Betriebsdauer lief das Werk

Die Folgen der neuen Entwicklung sind drastisch: Nach der Inbetriebnahme im Mai 2014 war RDK 8 im Eröffnungsjahr genau 2890 Stunden in Betrieb, 34 Mal ist der Block angefahren worden. Im kompletten Jahr 2015 waren es 4017 Betriebsstunden – das ist nicht einmal die Hälfte der theoretisch möglichen Betriebsdauer. Und im ersten Halbjahr von 2016 waren es nur 1007 Stunden (neun Anfahrten). Das heißt, nur jeden vierten Tag lief das Kraftwerk, das laut der Stuttgarter Ingenieurkammer „weltweit einen neuen Maßstab für effiziente und umweltschonende Stromerzeugung und Fernwärme aus Steinkohle“ setzt. Nicht nur die Marktlage, auch umfangreiche Revisionsarbeiten waren im ersten Halbjahr verantwortlich für den Betrieb auf Sparflamme.

Bei Jürgen Szabadi ist über die Marktlage kein Wort des Klagens zu hören, er hat die Unternehmensstrategie der EnBW verinnerlicht und betont für sich und seine 280 Mitarbeiter, dass der Konzern mit seinen vier Sparten ein „klares Ziel“ vor Augen habe. Weil sich die Marktbedingungen ändern, wird in der Sparte Erzeugung und Handel ein Ertragsrückgang von 1,2 Milliarden Euro (2012) auf nur noch 0,3 Milliarden im Jahr 2020 zu erwarten sein. Um das aufzufangen, soll der Bereich Erneuerbare Energien radikal ausgebaut werden: von 0,2 Milliarden Umsatz auf 0,7 Milliarden 2020 – ein gigantischer Sprung um 250 Prozent. Auch die Sparten Netze (0,8 Milliarden, geplant ist ein Ausbau um 25 Prozent) sowie Vertriebe (0,2 Milliarden, geplant ist ein Ausbau um 100 Prozent) sollen wachsen.

Schmutzige Braunkohlewerke laufen länger

Es bleibt die Frage nach der Ökobilanz von RDK 8 – und wie sie im Verhältnis zu anderen Kohlekraftwerken aussieht. Die moderne Rauchgasreinigung macht etwa ein Drittel der Betriebskosten aus – ein hoher Wert. Sie besteht aus einer Rauchgasentstickungsanlage, einem Elektrofilter für den Staub sowie einer Rauchgasentschwefelungsanlage. Damit werden die Emissionswerte gedrückt, sie liegen bei Stickoxid, Staub sowie Schwefeldioxid deutlich – um die Hälfte – unter den gesetzlich vorgeschriebenen Grenzwerten. Der Wirkungsgrad von RDK 8 liege bei über 46 Prozent, sagt Szabadi, im weltweiten Durchschnitt liege er bei Steinkohlewerken bei 30 Prozent. RDK 8 bläst pro Kilowattstunde erzeugtem Strom 740 Gramm Kohlendioxid in die Atmosphäre .

Fragt man Karsten Smid, Energieexperte bei Greenpeace, dann ist RDK 8 unter den Kohlekraftwerken „nicht so schlecht“. Seiner Ansicht nach sollten zuerst die „dreckigsten Anlagen“ abgeschaltet werden, die Braunkohlekraftwerke in der Lausitz und in Nordrhein-Westfalen, die Emissionswerte von 1000 Gramm Kohlendioxid pro erzeugter Kilowattstunde und kurioserweise längere Laufzeiten als RDK 8 haben: Bis zu 7500 Betriebsstunden im Jahr, weil sie alt sind und billig laufen. Denn der Preis für CO2-Zertifikate – die Verschmutzungsrechte – sind im Keller. Geht es nach Greenpeace, wäre ein Abschalten aller Kohlekraftwerke 2030 fällig, sonst seien die Klimaziele Deutschlands (Reduktion der Treibhausgase bis 2030 um 55 Prozent) nicht zu schaffen. Gaskraftwerke hätten einen CO2-Ausstoß von 400 Gramm, Wind und Solaranlagen fast gar keine, sagt Smid. Ginge es nach den Umweltschützern, hätte RDK 8 – ausgelegt auf 40 Jahre Betrieb – eine Lebenszeit von 24 Jahren. Doch danach sieht es nicht aus. Im Klimaschutzplan der Bundesregierung ist kein Datum für den Ausstieg aus der Kohle genannt.