Ein Nachfolgeangebot für das 9-Euro-Ticket ist nicht in Sicht. Der Verkehrsverbund Stuttgart ringt laut Unternehmenschef Horst Stammler mit der Inflation. Wie geht es weiter?

In wenigen Tagen läuft das bundesweite Billigticket für den Nahverkehr aus. Vom 1. September an sind Bahnreisende wieder mit den üblichen Preisen konfrontiert, auch im Verkehrsverbund Stuttgart (VVS), dessen Preise zum 1. Januar um im Schnitt 4,9 Prozent steigen werden. Das 9-Euro-Ticket hat dem Verbund seit dem 1. Juni viele zusätzliche Fahrgäste beschwert, die Finanzierungsprobleme im öffentlichen Nahverkehr aber für drei Monate nur überdeckt.

 

Wie sieht die 9-Euro-Bilanz aus?

„Wir kommen wohl auf drei Millionen, in der Summe haben 40 Prozent der Menschen in der Region Stuttgart das 9-Euro-Monatsticket genutzt“, rechnet VVS-Geschäftsführer Horst Stammler vor: 1,8 Millionen sind seit Mitte Mai verkauft worden, dazu kommen monatlich 350 000 Abonnenten im VVS, deren Fahrkarten automatisch auf diesen Betrag umgestellt wurden. Dann sind da noch die Käufer, die das Ticket im DB-Navigator erwarben, deren Zahl wird später auf die regionale Ebene heruntergerechnet.

Ist die Coronadelle damit ausgebügelt?

Im Juni, den Verkaufszahlen nach der stärkste 9-Euro-Monat, hat der VVS erstmals wieder die Fahrgastzahlen aus dem Vor-Corona-Jahr 2019 erreicht. Im Gesamtjahr 2019 waren es 349 Millionen gewesen. 2020 dann der Absturz auf 240 Millionen, 2021 kam eine leichte Erholung auf 261 Millionen. Auch in diesem Jahr wird der Rekord von 2019 nicht erreicht werden, „dazu waren die Maßnahmen im ersten Quartal zu einschneidend“, so Stammler. Messen und Großveranstaltungen waren untersagt, der Handel darbte. Entscheidend sei das letzte Quartal, so VVS-Co-Geschäftsführer Thomas Hachenberger, aber das sei nicht zu prognostizieren.

Wer gleicht die Verluste aus?

Der Staat, also die Steuerzahler, haben 2022 letztmals einen Rettungsschirm gespannt. Von den 2,5 Milliarden Euro, die Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) bundesweit für das 9-Euro-Ticket gibt, kommen beim VVS vorerst 78 Millionen Euro an. Dazu sollte es 90 Millionen aus dem Corona-Rettungsschirm geben. Endgültig abgerechnet wird das 9-Euro-Ticket Ende September, auf der Grundlage konkretisierter Anträge mit den endgültigen (Verkaufs-)Zahlen.

Gibt es einen 9-Euro-Nachfolger?

Auf die Schnelle wohl nicht. Von Finanzminister Christian Lindner (FDP) ist nicht bekannt, dass er besonders enge Kontakte zu Nahverkehrsunternehmen pflegt, er fachsimpelt als Fahrer eines 911er lieber mit Porsche-Chef Oliver Blume. Lindner will kein Geld mehr geben. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nannte das Ticket jüngst „eine der besten Ideen, die wir hatten“. Er könne sich „in 40 Jahren ÖPNV nicht erinnern, dass je ein Bundeskanzler sich mit Ticketpreisen beschäftigt hat“, lobt Stammler den Kanzler. Skeptisch ist er dennoch: „Wir müssen abwarten, ob sich etwas tut.“

Wie lauten die Vorschläge?

Es gibt eine bunte Vielfalt. Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) hat ein bundesweites 69-Euro-Nahverkehrsticket vorgeschlagen. Der Preis läge über einem Teil der VVS-Monatstickets. Die 69 Euro würden den Bund pro Jahr zwei Milliarden Zuschuss kosten, sagt Stammler, der vom Modell in Österreich angetan ist. Dort kostet die Nahverkehrsfahrt in einem Bundesland einen Euro am Tag, ins benachbarte zwei, im ganzen Land drei, im Jahr in einem Bundesland also 365 Euro, im Bund 1095. Diese Regelung würde sechs Milliarden Zuschuss im Jahr bedeuten. „Egal, bei welchem Vorschlag wir sind, es geht immer um Milliardenbeträge“, so Stammler.

Wie reagiert der VVS?

Auch nach Corona rechnen alle Experten damit, dass Homeoffice zu weniger Fahrten führt. „Also müssen wir eine Kompensation durch den Freizeitverkehr erzielen“, sagt Stammler. Hier könnten viele Umsteiger aus dem Auto geholt werden. Ziel sei außerdem ein „flexibles Abo“ – das 10er-Tagesticket ist ein Anfang.

Welche Probleme bringt die Inflation?

Die Mehrwertsteuersenkung auf Sprit hat auch die Busbetriebe entlastet, ab September sind aber pro Liter Diesel wieder 14 Cent mehr fällig. Konsequenzen deuten sich an. Laut dem Verband der Omnibusunternehmer im Land hat im Zollernalbkreis eine Bietergemeinschaft ihre drei Buslinienbündel gekündigt – und zwar zum 11. September. Der Bund müsse die Regionalisierungsmittel für den Nahverkehr verlässlich um 1,5 Milliarden Euro pro Jahr erhöhen, „sonst drohen Einschränkungen beim Angebot“, so Stammler.

Worauf müssen Fahrgäste achten?

Wer die Differenz zum 9-Euro-Ticket nicht automatisch erstattet bekommt, also zum Beispiel Studierende oder bestimmte Jahresabonnenten, muss seinen Erstattungsantrag bis Ende August, in Ausnahmefällen bis Ende September stellen. Wer das vergisst, verliert viel Geld.