Die mobile Jugendarbeit (MJA) in Ludwigsburg steht vor der Schließung. Damit würden Hunderte Jugendliche wichtigen Halt im Leben verlieren. Ein „Kind der MJA“ setzt sich nun besonders für den Erhalt ein – und erzählt von ihrem schweren Schicksal.

Andrea Schäfer hat eine schwere Kindheit, Probleme zu Hause und viel Streit mit den Eltern. Früh kommt sie in verschiedene Jugendeinrichtungen. Mit 17  Jahren muss sie wegen schwerer Körperverletzung für drei Jahre ins Gefängnis. Die Geschichte von Andrea Schäfer – der Name wurde von der Redaktion geändert – klingt wie die aus einem Jugendroman. Doch Schäfer kann dem Teufelskreis entkommen.

 

Nach ihrer Haft wird sie nicht von der Gesellschaft verstoßen, sondern wiederaufgenommen. Statt ins Bandenleben abzurutschen, fängt die mobile Jugendarbeit in Ludwigsburg sie auf und kümmert sich um sie. Schäfer findet den Weg zurück ins Sozial- und Arbeitsleben. Heute ist sie 25 und betreibt ein Beauty-Studio – ein Ende nur fast ohne Tragik. Denn Schäfer fürchtet um die mobile Jugendarbeit in Ludwigsburg.

Die mobile Jugendarbeit begegnet Jugendlichen auf Augenhöhe

Die mobile Jugendarbeit, kurz MJA, richtet sich an Jugendliche, die durch das Netz fallen. Die sich in der Schule nicht wohlfühlen, kein Geld für Vereinsmitgliedschaften haben und auch sonst nicht von Jugendarbeit erreicht werden. Die Streetworker suchen im Rahmen des Angebots junge Menschen in ihren Lebensräumen auf. Sie sprechen mit ihnen auf Augenhöhe, bieten Hilfe und einen Ort zum Abhängen an. Die Ludwigsburger MJA hat ihr Hauptquartier in der Karlstraße, zwischen Schulcampus und Bahnhof. Dort können Jugendliche nicht nur Tischtennis spielen und günstige Getränke kaufen, sondern mit den Sozialarbeitenden an ihren Lebensläufen feilen, Ausbildungsplätze suchen oder auch Amtsbriefe durchsprechen.

Der Kern des Konzeptes ist, Beziehungen und Vertrauen aufzubauen. Die Jugendlichen haben in den Sozialarbeitenden Ansprechpartner für alle Themen, auch für die ernsten. 500 Jugendliche hat das fünfköpfige Team im vergangenen Jahr unterstützt – junge Menschen, die sonst von der Gesellschaft missachtet und vom Staat vergessen werden.

Andrea Schäfer, ein Kind der MJA

Eine solche Jugendliche war Andrea Schäfer. Vor ihrer Zeit im Gefängnis war sie über eine Freundin mit 16 Jahren das erste Mal zur MJA in die Karlstraße gekommen und hatte die Sozialarbeitenden kennengelernt. „Die haben mich von Anfang an einfach aufgenommen“, berichtet die 25-Jährige. Als die Sozialarbeitenden später von ihrer Haft erfahren, besuchen sie Schäfer regelmäßig im Gefängnis. „Das war super, denn es zählte nicht zu den offiziellen Besuchszeiten“, berichtet die 25-Jährige lächelnd.

Die Sozialarbeitenden halten viele Jugendliche vom exzessiven Trinken ab. Foto: dpa//Jens Büttner

Nach ihrer Haftzeit fangen die Sozialarbeitenden sie auf und helfen ihr. „Ich bin zwar oft gescheitert und habe weiter viele dumme Sachen gemacht, aber die MJA hat mich auf die richtige Bahn gebracht.“ Sie schließt im Gefängnis ihren Hauptschulabschluss ab, rafft sich auf und macht eine Ausbildung. Heute hat sie immer noch Kontakt zu den Sozialarbeitenden.

Menschen wie Andrea Schäfer hilft die MJA enorm, viele entfliehen dank des Angebots der Kriminalität und Gewalt. Doch manche schaffen es auch nicht. An der Wand in der MJA hängen mehrere Bilder von jungen Menschen, die aus verschiedenen Gründen diese Welt frühzeitig verlassen mussten.

Endet die mobile Jugendarbeit?

Heute bangen die 500 jungen Menschen und Hunderte Ehemalige um die mobile Jugendarbeit in Ludwigsburg. Denn die künftige Finanzierung ist unsicher. Bisher wird sie vom hauptsächlich vom Landkreis, nebensächlich von der Stadt und vom Land finanziert. Der Landkreis möchte aber nicht mehr ein Angebot bezahlen, das nur der Stadt Ludwigsburg zugutekommt. Jetzt möchte er die Kosten an die Stadt Ludwigsburg abdrücken. Ludwigsburgs Kassen sind jedoch leer. In Zeiten des WIN-Projektes, dem Sparvorhaben der Stadt, ist Geld für die MJA schwer aufzutreiben.

Zukunft der MJA liegt bei Gemeinderat und Kreisrat

Auf Anfrage bestätigt das Landratsamt, dass die mobile Jugendarbeit auf dem Prüfstand steht. Zwar soll sie nicht eingestellt, aber „in die korrekte Trägerschaft und damit an die Stadt Ludwigsburg“ zurückgeführt werden. Das Landratsamt schreibt dazu weiter: „Alle Einsparvorschläge des Konsolidierungsprozesses werden von den politischen Gremien des Kreises entschieden.“

Auch die Stadtverwaltung hat nicht mehr Informationen, teilt sie mit. Bevor der Gemeinderat über die mobile Jugendarbeit entscheiden kann, muss der Kreisrat einen Entschluss fassen. Die Stadt teilt dazu mit: „Sobald ein Beschluss des Landkreises vorliegt, wird die Stadt Ludwigsburg unverzüglich in die politischen Beratungen einsteigen.“

Was die Schließung bedeuten würde

Schäfer ist besorgt. Zwar sind die Räume von der Stadt Ludwigsburg gemietet, aber ob die Stadt sie behält, weiß man noch nicht. Noch größer ist ihre Sorge, dass die Mitarbeitenden ausgetauscht werden könnten: „Die Jugendlichen fühlen sich bei der MJA geborgen, die Sozialarbeitenden haben eine Beziehung zu ihnen, man kennt sich lange.“

Cannabis ist bei der MJA in der Karlstraße verboten. Foto: dpa/Hannes Albert

Wenn es nun ein neues Modell der MJA geben soll, mit neuen Mitarbeitenden, dann wären Jahre, Jahrzehnte an Beziehungen verloren, sagt Andrea Schäfer. Die Sozialarbeitenden ziehen jetzt schon Konsequenzen, um sich auf ein mögliches Aus vorzubereiten. Auf den Servern der mobilen Jugendarbeit sind wichtige Unterlagen Tausender Jugendlicher gespeichert. Diese haben oft keinen eigenen Rechner. Bevor die mobile Jugendarbeit schließen würde, müssten die Jugendlichen ihre Unterlagen auf einen Stick ziehen, wie auch Schäfer.

„Jetzt kann ich was zurückgeben“

Die MJA half Andrea Schäfer aus einem Leben der Gewalt, ein Ende der MJA will sie daher nun unbedingt verhindern. „Als ich vom Ende erfahren habe, dachte ich mir: Jetzt kann ich was zurückgeben.“ Die 25-Jährige mit Hauptschulabschluss schreibt einen offenen Brief an alle Gemeinderatsfraktionen und lokalen Zeitungen. Dort erzählt sie in deutlichen Worten von ihrem Schicksal und wie die MJA ihr geholfen hat. Sie erhebt ihre Stimme nicht nur für sich, sondern für Tausende Jugendliche – die Kinder der MJA. In dem Brief fordert sie „Transparenz, Mitsprache und eine echte Lösung“. Ihre Forderung ist klar: Denkt an die Jugend, spart nicht an der falschen Stelle, rettet die MJA!

Nun liegt es am Kreisrat und Gemeinderat, über die Zukunft der mobilen Jugendarbeit in Ludwigsburg zu entscheiden. Andrea Schäfer kämpft weiter und hat gemeinsam mit anderen eine Petition gestartet. In den ersten Tagen sammelten sie damit unter den „Kindern der MJA“ mehr als 300 Unterschriften.