Frankreichs Küsten gehören zu den längsten Europas. Bisher ist dort aber – trotz großer Ambitionen mehrerer Konzerne – kein einziger Offshore-Windpark in Betrieb. Jetzt droht die Regierung den Projektbetreibern, darunter auch Siemens.

Korrespondenten: Stefan Brändle (brä)

Dieppe - Beim Essen hört in Frankreich der Spaß auf. „Dort draußen finden sich ausgedehnte Muschelbänke“, meint ein älterer Spaziergänger am Kiesstrand von Dieppe und zeigt auf den Ärmelkanal. „Sie würden durch den Windpark samt und sonders zerstört. Dann wäre Schluss mit den Jakobsmuscheln.“ Philippe, der Fischer des kleinen Kutters Celtit, befürchtet zudem die Vertreibung der Seezungen. „Und ich kann mich auch gleich beim Arbeitsamt einschreiben, wenn die Windräder gebaut werden.“

 

Im kleinen Normandie-Hafen Dieppe schlagen die Wellen der Empörung hoch. Mehrere Einsprüche laufen gegen das Vorhaben des französischen Energieriesen Engie (ehemals Suez), vor der hiesigen Küste 62 Windräder aufzubauen. Seit 2014, als die Regierung in Paris grünes Licht ab, ist das Projekt in den Schubladen geblieben. Dasselbe gilt für andere Offshore-Windparks am Ärmelkanal und am Atlantik. Electricité de France (EDF) und die spanische Iberdrola hatten dort schon 2011 andere Ausschreibungen gewonnen. Doch bisher ist nichts passiert.

Anders als auf dem Festland dreht sich auf See kein Windrad

Die französische Küste ist nach den britischen Inseln die zweitlängste im EU-Raum. Doch während dort schon mehr als 4000 Windanlagen in Betrieb sind, dreht sich in französischen Gewässern – anders als auf dem Festland – kein einziges Windrad. An Ambitionen fehlt es nicht: 2009 legte die Regierung des damaligen Präsidenten Nicolas Sarkozy für 2030 das Fernziel von 15 Gigawatt für die Meeres-Windkraft fest – eine gigantische Zahl. Nach Ablauf eines Drittels der Zeitspanne bleibt die Produktion in Frankreich allerdings bei null. In Großbritannien erreicht sie derweil fünf, in Deutschland 3,3 Gigawatt.

Schuld am französischen Windkraftfiasko sind nicht nur die Jakobsmuscheln. Naturschützer haben auch aus anderen Gründen Klagen gegen die Offshore-Projekte eingereicht. Das verzögert sie um etwa zehn Jahre, gegenüber maximal drei Jahren in Deutschland. Vor 2021 dürfte in Frankreich kein maritimes Windrad ans Netz gehen, schätzt Pauline Le Bertre vom Verband France Energie Eolienne.

Der eigentliche Grund ist allerdings die unentschlossene Energiepolitik Frankreichs. Sie schwankt weiter zwischen erneuerbaren Energien und Atomkraftwerken. Langfristig strebte Präsident François Hollande wie nun auch sein Nachfolger Emmanuel Macron einen Anteil von 50 Prozent an. Doch die mächtige Nuklearlobby absorbiert weiterhin die meisten Investitionen, so etwa für den in Bau befindlichen Druckwasserreaktor in Flamanville (Normandie), der als neue und zuverlässigere AKW-Generation angepriesen wird.

Die Preise für Windstrom sind im Keller

Der billige Atomstrom schafft indirekt ein weiteres Problem für die Windkraft: Die französischen Behörden hatten den privaten Betreibern 2011 eine feste Stromabnahme für 190 Euro pro Megawattstunde Windstrom zugesagt, und dies auf 20 Jahre hinaus. Damit wollten sie nicht zuletzt den Energiekonzernen wie Engie und EDF auf die Sprünge helfen und ihnen ermöglichen, den Rückstand auf die internationale Konkurrenz in Sachen Windkraft wettzumachen. An der Nordsee sind die Preise für Windstrom allerdings mittlerweile auf rund 60 Euro gefallen. Das ist gut für die Abnehmer. Die französische Regierung muss aber die Notbremse ziehen: Diese Woche ließ Umweltminister Nicolas Hulot verlauten, er wolle die zugesagten Tarife neu aushandeln. Der Minister droht offen damit, die Genehmigungen für die Windparks zurückzunehmen, falls die Offshore-Anbieter keine niedrigeren Strompreise akzeptierten.

Engie, EDF, Iberdrola, aber auch deren exklusiver Ausrüster Siemens, dürften sich erpresst fühlen. Für sie kommt es nicht in Frage, die Projekte in Frankreich fallenzulassen: „Windkraft an den langen französischen Küsten ist ein Zukunftsmarkt mit einem großen Potenzial“, sagt Cédric Turnaco von Siemens-Gamesa. Das deutsch-spanische Unternehmen für erneuerbare Energien ist nicht direkt an den Verhandlungen beteiligt, hängt aber natürlich davon ab. Turnaco kann sich Preissenkungen vorstellen, aber nur, wenn die Regierung ihrerseits aktiv wird, bessere juristische Rahmenbedingungen schafft und die administrativen Fristen verkürzt.