Das Energiekonzept der Stadt Stuttgart liegt nach dreijähriger Arbeit vor. Es enthält 101 konkrete Maßnahmen, die allerdings noch nicht mit Kosten und Zeitplänen hinterlegt sind. Auch die Bürger werden gefordert sein.

Stuttgart - Dem Oberbürgermeister sind am Dienstag nur die ganz pathetischen Worte gut genug gewesen: Es sei ein bedeutender Tag für Stuttgart, denn nun liege das Konzept für die urbane Energiewende vor, sagte Fritz Kuhn (Grüne). Es sei ein ehrliches Konzept, weil die Klimatreiber Verkehr und Industrie berücksichtigt seien, was andere Städte gerne wegließen. Und die Ziele seien extrem ambitioniert: Aber Stuttgart könne es schaffen, in den nächsten Jahren eine „Vorzeigestadt in Sachen Energiewende“ zu werden.

 

Zumindest die hohen Ziele, die das Konzept verfolgt, sind unbestreitbar. Denn die „Vision 2050“ sieht vor, dass Stuttgart in 34 Jahren die gesamte Energie aus erneuerbaren Quellen bezieht – Atomkraft, Kohle, Gas und Heizöl gehörten dann der Vergangenheit an. Stuttgart wäre eine klimaneutrale Großstadt. Zudem soll der Energieverbrauch um 65 Prozent niedriger sein als 1990.

Diese „Vision 2050“ war im Entwurf des Energiekonzeptes, das Fritz Kuhn und Jürgen Görres, der zuständige Experte im Amt für Umweltschutz, vor fast genau einem Jahr vorlegten, noch nicht enthalten. Überhaupt ist das Konzept kaum wiederzuerkennen. Damals war es hart kritisiert worden, weil es zu theoretisch ausgerichtet und weil es mehr Bestandsaufnahme als Zukunftsvision sei. Nun ist das Papier ein Jahr lang mit Bürgern, Forschungsinstituten, Unternehmen und Verbänden diskutiert worden und steigt wie Phönix aus der Asche. Der Text ist zu schätzungsweise 70 Prozent verändert, 220 Anregungen sind eingeflossen, und vor allem wurden 101 konkrete Maßnahmen aufgelistet. Der nächste Schritt sei nun, sagt Jürgen Görres, jede der Maßnahmen weiter zu konkretisieren: Wie hoch sind die Kosten, wer kümmert sich darum, wann können sie umgesetzt werden? Zwei neue Mitarbeiter werden dafür eingestellt.

Die Stadtwerke wurden zum „zentralen Akteur“ ernannt

Diese Maßnahmen gliedern sich in unterschiedliche Bereiche. Erstens will die Stadt ihre Anstrengungen bei den eigenen Liegenschaften verstärken. Zweitens sollen mehr Bürger mit Beratung und finanziellen Anreizen dazu animiert werden, ihr Haus zu dämmen oder eine neue Heizung einzubauen, denn allen Beteiligten ist klar, dass eine Energiewende „von oben“ nicht gelingen kann (siehe Textende). Drittens soll die Industrie mitmachen, zum Beispiel durch Ernennung von Energiebeauftragten in jeder Firma. Viertens müsse der Individualverkehr sinken, etwa durch mehr attraktive Jobtickets. Fünftens soll die Energieversorgung ökologischer werden, indem man mehr Blockheizkraftwerke baut oder die Abwärme von Industrieanlagen nutzt.

Die Stadt wird alle Maßnahmen weiter koordinieren; es ist aber ein eigener Lenkungskreis mit Fritz Kuhn als Vorsitzendem geplant. Als zentraler Akteur sind nun jedoch die Stadtwerke Stuttgart benannt – das war bisher nicht so klar. Sie sollen Modelle für Nahwärmenetze oder Speicherlösungen entwickeln und anbieten. Hinter den Kulissen gab es dabei aber bereits Ärger. Vor allem die SPD hatte darauf gedrungen, dass die Stadtwerke einen höheren Etat erhalten, um diese Aufgaben auch angehen zu können; in Wirklichkeit sinkt das Budget für Investitionen im nächsten Jahr um etwa 20 Prozent. Eine öffentliche Diskussion darüber gab es am Dienstag im Ausschuss für Umwelt und Technik nicht, weil zu viele Tagesordnungspunkte abzuarbeiten waren und weil Kuhn schnell wieder weg musste. Da 2016 keine kostspieligen Windparks mehr gekauft würden, reiche dieser Etat dennoch für neue Entwicklungen aus, heißt es allerdings auch.

Das heikle Thema Fernwärme wird ausgeklammert

Die Fraktionen im Gemeinderat haben das Energiekonzept weitgehend begrüßt – schließlich haben sie durch ihre Vorschläge im vergangenen Jahr auch daran mitgearbeitet. Bei neuen Nahwärmenetzen müssten die Stadtwerke jetzt aber erst mal zeigen, dass sie einen wirtschaftlichen Betrieb auch hin bekommen, sagte CDU-Chef Alexander Kotz. Bei der Heizwärme könne man am meisten sparen, betonte Björn Peterhoff von den Grünen; deshalb sei es so wichtig, dass die Bürger mitmachten. Hans H. Pfeifer (SPD) wiederholte die Kritik, dass das Energiekonzept viel zu spät komme; und eine große Schwäche liege darin, dass die Finanzierung der vielen Maßnahmen noch völlig in den Sternen liege. Auch Christoph Ozasek (Linke) wurde schließlich pathetisch: „Ohne gigantische Anstrengungen kann es keine Zukunft für die Menschheit geben“, sagte er.

Michael Fuchs vom Bürgerverein „Kommunale Stadtwerke“ kritisierte, dass das heikle Thema Fernwärme ganz ausgeklammert worden sei. Obwohl der Ausbau der Fernwärme laut allen Experten ein zentrales Element der Energiewende darstelle, habe die Stadt Stuttgart nicht einmal als Ziel formuliert, dass sie das Netz wieder selbst betreiben wolle. Und die Maßnahmen im Bereich Verkehr seien völlig unzureichend, betonte Manfred Niess vom Stuttgarter Umwelt- und Klimabündnis.

So sollen die Bürger mitwirken können

Haussanierung:
Das Stuttgarter Energiekonzept sieht vor, die jährliche Sanierungsquote bei den Stuttgarter Gebäuden von einem Prozent auf zwei zu verdoppeln. Dazu wird überprüft, ob die Stadt bestehende Förderprogramme ausbaut, wenn Eigentümer die Fassaden dämmen oder neue Fenster einbauen. Denkbar ist auch, ein Komplettangebot für die Besitzer einzuführen: Sie erhalten die Planung, Umsetzung und Finanzierung einer Sanierung aus einer Hand.

Stadtwerke
: Auch die Stadtwerke sollen noch stärker auf die Bürger zugehen und ihnen Angebote machen. Ein personalisiertes Angebot inklusive Finanzierung für Fotovoltaikanlagen gibt es bereits. Bei neuen Heizungen und Nahwärmelösungen wollen die Stadtwerke aktiv auf Hausbesitzer und Quartiere zugehen.

Online-Beratung:
Zuletzt sind 700 Haushalte in Stuttgart befragt worden – aus den Erkenntnissen entsteht derzeit ein Onlineportal, auf dem die Bürger eine persönliche Energieanalyse durchführen können und auf sie zugeschnittene Vorschläge erhalten.

Kommunikation
: Eine Kampagne ist geplant, um die Bürger über die Energiewende in Stuttgart zu informieren.