Wolfgang Sartorius, Leiter der Erlacher Höhe im Rems-Murr-Kreis, sieht die aktuellen Krisen für Menschen in Armut als existenziell an. Er hat konkrete Verbesserungsvorschläge.

Rems-Murr: Simone Käser (sk)

Der Angriffskrieg auf die Ukraine, die Coronapandemie und weltweit gestörte Lieferketten: Diese Gesamtlage versetzt Wolfgang Sartorius in Alarmbereitschaft. „Die Krisen haben Preissteigerungen vor allem für Energie und Nahrungsmittel ausgelöst, die von Menschen mit geringen Einkommen kaum noch zu stemmen sind“, sagt der Diakon und Sozialarbeiter, der schon viele Jahre die Geschicke der Erlacher Höhe in Großerlach leitet. „ Für in Armut Lebende ist die Situation existenziell bedrohlich, Strom- und Gassperren bis hin zum Verlust der Wohnung drohen.“

 

Sartorius fragt sich, was passieren muss, um diese soziale Katastrophe zu verhindern und den gesellschaftlichen Zusammenhalt im Land zu wahren. „Von der aktuellen Politik der Bundesregierung werden diese Menschen bisher nur unzureichend entlastet, die Einzelmaßnahmen reichen nicht.“ Dies zeige auch die Anzahl der Kundinnen und Kunden der Sozialkaufhäuser, die sich mancherorts in den letzten Monaten mehr als verdoppelt habe. Betroffene hätten mittlerweile zum Monatsende so wenig Geld zur Verfügung, dass es nicht einmal mehr für einen Einkauf im Sozialkaufhaus reiche, sondern zum Überleben eine kostenlose Versorgung erforderlich werde, sagt Sartorius.

Die Situation Obdachloser sei häufig „pures Elend“

Die Situation wohnungsloser und obdachloser Menschen ist für Wolfgang Sartorius in mehrfacher Hinsicht schwierig und häufig „pures Elend“. Er sagt: „Ganz gravierend ist der fehlende Wohnraum, und damit meine ich mietvertraglich gesicherter Wohnraum. Die aktuellen Kriege, Krisen und damit verbundenen Fluchtbewegungen verschärfen die Situation weiter.“

Sartorius kommt auf den Regelbedarf zu sprechen. Die absolute und relative rechnerische Lücke zwischen diesem Hartz IV (ohne Kosten der Unterkunft und Heizung) und der Armutsgefährdungsschwelle, welche 2021 bei 1148 Euro lag, sei weiter gestiegen. „Pro Tag sind das aktuell noch nicht mal 15 Euro für Menschen ohne Wohnung. Und natürlich gehen auch an ihnen die immensen aktuellen Kostensteigerungen, beispielsweise bei Lebensmitteln, nicht vorbei.“

Weil dies nur ein Beispiel unter vielen sei für die Benachteiligung gerade der Ärmsten in Deutschland, das klar mache, warum deren Verelendung weiter zunehmen werde, plädiert die Erlacher Höhe gemeinsam mit der Diakonie dafür, den Regelsatz zumindest um 100 Euro zu erhöhen.

Verbesserung des Wohngelds sei erster richtiger Schritt

Angesichts der Energiekrise bleibt laut dem Leiter der Erlacher Höhe abzuwarten, wie die Bundesregierung in Sachen Entlastung entscheidet: „Soweit Menschen im Leistungsbezug sind, besteht ein Anspruch auf Übernahme angemessener Energiekosten. Für Menschen mit niedrigen Einkommen werden aktuell Maßnahmen geplant, wie die Verbesserung des Wohngelds.“ Das seien die richtigen Schritte, sagt Sartorius.

Er fügt aber hinzu, dass diese Formen der Unterstützung nur Menschen helfen würden, die über Wohnraum verfügen, „keine Wohnung kann man schlecht heizen.“ Deshalb sei es neben einer verbesserten Wohnbaupolitik wichtig, in der kalten Jahreszeit rund um die Uhr warme Räume zugänglich zu machen, wie etwa Foyers öffentlicher Gebäude, Gemeindehäuser und Bahnhofshallen, fordert er.

Viele Menschen könnten keine Bettler ansprechen

Wolfgang Sartorius, der auch Vorsitzender des Fachverbands Wohnungsnotfallhilfe in der Diakonie Württemberg ist und im Vorstand der evangelischen Obdachlosenhilfe mitarbeitet, nimmt im Land konträre Entwicklungen wahr; auf der einen Seite eine große Bereitschaft zu helfen, auf der anderen Seite die Unfähigkeit, einen Bettelnden anzusprechen und ihn damit als Mensch wahrzunehmen. „Das hat gar nichts mit Geld zu tun, aber mit der allen Menschen innewohnenden Fähigkeit, sich menschlich zu verhalten. Ich glaube, zumindest die Art Kälte könnte mit wenig Mühe behoben werden.“