Die Stadt beginnt, sich für das 260 Kilometer lange Fernwärmenetz zu interessieren. Die EnBW pocht aber auf ihr „Ewigkeitsrecht“ als Betreiber. Die Sache ist so brisant, dass OB Kuhn entschieden hat, das Verfahren bis mindestens 2014 ruhen zu lassen.

Klima/Nachhaltigkeit : Thomas Faltin (fal)

Stuttgart - Bei den teilweise heftigen Debatten um die Zukunft der Energienetze in Stuttgart ist es in den vergangenen Monaten immer nur um den Strom gegangen – das Gasnetz hat eine marginale Rolle gespielt, das Fernwärmenetz gar keine. Kurz vor der politischen Sommerpause hat sich dies mit einem Schlag verändert.

 

Zum einen hat ein Workshop mit Energieexperten die Stadt Stuttgart etwas ins Grübeln gebracht über die Frage, wer künftig Herr über die Fernwärme sein soll. Zum anderen sind die Stadt und die Energie Baden-Württemberg (EnBW), der bisher das Netz gehört, in einen grundsätzlichen Streit geraten – die EnBW ist der Meinung, sie besitze bei der Fernwärme-Konzession eine Art „Ewigkeitsrecht“, wie es Oberbürgermeister Fritz Kuhn formulierte. Anders ausgedrückt: Die Stadt dürfe die Konzession für die nächsten 20 Jahre nicht an ihre Stadtwerke oder einen Dritten, sondern nur der EnBW übertragen. So brisant ist die Sache nun, dass Kuhn entschieden hat, das Verfahren für die Fernwärme ruhen zu lassen. Wiederaufnahme: nicht vor 2014.

Die Gemeinde hat keinen Anspruch auf eine Netzherausgabe

Das Problem ist zunächst einmal nicht wegzudiskutieren. Tatsächlich gibt es Juristen, die der Ansicht sind, dass „gesetzliche Netzherausgabeansprüche der Gemeinde nicht bestehen“, wie es Adolf Topp, der stellvertretende Geschäftsführer eines Energieverbandes, jüngst in einem Fachartikel schrieb. Umgekehrt waren sich namhafte Experten auf dem genannten Workshop sicher, dass die Fernwärme analog zu Strom und Gas behandelt werden müssten. Wie schon bei der Wasserversorgung, die die Stadt gerne von der EnBW zurückkaufen würde, droht also ein Rechtsstreit.

Das hat für einigen Unmut in Teilen des Gemeinderates gesorgt. Denn bei Strom und Gas will die EnBW Partnerin der Stadtwerke Stuttgart werden, bei Wasser und Fernwärme geht sie auf Konfrontationskurs – das passe nicht zusammen und deute auf das alte Platzhirsch-Gebaren des Energiekonzerns hin, heißt es. Werner Götz, dem für die Fernwärme zuständige technische Vorstand der EnBW, tut dies leid: „Ich wünsche mir, dass eine gerichtliche Klärung nicht notwendig ist“, sagt er der Stuttgarter Zeitung. Denn im vergangenen Jahr, als Stadt und EnBW wegen der Konzessionsverfahren viel miteinander zu tun gehabt hätten, sei auf beiden Seiten viel Verständnis für die jeweils andere Perspektive gewachsen – er wolle das nicht kaputt machen: „Ich setze auf Dialog und Partnerschaft, auch wenn ich die juristische Bewertung nicht ganz vergessen darf.“

Kuhn findet Fernwärme wichtig für die lokale Energiewende

Wie auch immer dieser Disput ausgeht, dahinter steht eine noch wichtigere Frage: Wäre es für die Stadt und die Stadtwerke – wenn sie dürften – überhaupt sinnvoll, der EnBW das Fernwärmenetz abzukaufen und in Eigentum und Betrieb einzusteigen? Bis vor kurzem haben fast alle in Verwaltung und Gemeinderat diese Frage verneint – zu aufwendig und zu riskant sei dies, denn der Verkauf von Wärme geht aufgrund besserer Fassadendämmungen zurück. Doch vor allem Oberbürgermeister Kuhn hält die Fernwärme für einen bedeutenden Baustein in der lokalen Energiewende. Das Interesse steigt immens.

Der bekannte Stuttgarter Energieexperte Joachim Nitsch verweist vor allem auf den jungen Sektor der Nahwärme: Einzelne Firmen oder Wohnquartiere könnten ein Blockheizkraftwerk bauen, um damit ihren Bedarf zu decken – überschüssige Wärme könnten sie in das große Fernwärmenetz einspeisen, wenn Verbindungen gebaut würden. Das würde die Versorgung sehr klimafreundlich (siehe Artikel unten) machen. Der EnBW macht Nitsch den Vorwurf, dass sie zu wenig innovativ sei: „Sie muss das Netz modernisieren, und sie muss bei der Wärmeerzeugung von Kohle auf Gas umstellen.“ Allerdings hält es auch Nitsch für unmöglich, dass die Stadtwerke die Fernwärme alleine betreiben könnten, zumindest vorerst nicht. Zu schwierig sei es, die Erzeugung der Wärme in den EnBW-Kraftwerken von der Weiterleitung im Netz abzukoppeln.

Könnte die Stadt die Konzession an EnBW und Stadtwerke gemeinsam vergeben, wäre sie in der Lage, den Umbau mit zu steuern. Zudem hätte man Einfluss auf den Preis. Die EnBW steht bei der Fernwärme nicht im Verdacht überhöhter Preise (siehe unten); die Verbraucherzentrale Hamburg prangert aber immer wieder Versorger an, weil diese ihre marktbeherrschende Stellung grob missbrauchten.

Natürlich bleibt Werner Götz skeptisch, was den alleinigen Betrieb der Fernwärme durch die Stadtwerke anginge. Aber was gemeinsame Projekt anlangt, so rennt die Stadt bei ihm offene Türen ein. Die Verknüpfung von Fern- und Nahwärme wertet er als „extrem vorteilhafte Symbiose“: Die Betreiber der Blockheizkraftwerke bräuchten keine Sicherungsanlage, dafür hätten sie die EnBW; und die EnBW könnte einen Teil der sehr hohen Rücklauftemperatur von 80 Grad an die Quartiere abgeben.

Das Netz könnte zum Speichermedium für Energie werden

Und für die nächsten Jahrzehnte gebe es weitere Visionen, so Götz: So könnte, trotz einiger Probleme, das Fernwärmenetz als Speichermedium benutzt werden – überschüssiger Strom aus Solaranlagen und Windrädern könnte in Form von Wärme zwischengelagert werden. Vorerst ist dies alles Zukunftsmusik. Denn im Moment ist in Stuttgart alles in der Schwebe.