Der Ausbau der Windkraft kommt voran, aber viel zu langsam. Das liegt nicht nur an den Stürmen und Schweinswalen. Auf Zwölf-Stunden-Schicht mit einem Wartungsteam.

Norden -

 

Er stemmt sich gegen die Böen. Sie zerren an seiner Schwimmweste, wollen ihn ins eiskalte Wasser stoßen. Ralf Klooster, eingepackt in Baustellenhelm und Überlebensanzug, der ihn aussehen lässt wie einen Astronauten, sucht Halt an der Reling. „Das ist der gefährlichste Moment“, brüllt er gegen Windstärke vier an. Unter ihm die Nordsee, schäumend vor Kraft, über ihm das rhythmische Kreisen von Rotorblättern, gewaltige Schneidemesser der Lüfte.

Ein Ruck geht durch die Wind Force 1, das Wartungsschiff ist angedockt an 1000 Tonnen Stahl. Hätte nicht jemand die Mülltonne festgebunden, wäre sie spätestens jetzt über Bord gegangen. Der Katamaran klebt mit seiner dicken Gummilippe am Fuße einer Windkraftanlage, die Ralf Klooster besteigen wird, „zur Inspektion“, wie er sagt. Ein Schritt über den Abgrund, ganz ohne Sicherung, dann klettert er die Leiter hinauf und nimmt den Fahrstuhl in die teuerste Aussichtsplattform der Nordsee. Der 40-jährige Ostfriese ist so etwas wie der Hausmeister eines der innovativsten Offshoreprojekte der Branche.

Deutschland will die Energiewende

Noch nie ist so weit draußen im Meer ein Windpark fertig gestellt worden. Alpha Ventus heißt die Pilotanlage 45 Kilometer vor der Nordseeinsel Borkum, ein Gemeinschaftsprojekt der Energiekonzerne Eon, Vattenfall und EWE mit zwei verschiedenen Anlagentypen. Es ist die Steilvorlage für Deutschlands grünes Spiel, das auf See entschieden wird. Bis 2020 sollen 2000 Windräder in Nord- und Ostsee stehen, hat die Bundesregierung verkündet, bis 2030 sollen es rund 6000 Anlagen sein. Deutschland will die Wende, die Kanzlerin nach Fukushima „ein neues Kapitel der Energiegewinnung aufschlagen“. Sieben Atommeiler ließ sie abschalten, doch der Ökostrom fließt nicht wie geplant. Der Ausbau der als so ertragreich gepriesenen Offshorebranche kommt verzögert voran: Gerade mal 52 Räder in drei Windparks drehen sich vor der deutschen Küste und speisen Strom ins Netz, zwölf davon bei Alpha Ventus.

Der Wind ist unberechenbar, das Geschäft mit den Giganten der Meere noch immer hochriskant. „In den vergangenen drei Monaten konnten wir nur zweimal raus“, klagt Klooster, der als technischer Betriebsleiter des 250-Millionen-Euro-Projektes sicherstellen muss, dass die bis zu 155 Meter hohen Turbinen der Fünf-Megawatt-Klasse stetig laufen. Sie liefern Strom für 50 000 Haushalte und sind videoüberwacht – auch von Land aus hat Klooster die Mühlen auf Monitoren im Blick. Denn Stillstand geht ins Geld. 750 Euro Verlust sind das stündlich pro Anlage, das macht hochgerechnet auf den Park 216 000 Euro am Tag. Die Wartungsteams sind rund um die Uhr einsatzbereit. Ist es für die Wind Force zu stürmisch, startet der Helikopter. Dann seilen sich Klooster und seine Männer auf die Gondeln der Anlagen ab, die so groß sind wie Einfamilienhäuser.

Mancher Kampf endet mit einer Niederlage, da hilft keine Pille, kein mentales Training, kein „Immer-schön-den-Horizont-fixieren“. Kapitän Gero, der Mann am Steuer der Wind Force 1, kennt sich aus. Das dämmrige Morgengrau über der Küste hatte sich gerade verzogen. Der Fähranleger von Norddeich war auf die Größe eines Möwenschisses geschrumpft und die Platte mit den belegten Frühstücksbrötchen schon fast leer, da hatte er alle gewarnt. „Heute wird es ein bisschen schaukeln, da müsst ihr durch“, orakelte der Ostfriese mit einem wissenden Lächeln unter der tief ins Gesicht gezogenen Wollmütze. „Wer in den Schott reihert, putzt selber auf.“

Der Mechaniker hängt über der Reling

An der Reling steht Stefan und schimpft. Seine Zwölfstundenschicht hat gerade erst angefangen. „Scheißwellen, ich gewöhne mich nie daran“, sagt der Mechaniker mit dem kalkweißen Gesicht. Neben ihm hängt eine Journalistin über der Brüstung, es soll die ganze Fahrt über nichts mehr werden mit dem Interview für das neue Kundenmagazin eines Energieversorgers. Sie klammert sich an Taschentücher und den Zuspruch ihres Kollegen, nimmt Blätter von der Haushaltsrolle entgegen, die ihr der aufmerksame Matrose reicht. „Es geht“, versucht sie kurz zu lächeln, dann kommt der nächste Schwall.

„Beim ersten Mal war’s am schlimmsten, da hatte ich jede Menge Kakao getrunken“, sagt Stefan mitleidig in ihre Richtung. Das sei alles eine Kopfsache, behauptet er, bei der Hinfahrt zu den Anlagen ginge es ihm immer miserabel, das Schiff sei aber auch ein „furchtbarer Eimer“ und nein, seinen Job wolle er deshalb nicht aufgeben. Zwei Meter weiter reißen seine Kollegen Witze, gut gelaunt wie auf einem Klassenausflug, mit Kaffee in der einen Hand und Kippen in der anderen. Drinnen in der Kajüte läuft eine RTL-Soap, Stefan starrt stoisch vor sich hin. „Man liebt es oder hasst es“, kommentiert einer aus der Runde nebenan. „Wir hatten einen hohen Verschleiß an Mitarbeitern am Anfang“, sagt Ralf Klooster verständnisvoll.

Warum der Mann vom Tüv nicht auf die Turbine darf

Wie ein Taxi pendelt die Wind Force 1 durch die Anlage, die rund 500 Fußballfelder Fläche umfasst. Nur ein Krabbenkutter kommt ihr entgegen, er darf zu Forschungszwecken seine Netze zwischen den Türmen auswerfen. Zum aufwendigen wissenschaftlichen Begleitprogramm des Testparks gehört auch eine Erfassung der Fischbestände. Kapitän Gero hält vergeblich Ausschau nach der Hausrobbe von Alpha Ventus, die lässt sich heute nicht blicken. Er rumst gekonnt ran an die Turbinen, lässt rund ein Dutzend Techniker, Elektriker, Monteure erst aus- und Stunden später wieder einsteigen. Ihr Gepäck, in unhandlichen Big Bags verstaut, hieven Krane auf die Anlagen. Nur der Mann vom Tüv Rheinland, der die Fahrstühle prüfen soll, muss an Bord bleiben. Er hat seine Sicherheitsschuhe vergessen und Klooster hat‘s gemerkt. „Macht nichts“, beschwichtigt der Tüv-Kontrolleur, „ich komme wieder.“

So weit draußen kann jeder Fehler fatal sein. Einmal haben sie trotz der ständigen Abfragen einen Wetterumschwung nicht rechtzeitig erkannt. Da mussten elf Männer zwei Tage lang oben in den Gondeln ausharren, bis eine Kältefront wieder vorübergezogen war. Sie hielten sich warm mit Kletterübungen – Turm hoch, Turm runter – und kleinen Heizlüftern. Solche Notfälle sind eingeplant im Sicherheitskonzept, die Windkraftanlagen entsprechend ausgestattet: mit Chemietoilette, Schlafsäcken, Skatkarten, abgepackten Fertiggerichten und einem Erste-Hilfe-Koffer. Sogar ein Defibrillator für Herzprobleme gehört zur Grundausrüstung, denn bis der Helikopter den Arzt von Borkum zur Plattform geflogen hat, kann es zu spät sein. 80 Verletzte und zwei Tote, ein Taucher und ein Industriekletterer, zählte das Havariekommando, die Leitstelle für alle größeren Schiffsunfälle, seit in Nord- und Ostsee an den Parks geschraubt wird. Alles ist bis ins Kleinste geregelt, selbst die gelbe RAL-Signalfarbe, womit der Turm gestrichen werden muss. Nur bei der Sicherheit klafft eine Gesetzeslücke. Es gebe keinen offiziellen Rettungsdienst, kritisiert das Havariekommando, da müsse unbedingt nachgebessert werden.

Die deutschen Werften können sich Hoffnungen machen

Deutschlands größte Baustelle wird bald das Meer sein. Die Branche holt Luft, es ist absehbar, wie die Republik davon profitieren wird – nicht nur der Norden, auch die Zulieferer im ganzen Land. Tausende von Jobs entstehen, die nächsten 2000 Räder sind schon genehmigt. Von Helgoland aus sollen gleich drei Windparks gewartet werden, das dortige Designhotel hat einer der Betreiber auf zehn Jahre gemietet. Der Bedarf an allem wächst: Turbinen, Kabeln, Kranen, gut ausgebauten Häfen – Cuxhaven und Emden sind die ideale Basis für den Schwerlastbetrieb. Auch die deutschen Werften können sich Hoffnung machen, weil der Markt nicht hergibt, was die Offshorezukunft alles braucht: neue Montage- und Hotelschiffe, Hubinseln, Serviceboote. Das Offshoregeschäft fordert Milliarden an Investitionen.

Geglaubt hat Ralf Klooster nie daran, dass Deutschland eine Windnation werden könnte, gehofft hat er es immer. „Das ist eine irre Nummer“, sagt er und schält sich aus seinem schweren Überlebensanzug. Das Team hat in einer der Anlagen einige Bleche ausgetauscht, im Rotorstern die Technik überprüft und ein paar Softwareupdates gemacht. „Wir sind momentan bei 450 Wartungsstunden pro Anlage“, sagt Klooster, das müsse noch deutlich runter. Der Ostfriese hat alle Kinderkrankheiten des Pilotfeldes kurieren helfen. „Wir sind in einem ständigen Lernprozess“, sagt er. „Anfangs hatten wir Probleme mit der Korrosion.“ Und dann legt er los mit der langen Liste der Widrigkeiten. Die Stürme, die Materialbelastungen, die superstrengen Bauauflagen, die neu entwickelte Technik – und natürlich die Schweinswale. Ja, die seien wieder da – so wie früher. Schweinswale vertragen sich nicht mit der Baustelle Windpark. Ihr Gehör ist empfindlich, das Rammen der Fundamente in den Boden eine Qual für die Meeressäuger. „Deshalb werden Blasenschleier eingesetzt“, sagt Klooster und erklärt, wie aufsteigende Luftblasen den Schall dämmen. Eine Art Ohrenschutz für die Wale.

Der Netzanbieter Tennet hat Probleme

Ganz andere Sorgen hat Lex Hartmann, der Deutschland-Geschäftsführer des Netzbetreibers Tennet. Seine Firma kommt nicht hinterher mit dem, was der Gesetzgeber vorschreibt: die Netzanschlüsse für die Windparks an der Nordsee zu legen. Gut 800 Millionen Euro kann so ein dickes Kabel bis zum Strand locker kosten. Doch Tennet ist nach fünfeinhalb Milliarden Investitionen das Geld ausgegangen. „Wir können die Kosten alleine nicht stemmen“, sagt Hartmann, weitere zehn Milliarden seien zu viel, auch wenn die Rendite von neun Prozent bereits gesichert sei. Jetzt springt die deutsche Regierung bei. Bis zur Sommerpause soll ein Gesetzentwurf vorliegen, in dem strittige Haftungsfragen zwischen Netz- und Anlagenbetreibern geklärt werden. Daran scheiterten, wie Hartmann erklärt, viele Investitionen.

„Die Netze“, sagt Ralf Klooster auf die Frage, woran die Energiewende scheitern könnte. Von einer dringend notwendigen Stromautobahn vom Norden in den Süden spricht Tennet-Geschäftsführer Hartmann und davon, dass die richtig teuer werde. Da sollten sich die vier Netzbetreiber der Republik zusammentun, hat seine Firma vorgeschlagen und sich damit wenig Freunde gemacht. Längst wird nach dem Staat gerufen, der die Leitungen finanzieren solle, damit das neue Supernetz ganz sicher kommt.

Mit dem Wasserschlauch hat Kapitän Gero seine Wind Force 1 wieder sauber gespritzt. „Das bin ich gewöhnt, passiert öfter“, sagt er und macht sein Schiff am Fährhafen von Norddeich fest. Wann es wieder Richtung Windpark startet, weiß keiner. Der Wartungsplan richtet sich nach dem Wetter, und die Prognose ist schlecht, wie der Kapitän weiß: „Morgen geht nichts, da stürmt es.“