Umweltschützer fordern ein Ende der Braunkohleverstromung bis 2030 und den raschen Umstieg auf alternative Energien. Vattenfall dagegen will die Kohleschlote noch mindestens bis 2040 rauchen lassen und dafür weitere fünf Gruben graben.

Korrespondenten: Thomas Wüpper (wüp)

Berlin – In spektakulären Aktionen sind Greenpeace-Aktivisten geübt. Fast einen Tag ketteten sich schwedische Mitglieder der Umweltorganisation an die Schienen, die zum Braunkohlekraftwerk Schwarze Pumpe in der Lausitz führen. Erst dann konnte die Bundespolizei die Blockade beenden und die Gleise für die nächsten Kohlezüge räumen. Der Kraftwerkbetreiber Vattenfall aus Schweden hat Anzeige gegen die Demonstranten erstattet und prüft Schadenersatzansprüche.

 

Mit der Aktion will Greenpeace gegen die umwelt- und klimazerstörende Nutzung der Braunkohle protestieren. Mit jedem Kohlezug ruiniere der Konzern das Klima, setze tödlichen Feinstaub frei und verschmutze die Flüsse, kritisiert Emma Petersson, Energieexpertin von Greenpeace Schweden. Es sei für jeden Schweden „eine Schande“, dass ihr Staatskonzern Vattenfall in der Lausitz einige der schmutzigsten Kohlekraftwerke Europas betreibe. Die Umweltschützer fordern ein Ende der Braunkohleverstromung bis 2030 und den raschen Umstieg auf alternative Energien.

Vattenfall dagegen will die Kohleschlote noch mindestens bis 2040 rauchen lassen und dafür weitere fünf Gruben graben. Zunächst soll der Tagebau Welzow-Süd um rund 19 Quadratkilometer erweitert und damit eine Fläche so groß wie Hiddensee in eine Mondlandschaft verwandelt werden, damit die Schweden ab 2027 weitere 200 Millionen Tonnen Kohle fördern und verbrennen können. Allein dafür müssten rund 800 Menschen in Welzow und dem Ortsteil Proschim bis zum Jahr 2020 den Baggern weichen.

Bereits 2007 hat Vattenfall die ersten Anträge gestellt. Das Genehmigungsverfahren läuft seit Jahren. Doch die Pläne sind umstrittener denn je. Allein der Umweltverband BUND hat nun die Rekordzahl von 112 000 Einwendungen gegen den neuen Tagebau organisiert und den Planungsbehörden übergeben. Ganze Dörfer, viele Biotope und ein Europäisches Schutzgebiete würden vernichtet oder beeinträchtigt, warnen die Kritiker. Mit Proschim würde überdies ein Heimatort der sorbischen Minderheit in eine Mondlandschaft verwandelt. Zudem werde der Klimawandel durch die belastende Kohleverstromung weiter angeheizt.

Doch Brandenburgs Landesregierung unter dem neuen Ministerpräsidenten Dietmar Woidke (SPD) hält die Braunkohle als Energieträger und Wirtschaftsfaktor in der Region weiterhin für unverzichtbar. Unterstützt fühlt sich die Politik von mehr als 60 000 Unterschriften von Bürgern für den Erhalt der Braunkohle. Bundesweit kommt noch ein Viertel der Stromerzeugung aus diesem Energieträger, in Brandenburg sogar rund 80 Prozent. In der Lausitz hängen einige tausend Jobs an der Branche. Deren Bedeutung indes schwindet. Zu DDR-Zeiten arbeiteten mehr als 100 000 Menschen in den Tagebauen und Kraftwerken.

Die Braunkohlegegner sind besonders auf den gerade abgetretenen Ministerpräsidenten und ehemaligen Umweltminister Matthias Platzeck und seine seit 23 Jahren regierende SPD schlecht zu sprechen. In der Zwickmühle steckt auch der Koalitionspartner. Die Linken hatten noch bis vor wenigen Jahren als Oppositionspartei neue Tagebaue rigoros abgelehnt. Nun betont ihr Wirtschafts- und Energieminister Ralf Christoffers, Braunkohle werde als sichere „Brückentechnologie“ noch längere Zeit nötig sein.

Das sehen manche Experten anders. „Stromgewinnung aus Braunkohle ist kein Zukunftsmodell“, lautet das Fazit einer Studie, die das DIW Berlin Ende 2012 veröffentlichte. Die Wirtschaftsforscher warnen, neue Kraftwerke und Tagebaue seien überflüssig und rechneten sich nicht. Für Forschungsdirektor Christian von Hirschhausen steht fest: Es gebe „keinen Bedarf“ für weitere Kohlegruben. Die genehmigten Abbaumengen reichten in allen drei Revieren im Rheinland, in der Gegend um Leipzig und in der Lausitz aus, um die bestehenden rund 60 Kraftwerke bis zum Ende ihrer Laufzeit mit Kohle zu versorgen. Die Aufgabe der Politik bestehe daher darin, den Strukturwandel zu begleiten und zukunftsträchtige Energien zu etablieren.

Die DIW-Forscher rechnen vor, dass der künftig nötige Kauf von CO2-Zertifikaten für die Luftverschmutzung die Wettbewerbsbedingungen für die Braunkohle dramatisch verschlechtert – zumal sich die Hoffnung nicht erfüllt hat, dass das klimaschädliche Kohlendioxid in den Rauchgasen abgespalten und unterirdisch gespeichert werden kann. Ein neues, ab 2015 ans Stromnetz gehende Kraftwerk mit 1100 Megawatt würde nach einer DIW-Modellrechnung in 40 Jahren Laufzeit stolze 426 Millionen Euro Verlust verursachen.

Für Vattenfall indes geht es wohl vor allem darum, die bestehenden Kraftwerke möglichst lange auszulasten. Die Schweden haben nach dem Fall der Mauer zahlreiche Kraftwerke und Tagebaue in Ostdeutschland günstig übernommen und seither die lukrative Kohleverstromung mit Milliardengewinnen fortgeführt und modernisiert. Ähnlich wie bei den Atommeilern lohnt sich der Betrieb umso mehr, je länger die Anlagen Strom liefern. Die Entscheidung, wie es mit der Kohle weitergeht, werde daher auch in Schweden getroffen, betont der Fraktionschef der Grünen im Landtag, Axel Vogel. Nötig sei ein sozial verträglicher Ausstieg.

Bisher sieht es nicht so aus, als wolle sich der schwedische Staatskonzern darauf einlassen. Eine Begrenzung der Laufzeiten würde Vattenfalls Gewinne beschneiden. Das Kraftwerk Schwarze Pumpe zum Beispiel wurde erst 1998 errichtet und benötigt jeden Tag bei voller Last 36 000 Tonnen Kohle, die bisher aus dem bestehenden Tagebau Welzow Süd kommen. Dessen Vorräte reichen noch für mindestens zwei Jahrzehnte, doch ab 2027 sollen die Bagger die Grube erweitern. Das würde die weitere Laufzeit des Kraftwerks, die Stromversorgung, Arbeitsplätze und die Gewinne Vattenfalls sichern.

Der Preis dafür – weitere Umsiedlungen, Umweltzerstörungen und Klimabelastungen – ist den Kritikern zu hoch. Zumal mit jedem Kohlekraftwerk, das noch Jahrzehnte weiter läuft, der politische Druck abnimmt, möglichst rasch und vollständig auf alternative Energien umzusteigen. Nach bisherigen Plänen der Bundesregierung sollen erst 2050 rund 80 Prozent der Energie klimaneutral erzeugt werden.