Seit Jahresbeginn gibt es neue Möglichkeiten, Ökostrom zu vermarkten. Und die werden gut angenommen.

Stuttgart - Es geschah in der Nacht vom 3. auf den 4. Oktober im Jahr 2009: Die meisten Menschen schliefen, es war eine Nacht von Samstag – noch dazu Feiertag – auf Sonntag, die wenigsten Fabriken produzierten, und überhaupt wurde gerade extrem wenig Strom verbraucht in Deutschland. Dennoch liefen die Windräder in jener windigen Nacht und speisten Strom ins Netz. Und da Strom verbraucht werden muss, blieb nichts anderes übrig, als ihn zu vernichten: durch Pumpen, die im Leerlauf liefen oder durch Heizlüfter, die eigentlich gerade niemand brauchte – oder aber durch ausländische Pumpspeicherwerke, die den Strom dazu nutzen, Wasser in ihre Speicher zu pumpen.

 

Diese Vernichtung muss bezahlt werden, und sie wurde bezahlt: Wer zwischen null und ein Uhr am 4. Oktober 2009 Strom loswerden musste, hatte für eine Megawattstunde 1499 Euro zu berappen. In diesem Fall waren das die deutschen Übertragungsnetzbetreiber, die laut dem Erneuerbaren-Energien-Gesetz (EEG) dazu verpflichtet sind, jede in Deutschland erzeugte Kilowattstunde Windstrom zu gesetzlich festgelegten Preisen (der sogenannten EEG-Vergütung) abzunehmen und in ihr Netz einzuspeisen. Ihr folgender Aufschrei über diese finanzielle Belastung wurde von der Politik erhört, und so müssen seitdem die Verbraucher die Kosten für die sogenannten negativen Strompreise tragen. Sie werden in die EEG-Umlage eingerechnet, mit der die Stromverbraucher die Mehrkosten aus den festgelegten Ökostrompreisen bezahlen müssen.

Das Problem anders lösen

Nun sollte man meinen, das Problem ließe sich auch anders lösen, beispielsweise indem die Windanlagenbetreiber ihre Mühlen einfach abstellen oder runterregeln, solange ihr Strom nicht benötigt wird. Aber erstens liegt das ja nicht in ihrem Interesse, schließlich erhalten sie ja die EEG-Vergütung, auch wenn ihr Strom nicht gebraucht wird. Und zweitens können die Betreiber ihre Anlagen gar nicht steuern, dazu fehlt schlicht die nötige Zugriffstechnik.

Das beginnt sich nun zaghaft zu ändern, und zwar durch die sogenannte Direktvermarktung. Seit Januar haben die EEG-Anlagenbetreiber die Möglichkeit, ihren Strom zu verkaufen oder durch einen Händler verkaufen zu lassen. Die Handelstochter des norwegischen Energiekonzerns Statkraft tut dies etwa für den Bremer Windparkbetreiber Energiekontor. Insgesamt werden bereits rund drei Viertel des deutschen Windstroms, der hier als Vorreiter fungiert, direkt vermarktet. Bei der Sonnenenergie sind es fünf Prozent.

Managementprämie

Der Vorteil für Händler und Betreiber liegt auf der Hand, denn sie haben so die Chance, mehr zu erlösen als auf dem herkömmlichen Weg. Sie fahren auf alle Fälle nicht schlechter als bei der Einspeisung, weil ihnen die Differenz zur EEG-Vergütung über eine Marktprämie ausgeglichen wird. Da diese aber aufgrund von durchschnittlichen Erlösen berechnet wird, würden die Vermarkter die Verluste aus negativen Strompreisen zumindest teilweise zu tragen haben – so liegt es in ihrem Interesse, die bis jetzt fehlende Technik zum Runterregeln von Windenergieanlagen installieren zu lassen. Statkraft schätzt die Kosten aus negativen Strompreisen für das kommende Jahr auf 80 Millionen Euro, für das Jahr 2016 sogar auf mehr als 500 Millionen Euro – Kosten, die jeder Stromverbraucher hierzulande zahlen muss und die durch die Direktvermarktung vermieden werden könnten.

Zu Verkaufserlös und Marktprämie kommt zudem noch eine sogenannte Managementprämie von derzeit zwölf Euro pro Megawattstunde Sonnen- oder Windstrom. Die beiden Prämien werden wiederum über die EEG-Umlage finanziert. Die Managementprämie ist der Anreiz, das neue Modell zu erproben. Außerdem deckt sie Kosten, die aus der Direktvermarktung entstehen – je niedriger sie sind, desto mehr bleibt bei Stromhändlern und Betreibern hängen. Dazu gehören beispielsweise die Kosten für Ausgleichsenergie, die zugekauft werden muss, wenn die prognostizierten und damit auch verkauften Strommengen wegen Windflaute, Wolken oder Ausfällen nicht produziert werden können.

Qualität der Prognosen ist schlecht

Bis jetzt ist die Qualität dieser Prognosen relativ schlecht, was gute Gründe hat, denn die Informationslage ist denkbar dünn: In der Regel erfahren Ersteller von Vorhersagen, wie beispielsweise das Oldenburger Unternehmen Energy & Meteo Systems, noch nicht einmal, wenn eine Anlage in Wartung ist und nicht produziert. Noch schlimmer: manchmal langt die Nachricht, dass es neue Windenergieanlagen gibt, die Strom produzieren, erst mit einem halben Jahr Verspätung bei den Abnehmern an, wie Kathrin Thomaschki, Beisitzerin der Beschlusskammer 6 bei der Bundesnetzagentur, aus leidiger Erfahrung weiß. „Dass unsere Prognosen da tendenziell schlecht sind, liegt auf der Hand“, sagt Ulrich Focken, Geschäftsführer von Energy & Meteo. Gemeinsam mit etlichen anderen Marktteilnehmern wie Statkraft und Energiekontor, aber auch Herstellern von Anlagen hat er Schnittstellen entwickelt, die den Zugriff auf die Anlagen ermöglichen und diese steuerbar machen – ein wichtiger Schritt in Richtung Marktfähigkeit.

Der Weisheit letzter Schluss ist die Direktvermarktung trotz ihrer positiven Auswirkungen für Thomaschki dennoch nicht: Durch die Verknüpfung mit dem EEG bleibt es bei der Subventionierung von Ökostrom. Von der – da sind sich alle einig – müssen die erneuerbaren Energien mittelfristig aber loskommen, wenn sie eines Tages tatsächlich die tragende Säule der Energiewirtschaft sein sollen. Ein wichtiger Zwischenschritt ist sie aber allemal.