Energiewende in Stuttgart Dringend gesucht: Wie sieht die Strategie für die Stadtwerke aus?

Die Stadtwerke Stuttgart zeigen in Schwanfeld Präsenz: Auch hier in Unterfranken sind sie an einer Windkraftanlage zur Erzeugung von Ökostrom beteiligt. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Bis zur Jahresmitte sollen die künftigen Geschäftsfelder der Stadtwerke Stuttgart abgesteckt werden. Einige Bereiche sind besonders diskussionsbedürftig.

Stuttgart - Vor fast elf Jahren ist die Landeshauptstadt nach längerer Abstinenz wieder in den Energiesektor eingestiegen und hat die Stadtwerke Stuttgart (SWS) gegründet. Die sollen 2022 nun auch eine veritable Strategie bekommen, damit sie der Motor der Energiewende in Stuttgart sein können. Kurz vor Jahresbeginn haben Geschäftsführung und Aufsichtsrat Eckpunkte vereinbart. Zur Jahresmitte will man dem Gemeinderat eine komplette Strategie vorstellen.

 

Die neue Marschrichtung

Mit Zustimmung des Aufsichtsrats läuft bereits die Besetzung von mehr als 30 neuen Stellen nur im Bereich Energiedienstleistungen an. Der Aufsichtsrat billigte auch die wichtigsten Vorschläge zweier externer Gutachter, welche Geschäftsfelder die SWS besetzen soll. Das sind vor allem der zügige Ausbau der Fotovoltaik für mehr Ökostrom aus Sonnenkraft und der Ausbau der Lade-Infrastruktur für Elektromobile. Das Fotovoltaikgeschäft gilt als kostenneutral bis leicht gewinnbringend und als wichtig für die Imagebildung der SWS. Außerdem: Fotovoltaik sei für Stuttgart der wichtigste Hebel zur Ökostromerzeugung, sagt der Technische Geschäftsführer Peter Drausnigg. Die Lade-Infrastruktur gilt als gewinnträchtiger, wenn die SWS im Wettbewerb schnell punkten und sich lukrative Standorte sichern können, um Marktführer in Stuttgart zu werden. Doch ausgerechnet dort, wo sich Umweltschützer entscheidende Zusatzpotenziale für die Energiewende und den lokalen Klimaschutz ausrechnen, nämlich bei den Wärmenetzen mit vielen Quartierslösungen rund um Blockheizkraftwerke und Wärmepumpen, rieten die Gutachter zu „vertieften Betrachtungen“. Denn sie schätzen, dass die SWS im Schnitt mindestens eine halbe Million Euro pro Wärmequartier drauflegen würden. Jedenfalls hänge hier sehr viel an Förderung durch Bund und Land.

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Problembereich Wärmenetze

Um die künftige SWS-Rolle auf diesem Sektor wird es im weiteren Strategieprozess sehr stark gehen. Viel hängt dafür von der bevorstehenden Generaldebatte des Gemeinderats am 20. Januar ab, wie weit man das Zeitziel für Stuttgarts Klimaneutralität vorziehen wird. Bisher plante die Stadt für das Jahr 2050. Das Land hat aber 2040 ausgerufen, und das ist wohl das Mindeste, womit die Ratsfraktionen nun auch kalkulieren. Momentan scheint sich jedoch eine Mehrheit für 2038 oder gar 2035 zu formieren. Das würde zu einem umso ehrgeizigeren Wärme-Konzept zwingen. Drausnigg spielt bereits die Szenarien durch. Für ihn ist klar: „Wir geben bereits Gas, aber wir müssen dann noch mehr Gas geben.“ Frühere Klimaneutralität bedeute noch mehr Investitionen und Personalbedarf. Fachkräfte sind aber schon rar.

Die Kurzzeitstrategie

Im Moment gilt für den Wärmebereich, was Drausnigg im Aufsichtsrat zusagte: Man werde sich jedes Projektes annehmen, das sinnvoll erscheine. Darüber hinaus müsse man die Wärmeleitplanung einbeziehen, die Kommunen 2023 vorweisen müssen und die in Stuttgart vom Amt für Umweltschutz vorbereitet wird. Daraus solle man die richtigen Projekte herausdestillieren, denn die Maßnahmen seien nicht nur teuer, sondern hätten auch einen Vorlauf von zwei bis vier Jahren. Das ist nur in Minigebieten wie in einem bisher mit Heizöl versorgten Wohngebiet in Weilimdorf-Süd anders. Dafür genehmigte der Aufsichtsrat eine Machbarkeitsstudie. Hier könnte man sich erste Wärmelieferungen „2023/2024“ vorstellen.

Die Haltungen im Rat

Hier dürfte der Zug in Richtung offensiver Wärmewende fahren, obwohl etwa die FDP der Konzentration auf die Geschäftsfelder das Wort redete, mit denen Rendite erwirtschaftet wird. Hinter den Wiedereinstieg in die Windenergie machten die Liberalen ebenfalls ein Fragezeichen. Andere, wie die SPD, das Linksbündnis oder die Fraktionsgemeinschaft Puls, wünschen sich wieder eine aktivere Rolle bei der Windenergie, nachdem sich die SWS vor Jahren auf die bis dahin getätigten Beteiligungen an Windkraftanlagen im Bundesgebiet zurückgezogen haben, weil sich das Engagement kaum rechnete und neue Anlagen umstritten waren. Drausnigg möchte auf jeden Fall gemeinsam mit der Firma Gedea Ingelheim die Windkraftanlage auf dem Grünen Heiner in Weilimdorf aufrüsten und zum „Wahrzeichen der Energiewende in Stuttgart“ machen. Aber das ist ein kleines Ding. Im Aufsichtsrat machte Drausnigg deutlich, dass er auf eine neue Gesetzeslage wartet. Dennoch wolle man im Grundsatz neue Standortorte für Windparks prüfen, hieß es dort aber auch.

Der Finanzbedarf

Schon 2022 sind Investitionen von gut 20 Millionen Euro nur in den Bereich Energiedienstleistungen „über dem Erdboden“ absehbar, ohne Tiefbau. Das ist viermal so viel wie 2021. Und dabei rechnet man bisher bei Personal und Investitionen ja noch mit dem Klimaneutralitätsziel 2050. Falls die SWS voll in die Herstellung von Quartiers-Wärmenetzen mit aufwendigen Leitungsarbeiten einsteigen, müssten bis 2029 pro Jahr wohl noch einmal rund 40 Millionen Euro mehr investiert werden.

Mögliche Finanzquellen

Dort, wo die Stadtkämmerer bisher die für die städtischen Töchter benötigten Gelder herholten, herrscht Ebbe. Die bei der städtischen Holding SVV angesiedelten Geldanlagen werfen wenig ab, der Ertrag wird durch den wachsenden Zuschussbedarf der Verkehrsbetriebe SSB aufgebraucht. Führt Stuttgart keine Nahverkehrsabgabe für Autofahrer oder Firmen zur besseren SSB-Finanzierung ein, bleiben wenig Auswege: dass die Stadt das Geld für die SWS-Investitionen aus ihrem laufenden Haushalt abzweigt oder eine „Klima-Anleihe“ bei den Bürgern macht. Für Letzteres gibt es im Rathaus Sympathien vom Linksbündnis bis Mitte rechts. Die CDU könnte sich offenbar Renditen für die Bürger von bis zu vier Prozent vorstellen. Bei Puls denkt man an weniger als ein Prozent. Viele aber glauben, dass die Bürger in der Niedrigzinsphase gern Geld für den Klimaschutz bereitstellen.

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