Um die Ziele der Landesregierung bis zum Jahr 2020 zu erreichen, müssten auch in der Region Stuttgart zahlreiche Biogas-, Windkraft- und Fotovoltaikanlagen gebaut werden. Doch es gibt auch skeptische Stimmen – nicht nur bei den Bürgern.

Klima/Nachhaltigkeit : Thomas Faltin (fal)

Stuttgart - Die erbitterten Auseinandersetzungen über die Biogasanlage in Nürtingen oder die Windkraftanlage in Ingersheim sind womöglich erst der Anfang für die Region Stuttgart: Denn die grün-rote Landesregierung hat vor wenigen Monaten das Ziel ausgegeben, bis zum Jahr 2020 rund 38 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien zu schöpfen – auch in der dicht besiedelten Region Stuttgart müssten dann also Dutzende Großanlagen gebaut werden, wie die StZ jetzt hochgerechnet hat.

 

Biogas

Biogasanlagen

Die Energie aus Biogasanlagen hat laut den Experten der Regierung nur noch ein geringes Ausbaupotenzial – bis 2020 soll ihr Anteil an der Stromproduktion von derzeit fünf deshalb noch auf gut sieben Prozent steigen, also um etwa 50 Prozent. Im Moment gibt es in Stuttgart und den fünf umliegenden Landkreisen 52 solcher Biogasanlagen mit zusammen 20 Megawatt Leistung. Sollte die Region ihren jetzigen – weit unterdurchschnittlichen – Anteil an der landesweiten Produktion nur halten wollen, müssten also 26 Anlagen in der derzeitigen durchschnittlichen Größe (370 Kilowatt Nennleistung) gebaut werden.

Die kleineren Anlagen unter 500 Kilowatt werden meist von Landwirten errichtet und an ihren Hof angegliedert; sie sind oft unproblematisch. Befürchtungen gibt es immer dann bei den Bürgern, wenn Großanlagen geplant werden – der Betrieb in Nürtingen, in dem Essensabfälle als Grundlage dienen, will 45 000 Tonnen davon jährlich verarbeiten. Statt vieler kleinerer könnten etwa sechs große Biogasanlagen (1600 Kilowatt Nennleistung) gebaut werden, um die Ziele des Landes umzusetzen.

Der Trend geht zu solchen Betrieben. So zwingt das Kreislaufwirtschaftsgesetz alle Landkreise, den Biomüll ab 2015 energetisch zu verwerten – Biogasanlagen sind dafür die lukrativste Form. Im Rems-Murr-Kreis steht eine solche Anlage schon bei Backnang, für Stuttgart soll sie in Zuffenhausen gebaut werden, im Kreis Ludwigsburg wird nach einem Standort gesucht. Die Naturverbände wie der BUND oder der Naturschutzbund (Nabu) unterstützen den Plan des Landes zur Energiewende– sie wenden sich nur dagegen, dass Raps und Mais extra für die Biogasanlagen produziert werden: „Das führt zu Monokulturen und damit zum Verlust von Arten“, sagte André Baumann, der Vorsitzende des Naturschutzbundes Baden-Württemberg.

Windkraft

Windkraft

Das Land setzt vor allem auf den Ausbau der Windkraft – um das Zehnfache soll sich die Stromausbeute bis 2020 erhöhen, zehn Prozent des benötigten Stroms sollen dann in den Wolken produziert werden. Hier werden auch die größten Konflikte erwartet. In der Region Stuttgart drehen sich derzeit 27 Windkraftanlagen mit zusammen etwa 30 Megawatt Leistung. Das neue Windrad in Ingersheim besitzt eine Höhe von 179 Metern und zwei Megawatt Leistung. Es ist höher als das Ulmer Münster. Wenn man die Vorgabe der Landesregierung nimmt und im Schnitt 2,5-Megawatt-Anlagen bauen würde, müssten 110 solcher Windräder in der Region aufgestellt werden, um die Stromproduktion bis 2020 zu verzehnfachen. Und diese Zahl ist keine graue Theorie. Genügend „windhöfige“ Standorte für eine solche Anzahl von Rotoren gäbe es, wie Thomas Kiwitt, der Technische Direktor des Verbandes Region Stuttgart (VRS), bestätigte. Und es sind auch viele Kommunen sehr daran interessiert, Flächen für Windräder auszuweisen.

Nicht nur die betroffenen Bürger schlagen deshalb Alarm, sondern auch manche Experten. Der Nachhaltigkeitsbeirat des Landes Baden-Württemberg, der noch von der alten CDU-geführten Regierung eingesetzt worden war, hat vor wenigen Wochen gewarnt, dass die Ziele bei der Energiewende zwar richtig seien, aber nicht durch die Verschandelung der Landschaft erkauft werden dürften. Zwei Mitglieder äußerten sich abseits des Protokolls deutlich: Das Land werde „bereits 2020 ein völlig verändertes, stark beeinträchtigtes Landschaftsbild vorweisen“, mahnten Giselher Kaule, der frühere Leiter des Instituts für Landschaftsplanung an der Universität Stuttgart, sowie Lutz Wicke, früher CDU-Staatssekretär in Berlin.

Der Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) hat die Kritik vor wenigen Tagen zurückgewiesen. Zum „Tag der Umwelt“ rechnete er vor, dass in Nordrhein-Westfalen, das flächenmäßig sogar etwas kleiner als Baden-Württemberg ist, mit 2881 schon heute deutlich mehr Anlagen in Betrieb seien, als nach den Plänen der Landesregierung im Jahr 2050 der Fall sein werde – man plant dann mit 2400 Anlagen landesweit. „Ich habe weder den Eindruck, die Landschaft in Nordrhein-Westfalen wäre unzumutbar verspargelt, noch das Gefühl, die Menschen dort würden sich in ihrer Heimat nicht wohlfühlen“, so Franz Untersteller. Auch Thomas Kiwitt vom VRS sagt klar: „Wir müssen unseren Teil der Last tragen.“

Ihm ist aber wichtig, dass der Ausbau umweltverträglich abläuft – die Grünzäsuren, mit denen der Verband die letzten Naturflächen im Ballungsraum schützen will, dürften nicht angetastet werden. Auch das Landschaftsbild dürfe an wichtigen Punkten wie dem Württemberg oder an der Burg Teck nicht beeinträchtigt werden. Im Moment erarbeitet der VRS konkrete Kriterien für mögliche Standorte – am kommenden Mittwoch werden die Regionalräte erstmals darüber debattieren. Grundsätzlich hofft Thomas Kiwitt, dass die Auseinandersetzungen künftig nicht mehr so intensiv werden wie in der Vergangenheit: „Aber mir ist klar, dass wir bei den betroffenen Bürgern keine Begeisterung auslösen.“

Die Umweltverbände halten sich auch bei der Windkraft mit Kritik zurück: BUND und Nabu fordern in einer gemeinsamen Erklärung lediglich, dass Gebiete exakt definiert werden, in denen der Naturschutz Vorrang vor den Windkraftanlagen besitze, gerade dort auch, wo viele Vögel und Fledermäuse durchziehen. „Der Ausbau der Windkraft ist ein zentraler Bestandteil der Energiewende, den es nicht zum ökologischen Nulltarif gibt“, sagt der Nabu-Vorsitzende André Baumann: „Das ist uns bewusst.“

Fotovoltaik und Wasserkraft

Fotovoltaik und Wasserkraft

Einigermaßen unproblematisch dürfte dagegen der Ausbau der Fotovoltaikanlagen und der Wasserkraftwerke erfolgen. Beim Solarstrom stellt sich das Land eine Vervierfachung von derzeit drei auf zwölf Prozent des benötigten Stroms bis 2020 vor. Wie viele zusätzliche Anlagen dies in der Region Stuttgart bedeutet, darüber hat niemand einen Überblick. Da die Anlagen aber meist in kleinerem Umfang auf privaten Dächern installiert werden, ist nicht von großen Protesten auszugehen.

Bei der Wasserkraft ist das Potenzial fast erschöpft: An allen technisch möglichen und lukrativen Standorten existiert eine Wasserkraftanlage – das Land hält deshalb nur noch eine Erhöhung des Anteils von 7,5 auf neun Prozent für möglich. Vor allem bei vielen privaten Anlagen sei aber eine technische Aufrüstung und damit eine Erhöhung der Stromproduktion noch möglich, betont die Landesregierung.