Bis 2040 will das Land die Nettonull beim Ausstoß von Treibhausgasen erreichen. Ob das gelingt? Die Chancen stehen schlecht, der Ukraine-Krieg macht viele Pläne und Strategien zur Makulatur. Auch das grün geführte Baden-Württemberg muss mehr tun.

Als Winfrid Kretschmann nach der Landtagswahl im März 2021 in seiner Partei die Neuauflage der grün-schwarzen Koalition durchdrückte, versprach er: „Wir werden Baden-Württemberg zum führenden Klimaschutzland machen.“ An die CDU gewandt sagte er, das Wahlergebnis habe die Gewichte zugunsten der Grünen verschoben. Daraus folge ein klarer Führungsanspruch seiner Partei. Was bedeute: „Das wird keine bloße Fortsetzung der bisherigen Koalition, das wird ein Neuanfang.“

 

Der Start verlief ganz vielversprechend: In einer Novelle des Klimaschutzgesetzes verankerte die neue alte Landesregierung eine Solardachpflicht auch bei Wohngebäuden. Dies hatte die CDU vor der Landtagswahl noch abgelehnt, lediglich auf Fabriken und Parkplätzen sollten Solarzellen obligatorisch werden. Nach der Wahl erklärten dieselben CDU-Granden, die vorher blockiert hatten, sie seien immer schon große, wenn nicht sogar die größten Umwelt- und Klimaschützer auf Erden gewesen. So gelangten die Christdemokraten erneut in die Regierung.

Das Beispiel macht Schule. Soeben haben in Nordrhein-Westfalen CDU und Grüne die Solardachpflicht auch für Privathäuser vereinbart.

Eine Frage der Standortpolitik

Das erstmals 2013 aufgelegte Klimaschutzgesetz des Landes schreibt vor, den Ausstoß von Treibhausgasen bis zum Jahr 2030 um 65 Prozent zu vermindern – im Vergleich zum Jahr 1990. Bis 2040 will man die Klimaneutralität erreichen. Umweltministerin Thekla Walker (Grüne) stellte vergangenen Freitag konkreten Minderungsziele für die unterschiedlichen Sektoren (Verkehr, Wohnen, Industrie usw.) vor.

Seit dem vergangenen Jahr ist im Klimaschutzgesetz auch festgeschrieben, dass in den Regionalplänen mindestens zwei Prozent der freien Landesfläche für die Windenergie und Photovoltaik reserviert werden müssen. Bei der Photovoltaik läuft es ganz ordentlich, da bewegt sich das Land laut Umweltministerin Walker bundesweit in der Spitzengruppe. Bei der Windkraft allerdings geht wenig bis nichts voran. Das ist nicht nur ökologisch von Nachteil, auch der Industriestandort leidet: Unternehmen verlangen inzwischen nach grünem Strom – und zwar so, dass dies auch augenfällig wird. „Das Windrad soll neben der Fabrikhalle stehen“, hat Ministerpräsident Winfried Kretschmann gelernt. Erst irritiert, dann zunehmend besorgt beobachtete er, wie sich der Elektroautobauer Tesla in Brandenburg ansiedelte und der Mikrochip-Hersteller Intel nach Magdeburg ging.

Um den schwedischen Batteriehersteller Northvolt bemühte sich das Land besonders, aber vergeblich. Das Unternehmen lässt sich in Schleswig-Holstein nieder, dem nach alten CDU-Sprachgebrauch völlig „verspargelten“ Küstenland im Norden. Die Begründung von Northvolt lautet: Dort gebe es ausreichend Ökostrom. Immerhin: In Weilheim/Teck ist die Grundlage für die Ansiedlung einer Brennstoffzellenfabrik gelegt. Regierungschef Kretschmann hatte vor Ort für die Ansiedlung geworben. Baden-Württemberg wird aber auf jeden Fall ein Stromimportland bleiben.

Im vergangenen Herbst richtete die Landesregierung eine Task-Force ein, deren Aufgabe vor allem darin besteht, den Windkraftausbau zu beschleunigen. Bald lag eine lange Liste mit Vorschlägen auf den Tisch, doch die Umsetzung verläuft schleppend. Staatsminister Florian Stegmann, der Leiter der Task-Force, gleite zunehmend in den Status der Verzweiflung, sagt ein Vertreter des kommunalen Lagers. Etwa sieben Jahre währt es hierzulande im Schnitt, bis ein Windrad errichtet ist. Nach jüngsten Bekundungen von Umweltministerin Thekla Walker liegt man derzeit bei einer Beschleunigung von etwa eineinhalb Jahre. Ein Jahr soll die Abschaffung des Widerspruchverfahrens vor den Verwaltungsgerichten erbringen. Im Übrigen hofft die Landesregierung auf den Bund, den sie sonst immer kritisiert. Wirtschaftsminister Robert Habeck und Umweltministerin Steffi Lemke (beide Grüne) arbeiten an Gesetzesänderungen, die den Artenschutz betreffen oder auch das Bundesnaturschutzgesetz.

Gutachter macht Vorschläge

Ein Gutachten des Augsburger Umwelt- und Planungsrechtlers Martin Kment, das unserer Redaktion vorliegt, kommt zu dem Ergebnis, dass das Land Landschaftsschutzgebiete und Wasserschutzgebiete der Zone II für die Ansiedlung erneuerbarer Energien auf einer gesetzlichen Grundlage öffnen darf, sofern der „generelle Schutzzweck (also die Funktion) der Landschaftsschutzgebiete nicht infrage gestellt“ wird. Das von der Task-Force in Auftrag gegebene Gutachten des Universitätsprofessors konzentriert sich auf jene Beschleunigungsimpulse für den Windkraftausbau, die in der Kompetenz des Landes liegen.

Positiv beantwortet Kment die Frage, ob das Land per Legalplanung die Windräder im Staatswald bauen könne. Vereinfacht gesagt, ist bei der Legalplanung das Planfeststellungsverfahren schon bereits Teil der Gesetzgebung. Die Legislative, das Parlament, übernimmt die Aufgabe der Exekutive. Kment zitiert dazu das Bundesverfassungsgericht, das ein solches Vorgehen erlaubt, „wenn hierfür im Einzelfall gute Gründe bestehen, etwa weil die schnelle Verwirklichung des Vorhabens von besonderer Bedeutung für das Gemeinwohl ist“.

Zu den wichtigsten Neuerungen im neuen Klimaschutzgesetz gehört die Einführung eines Schattenmindestpreises für Bauaktivitäten in Höhe von 201 Euro pro Tonne Kohlendioxid-Ausstoß – berechnet über die gesamte Lebensdauer der Maßnahme. Damit verbilligt sich eine ökologisch hochwertigere Bauausführung gegenüber der konventionellen, auch wenn zunächst mehr Kosten anfallen. Das ist wichtig, weil damit der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit eingehalten wird.