Historiker und Archäologen sehen Gefahren durch den raschen Ausbau von Windkraft und Solarenergie. Der „Wirkungsraum“ vieler Denkmäler würde durch Windräder oder Solarparks stark beeinträchtigt.

Familie, Bildung, Soziales : Michael Trauthig (rau)

Stuttgart - An seinem Widerstandswillen lässt Horst Woche keinen Zweifel: „Da- mit können wir uns nicht abfinden, sonst verlieren wir noch unseren Nimbus als Unesco-Welterbe“, sagt der 63-Jährige entschlossen. Er steht in diesem Moment auf der Dachterrasse des Schlosses in Wörlitz.

 

Der Finger des Referatsleiters für Garten- und Denkmalpflege der örtlichen Kulturstiftung deutet in Richtung des sachsen-anhaltinischen Luko. Dort könnten aus der flachen, lieblichen Landschaft in absehbarer Zeit Windräder empor wachsen. 200 Meter hoch und für Woche damit eine ästhetische Katastrophe, aber in in gewisser Weise auch die Bedrohung seines Lebenswerks.

Seit 21 Jahren kümmert er sich um ein faszinierendes historisches Gelände: das Gartenreich Dessau-Wörlitz. Rund eine Million Besucher kommen jährlich hierher. Sie sollen, das ist Woches Anspruch, einen möglichst ursprünglichen Eindruck von der Anlage aus dem 18. Jahrhundert bekommen. Auf diese Weise sollen sie den Aufklärungswillen erkennen, der den Schöpfer des Gartenreiches, Fürst Leopold Friedrich Franz, einst leitete.

Dass Windräder da stören, scheint klar. Doch ist das nicht nur Geschmackssache? Woche schüttelt den Kopf. Dann erzählt er, wie wichtig dem Fürst die optische Wahrnehmung war. Rund 300 Sichtachsen – also Schneisen, die den Blick auf zentrale Elemente erlauben, – habe der fortschrittliche Herrscher damals geschaffen. „Immerhin 100 davon haben wir frei gelegt.“ Diese zu erhalten verlange so viel Geschick, dass nur die Gärtner der Kulturstiftung ran dürften. Angesichts dessen nimmt es nicht Wunder, dass Woche mit den Folgen der Energiewende hadert. Schon jetzt sei es traurig, dass Besucher Windräder von der Hofgärtnerei aus sehen würden. „An denen können wir zwar nichts mehr machen. Aber die Riesen-Anlagen in Luko würden die Ruhe hier stören“, sagt er.

Die Grenzen der Belastbarkeit mancherorts überschritten

Der Mann aus Wörlitz spricht aus, was viele Experten seines Faches denken. Dramatisch klingt zum Beispiel der Appell, den der Verband Deutscher Kunsthistoriker im vergangenen Jahr in Greifswald beschlossen hat. Zehntausende Denkmale würden „durch die Errichtung neuer Fotovoltaik- und Windkraftanlagen in ihrem Wirkungsraum beeinträchtigt“, heißt es dort. Auch wird beklagt, dass die neue Generation der Windräder höher sei als der Kölner Dom, dass historische Stadtbilder so in Mitleidenschaft gezogen würden und vielfach die Grenze der Belastbarkeit erreicht, „manchmal bereits überschritten“ sei. Die Fachleute bedauern, dass die Politik dazu schweige. Und sie warnen, im Norden der Republik, wo massenhaft Windräder entstehen, seien die Schwierigkeiten besonders groß.

Sachsen-Anhalt etwa gehört zu den Problemzonen, wo sich die Konflikte bündeln. Einerseits gibt es hier allein 30 000 Baudenkmäler, andererseits setzt die Landesregierung stark auf die Förderung regenerativer Energien. Rund zwei Prozent der Landesfläche sind bereits mit Windkraft belegt. Beim Anlagenbau steht das kleine Land immerhin an dritter Stelle der Republik. „An manchen Stellen können Sie zehn bis zwölf Windparks auf einmal sehen“, sagt Marion Schilling.

Die Regionalplanerin aus dem Gebiet Anhalt-Bitterfeld-Wittenberg kann ein Lied davon singen, wie schwer es ist, die unterschiedlichen Interessen und Erwartungen bei der Energiewende unter einen Hut zu bringen. Rund zehn Jahre hat sie mitgebastelt an dem Regionalplan, der den Ausgleich in ihrem Gebiet leisten soll. Denn da gibt es neben den Denkmalschützern die Anwohner, die Lärmbelästigung oder Wertverlust von Grundstücken fürchten, wenn irgendwo neue Anlagen errichtet werden. Da sind Naturschützer, die Umweltschäden verhindern wollen. Und es gibt Betreiber, die sich gegen Beschränkungen – etwa bei der Höhe von Windrädern – wehren, die Gerichte bemühen und Auflagen kippen konnten. „Wir laufen der Rechtsprechung oft hinterher“, klagt Schilling.

Ein Windrad neben dem Denkmal

Ein Streitpunkt dabei ist die Frage, wie groß die Schutzzone sein soll, die um Gebiete wie das Gartenreich oder historische Städte gezogen wird. Möglichst klein, sagen die Investoren. Möglichst groß, meinen diejenigen, die die Tradition bewahren wollen. Nur selten liegen die Dinge dann so auf der Hand wie etwa in Lützen. Dort tobte 1632 eine der verlustreichsten Schlachten des Dreißigjährigen Kriegs, bei der auch der schwedische König Gustav II. Adolf umkam. Wo der Monarch fiel, steht heute eine Gedenkstätte. Das kleine Museum zieht viele Touristen aus Schweden an. Das Schlachtfeld wird archäologisch erforscht. Dennoch wären direkt vor der Gedenkstätte fast vier Windräder entstanden. Das konnte zwar verhindert werden, indem das Areal kurzfristig zum Flächendenkmal avancierte. Doch nicht jeder Platz ist derart prominent und spielt auch international so eine große Rolle wie Lützen. „Die schwedische Regierung beachtet genau, was hier passiert“, berichtet Maik Reichel, der lange Jahre Bürgermeister des Ortes war.

Die Umstände der Energiewende bereitet den Archäologen auch aus anderem Grund Kopfschmerzen. Sie fürchten die Zerstörungen wichtiger Hinterlassenschaften. Fotovoltaikanlagen etwa würden nur auf Punktfundamente gesetzt, sagt Claudia Wohlfeld-Eckart vom Landesdenkmalamt Sachsen-Anhalt. Deshalb dürften die Wissenschaftler vor dem Bau nur kleine Areale des betroffenen Bodens untersuchen. „Wenn die Geräte aber einst wieder abgebaut werden, wird man die oberen Schichten großflächig abtragen und die archäologischen Befunde so vernichten“. Die Szene wird ferner umgetrieben von den neuen Vorschriften zur Energieeinsparung. Oft müssen auch denkmalgeschützte Häuser bei einer Sanierung so gedämmt werden, dass sie ihren Charakter verlieren.

Gleichwohl wollen die Bewahrer unseres Erbes nicht blockieren, sondern gestalten. In Baden-Württemberg haben sich die Denkmalpfleger einen Kriterienkatalog ausgedacht, wie sich die Konflikte mit der Windkraft entschärfen lassen. Sie wissen, dass die Republik nicht zum Museum erklärt wird und dass der gesellschaftliche Wandel Veränderung auch der Kulturlandschaft bringt. Die Fachleute fordern aber mehr Sensibilität und eine bessere Koordination der vielen Vorhaben. „Solange nicht alle Lidl, alle Industriebrachen und alle Autowerkstätten eine Solaranlage haben, brauchen das die Baudenkmäler auch nicht“, sagt Ulrike Wendland, die Landeskonservatorin von Sachsen-Anhalt. Erwägungen der Denkmalschützer sollten bei den Planungen mehr gelten. „Ich wünsche mir, dass man uns so wichtig nimmt wie den Naturschutz“, verlangt Wendland. „Die Köttel einer Haselmaus oder das Vorbeifliegen einer Wasserfledermaus können ja ganze Brückenprojekte zu Fall bringen.“