Der Ingenieur Joachim Nitsch fordert, dass Städte und Gemeinden vor allem beim Heizen viel mehr Einfluss nehmen sollten.

Leonberg - Städte und Gemeinden haben Einfluss aufs Klima – und diesen sollten sie nutzen, sagt Joachim Nitsch. Der promovierte Ingenieur leitete von 1976 bis 2005 die Abteilung „Systemanalyse und Technikbewertung“ beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Stuttgart. Seit 2006 ist er unter anderem Gutachter und Berater für innovative Energieversorgungssysteme und Klimaschutzstrategien. Für den Verein „CO2-Abgabe“ hat er eine Studie zum CO2-Preis vorgelegt – ein Thema, das die Bundesregierung in ihrem Klimapaket aufgegriffen hat. Er ist auch Mitglied eines Fachbeirates der Stadt Stuttgart zum Klimaschutz.

 

Herr Nitsch, immer mehr Kommunen unterstützen das Pariser Klimaabkommen oder beschließen den Klimanotstand. Ist das sinnvoll oder nur Symbolpolitik?

Das ist das schlechte Gewissen, das ist Symbolpolitik. Es wäre dann gerechtfertigt, wenn man im gleichen Zug konkrete Maßnahmen zur Reduktion von Treibhausgasen benennt, die man vorher nicht gemacht hat. Einfach nur an das, was man eh schon macht, das Schild Klimanotstand zu hängen, ist Augenwischerei.

Was könnten Städte und Gemeinden denn umsetzen?

Am besten wäre es, wenn die Kommune einen Klimaleitplan aufstellt, in dem sie aufführt, was sie an Klimaschutzmaßnahmen umsetzen wird. Das Wort Klimanotstand darf nicht zu einem Pauschalbegriff verkommen, den jeder in Sonntagsreden verwendet.

Welche Rolle spielen Städte und Gemeinden beim CO2-Ausstoß?

Sie haben erheblichen Einfluss, wenn Sie nur an die Art der Wärmeerzeugung denken. 36 Prozent des CO2-Ausstoßes in Deutschland wird durch das Heizen verursacht – und da sind Städte und Gemeinden die ersten Ansprechpartner, um das in den Griff zu bekommen, denn sie sollten Wärmeleitpläne aufstellen.

Was steht in einem Wärmeleitplan?

Erst mal wird untersucht, wie die Bürger ihre Häuser heizen – idealerweise für jedes Quartier der Kommune, damit man die Vernetzungen erkennt. Im zweiten Schritt benennt man dann konkrete Maßnahmen: Das Quartier X wird in 10 Jahren mit Wärmepumpen versorgt und das Quartier Y in fünf Jahren mit einem Nahwärmenetz.

Was hat der Bürger davon?

In dem Wärmeleitplan steht dann drin, in welche Art der Wärmeversorgung die Hausbesitzer investieren sollten, wenn eine Neuanschaffung ihrer Heizung ansteht. Das sollte ein Angebot der Städte und Gemeinden an die in der Regel nicht fachlich qualifizierten Hausbesitzer sein. Diese Wärmeplanung muss für die Rathäuser genauso selbstverständlich werden, wie sie heute Straßen oder Wohngebiete planen.

Die Landesregierung arbeitet zurzeit an einem Klimaschutzgesetz für Baden-Württemberg. Bislang sind nur Eckpunkte bekannt, die das Umweltministerium im Frühjahr vorgelegt hat. Ein Vorschlag ist, dass die Kommunen zu solchen Planungen der Wärmeversorgung verpflichtet werden. Ist das sinnvoll?

Unbedingt! Bislang ist leider nur geplant, die größeren Städte in die Pflicht zu nehmen. Das ist natürlich zu wenig. Alle Kommunen müssen verpflichtet werden, einen Wärmeleitplan aufzustellen. Es darf nicht dem Zufall oder besonders engagierten Bürgern überlassen werden, ob ein Projekt zum Klimaschutz umgesetzt wird oder nicht.