Sie war Hausfrau, malte Bilder und spielte im Posaunenchor von Dettenhausen. Heute leitet Ute Langenkamp das größte Tierheim der Welt.

Reportage: Frank Buchmeier (buc)
Stuttgart - Eines seligen Morgens sitzt Ute Langenkamp beim Evangelischen Kirchentag in Düsseldorf allein im Schlafsaal. "Wenn es dich gibt, dann sag mir, was ich machen kann mit meiner verbleibenden Zeit und meiner verbleibenden Kraft", ruft sie in die Stille. "Ich will dein Werkzeug sein." Keine Antwort. Sie verlässt den Raum und kommt draußen an einem Informationsstand vorbei. Dort kauft sie ein Büchlein mit dem Titel "Die Gebete der Versuchsaffen". Sie setzt sich hin und liest, drei Stunden lang. Die Worte ergreifen sie. Sie weint. Nun weiß sie, was der Herrgott von ihr verlangt: Rette Tiere!

Ein Vierteljahrhundert später. Auf dem Klingelschild am Eingang der ehemaligen Schreinerei in Dettenhausen steht Tierhilfe Hoffnung e. V. Ute Langenkamp öffnet die quietschende Holztür, sie sieht noch immer aus wie eine Kirchentagsbesucherin: graue Haare, lila Halstuch, silberner Armreif. Sie sagt etwas zur Begrüßung, doch ihre sanfte Stimme wird von lautem Gebell übertönt. Am frühen Morgen ist eine frische Ladung aus Rumänien eingetroffen: fünfzig Hunde - kastriert, entwurmt, geimpft. Sie stammen aus der Smeura.

Die Smeura, zu Deutsch Himbeere, ist laut dem Guinness-Buch der Rekorde das größte Tierheim der Welt. Ute Langenkamp leitet es ehrenamtlich. Sie lebt von 255,89 Euro Rente und davon, dass sie - wie sie sagt - ihren Mann ausbeute. Die vergangenen 14 Monate hat sie in der Walachei verbracht, im fast 2000 Kilometer entfernten Pitesti. Nun schaut sie für ein paar Wochen in Dettenhausen nach dem Rechten, wo ihr Mann wohnt und ihr Verein sitzt, der ehemalige Streuner auf Tierheime und Pflegestellen in der ganzen Republik verteilt. Es ist eine Sisyphusarbeit. "Die einzige Lösung des rumänischen Straßenhundeproblems läge in einem offiziellen staatlichen Erlass zur Kastration aller Hunde", sagt Ute Langenkamp. "Wenn ich nicht müsste, würde ich Deutschland nicht mit meinen Tieren belasten."

In einem Schlachthof entdeckt sie ein Rudel herrenloser Hunde


Im Juli 1985, direkt nach dem Kirchentag in Düsseldorf, gründet Ute Langenkamp die "Tübinger Bürgerinitiative gegen Tierversuche". Sie druckt Flugblätter und stellt sich allwöchentlich mit einem Informationsstand auf den Holzmarkt. Sie enttarnt die Grausamkeiten der Wissenschaft. Auf Plakaten präsentiert sie in Laboren gequälte Affen, Katzen und Ratten. Und sie stellt die Experimentatoren der Tübinger Universität an den Pranger. In den Halbhöhen-Wohngebieten heftet sie Flugblätter mit Namen von emotionslos forschenden Professoren an Bäume. Im "Schwäbischen Tagblatt" veröffentlicht sie eine Anzeige mit einem selbst geschriebenen Gedicht. Es trägt den Titel "Bloody Monsters". Mehrfach steht Ute Langenkamp wegen Beleidigung und übler Nachrede vor Gericht.

Das Alte Testament hat den Menschen zur Krone der Schöpfung erhoben. Die meisten christlichen Moralprediger schließen daraus, dass der Mensch seine Interessen gegen die Interessen aller anderen Lebewesen durchsetzen darf. Ute Langenkamp hält diesen Artenegoismus für Teufelszeug. Aus ihrer spirituellen Weltsicht heraus darf menschliches Mitgefühl nicht vor dem Bruder Tier haltmachen. "Unsere besondere Stellung gibt uns eine besondere Verantwortung", sagt sie. "Wir müssen dafür sorgen, dass kein Geschöpf unnötig leidet."

Sommer 1996, Ute Langenkamp reist in die Toskana. Sie will sich an den Sehenswürdigkeiten erfreuen, doch nach wenigen Tagen hat sie keine Augen mehr für Funde aus der Etruskerzeit, Renaissance-Kirchen und Luca-Signorelli-Gemälde. In einem alten Schlachthof entdeckt sie ein Rudel herrenloser Hunde. Sie befreit die eingepferchten, halb verhungerten Tiere. Bald muss sie feststellen, dass es in Italien massenweise ungeliebte Straßenköter gibt. In den folgenden Jahren baut sie mit Aurora Brizzi, einer einheimischen Gleichgesinnten, drei Tierheime auf.

Die Familie, die Kirche und die Kunst sind weit entrückt


In ihrem alten Leben als Hausfrau kümmerte sich Ute Langenkamp um ihren Mann, ihre drei leiblichen Kinder und ihre koreanische Adoptivtochter. Sie malte Bilder und spielte im evangelischen Posaunenchor. Heute ist alles anders. Die Familie, die Kirche und die Kunst sind weit entrückt.

Ute Langenkamp konzentriert sich auf die Tiere. In weißen Gummistiefeln steht sie am Rande des Dettenhäuser Gewerbegebiets und lässt verstörte Hunde, die eine 36-stündige Reise von der Walachei in den Schönbuch hinter sich haben, dringende Geschäfte verrichten. "Ich will etwas für die Welt tun, auch wenn der Effekt überschaubar bleibt, weil es überall so viel Elend gibt", sagt sie. "Kennen Sie eigentlich die Parabel von den Seesternen?"

Ute Langenkamps Lieblingsgeschichte geht so: Am Strand liegen unzählige Seesterne, die von der Strömung angespült wurden. Ein Mädchen nimmt Seestern für Seestern in die Hand und wirft sie zurück ins Meer. Da kommt ein Mann vorbei und sagt: "Siehst du nicht, dass der ganze Strand voll von Seesternen ist? Was du da tust, ändert nicht das Geringste!" Das Mädchen hebt behutsam den nächsten Seestern vom Boden auf und wirft ihn ins Meer. Zu dem Mann sagt es: "Für diesen Seestern wird es etwas ändern!"

Vom Kommunismus auf die Straßen gespült


Rumänische Hunde sind wie Seesterne. Sie wurden vom Kommunismus auf die Straßen gespült. Früher wohnten in Bukarest, Temesvar oder Pitesti die meisten Menschen in kleinen Häusern mit Gärten und Höfen. Zum Schutz ihres Eigentums hielten sie sich Wachhunde. In den 70er und 80er Jahren ließ Nicolae Ceausescu die alten Gebäude abreißen. Der Diktator wollte, dass sein Volk in sozialistischen Plattenbauten haust. So wurden Hunderttausende Menschen zwangsweise in winzige Wohnungen umgesiedelt. Ihre Hunde setzten sie aus.

Seither kreuzen sich Doggen und Boxer, Schäferhunde und Retriever, Dackel und Pudel. Die wilden Mischlinge bevölkern zu Tausenden die rumänischen Städte, ernähren sich von Müll und reißen Ratten. Um die Jahrtausendwende versuchten die Kommunen das Problem der ständig wachsenden Populationen durch Massenvernichtungen zu lösen. Die Hunde wurden mit Schlingen gefangen, in Lager gebracht und dort durch Formalinspritzen ins Herz getötet - eine ebenso billige wie qualvolle Methode.

Im März 2001 fahren Ute Langenkamp und ihre italienische Mitstreiterin Aurora Prizzi nach Pitesti. Auf dem Gelände der ehemaligen Fuchspelzfarm Smeura sind zu diesem Zeitpunkt bereits 4000 Hunde umgebracht worden. 360 warten auf ihre Hinrichtung. Die beiden Tierschützerinnen erreichen beim Bürgermeister, dass sie die Smeura sofort pachten dürfen. Im Gegenzug verpflichten sie sich, jeden Hund aufzunehmen, den die Fänger abliefern.

Ute hat selbst nur einen einzigen Hund


Innerhalb kürzester Zeit landen mehr als 3000 Streuner in der Smeura. Die Zustände sind chaotisch. Es fehlt an allem: Futter, Gehege, medizinische Versorgung. Damit sich die Hunde nicht gegenseitig zerfleischen, werden sie in die viel zu engen Fuchskäfige gesteckt. Aurora Prizzi, die die Leitung der Smeura übernommen hat, ist überfordert und kehrt nach Italien zurück. Das Tierheim bekommt einen rumänischen Träger, Asociatia Ute Langenkamp: Iubiti Maidanzii - Verein Ute Langenkamp: Liebt die Straßenhunde!

Etwa 3500 Tiere sind zurzeit in der Smeura untergebracht. Längst gibt es großzügige Boxen und Ausläufe sowie einen Operationssaal, in dem alle Neuankömmlinge kastriert werden. 80 fest angestellte Mitarbeiter kümmern sich um die Tiere. Der laufende Betrieb verschlingt jährlich etwa eine Million Euro, er wird überwiegend von deutschen Spendern gewährleistet. Geld ist immer knapp. Doch wenn ein querschnittsgelähmter Hund in der Smeura abgegeben wird, bekommt er ein 450 Euro teures Laufwägelchen spendiert.

Ute Langenkamp öffnet die Holztür der ehemaligen Schreinerei in Dettenhausen und begleitet den Besucher hinaus. "Die Cockerin", so hat sie ihren einzigen eigenen Hund getauft, folgt ihr wie ein hellbrauner Schatten an das Tageslicht. "Sie sollten mich unbedingt einmal in der Smeura besuchen", sagt Ute Langenkamp. "Es gibt günstige Flüge von Stuttgart nach Bukarest."

Noch ist die Mission nicht beendet


Auf der Straße erzählt sie, dass sie sich manchmal ein normales Leben wünsche. Im vergangenen Monat ist sie siebzig geworden. Ute Langenkamp würde gerne mal wieder ein paar Aquarelle malen und sie zugunsten der Smeura verkaufen. Allein: es fehlt die Zeit. Noch ist die Mission der Mutter Tieresa nicht beendet. Der Herr sendet Signale, die manchmal nur sie empfängt.

Die Nacht auf den 27. Oktober 2007. Um viertel nach eins wird Ute Langenkamp wach. Sie ist zu diesem Zeitpunkt der einzige Mensch in der Smeura. Nichts ist zu hören. Kein Laut, kein Bellen. Sie erschrickt und denkt: "Jetzt haben sie alle meine Tiere ermordet." Sie eilt zum Fenster. Plötzlich setzt ein vielstimmiger Chor ein. Ute Langenkamp greift zum Telefon und ruft eine Freundin an. "Hörst du das?", fragt sie, und die Freundin antwortet: "Ja, deine Hunde singen für dich."

Weitere Informationen im Internet unter tierhilfe-hoffnung.de »