Der Comedian und Magier Helge Thun erzählt im Interview, warum er bei Auftritten am liebsten Anzüge trägt und das Aufwachsen in einem Gastronomiehaushalt seiner Kunst zugute kam.

Lokales: Tom Hörner (hör)

Er ist schlagfertig, saukomisch und hat immer einen Zaubertrick auf Lager: Helge Thun wird gemeinsam mit Comedy-Kollegin Patricia Moresco durch die Benefiz-Show „Nacht der Lieder“ der Stuttgarter Nachrichten führen.

 

Herr Thun, gäbe es den Titel „Bestangezogener Comedian“, der ginge wohl an Sie?

Zumindest käme ich in die engere Wahl. Ich will eben auf der Bühne in Würde altern. Aber da ich aus der Zauberei komme, gab es immer schon eine gewisse Notwendigkeit, genügend Taschen zu haben. Da bietet sich ein Sakko an.

Sie werden sich für die „Nacht der Lieder“ mit Kollegin Patrizia Moresco auch in Schale werfen?

Wir haben uns noch keine Gedanken gemacht, aber ich werde wohl eine Krawatte zum Anzug tragen. Sobald das Jackett zugeknöpft ist, nimmt man eine gesündere, aufrechte Haltung ein.

Es ist das erstes Mal, dass Sie mit Patricia Moresco moderieren?

Wir haben schon etliche Shows zusammen gemacht, aber noch nie eine Moderation. Wir kennen uns gut. Ich weiß, wie sie auf der Bühne ist. Sie weiß, wie ich bin. Da dürfte es keine unangenehmen Überraschungen geben.

Sie sind Magier und Wortspieler. Besteht da ein Zusammenhang?

Für mich ist es fast dasselbe. Ob ich einen Zaubertrick zeige oder Wortdrechselei betreibe – man muss was konstruieren, damit am Ende was dabei rauskommt. Beim Zaubern geht es um den Weg zum Effekt, beim Dichten um den Weg zur Pointe. Da man beim Wortspielen Worte verwandelt, handelt es sich im Grunde auch um Zauberei.

Während der Pandemie haben Sie bei Youtube die Comedyreihe „Reim Patrouille“ gestartet. Da wurde auf Teufel komm raus mit Worten gezaubert.

Ja, wir sind im ersten Lockdown gestartet. Im Prinzip haben wir Fernsehsender gespielt und 32 Dreißigminüter produziert.

Eine saukomische Reihe, aber die Klicks halten sich in Grenzen.

Mit ein paar kurzen Auskopplungen sind wir in den fünfstelligen Bereich gekommen. Aber die Sendung selbst war schon speziell. Sich eine halbe Stunde schräge Gedichte anzuhören, das muss man wollen. Aber wir haben die „Reim Patrouille“ auf Crowdfunding-Basis gemacht. Die relativ wenigen Zuschauer haben relativ viel gespendet.

Hat sich kein Sender für das Format interessiert?

Es gab Kontakte, geführt haben die zu nichts. Man muss aber auch ehrlich sein: Mit den ganzen Leuten, die da mitgemacht haben, und dem Aufwand, den wir betrieben haben, hätte das kein Sender bezahlen können. Ich hatte das Gefühl, viele Kolleginnen und Kollegen, die uns zugearbeitet haben, waren froh, dass wir sie aus ihrer Lethargie herausgeholt haben.

Filmen als Therapie?

Ja, und wir haben für uns Neuland betreten. Das war etwas völlig anderes, als live auf der Bühne zu stehen. Im Grunde haben wir in zwei Jahren eine komplette Film- und Fernsehausbildung gemacht. Und das mit einfachster Ausrüstung. Insofern hätte die Pandemie keine fünf Jahre früher kommen können. Da hätte es das Equipment noch nicht gegeben.

Was Künstler in ihrem Schaffen unabhängig macht.

Klar, für eine Fernsehanstalt zu arbeiten, bedeutet auch immer, Kompromisse schließen zu müssen. Da heißt es dann, das ist nichts für unsere Zuschauer. Oder da muss mehr Schwäbisch rein. Wir haben bei der „Reim Patrouille“ die Freiheit genossen.

Und Sie waren der Chef.

Ich würde mich als teamfähigen Einzelkämpfer bezeichnen. Deshalb kann ich auch Improvisationstheater spielen, da ich loslassen kann, wenn ich das Gefühl habe, jemand hat eine bessere Idee. Aber wenn ich denke, meine Idee ist besser, kann ich auch kämpfen. Was dazu führt, dass ich mich in Gruppensituationen oft in eine Chefposition manövriere, weil ich schneller bereit bin, Verantwortung zu übernehmen. Das liegt wohl daran, dass ich in der Gastronomie aufgewachsen bin. Mein Vater war Koch, meine Mutter hat Hotelfach gelernt. Mit 17, 18 half ich oft mit.

Und was bringt das für die Kunst?

Man lernt, alles im Blick zu haben. Wenn ich was serviere, schaue ich auf dem Rückweg, wo ich abräumen kann oder ob irgendwo am Tisch noch was fehlt. Da kann ich nicht mit einer Angestelltenmentalität durchmarschieren.

Sie haben Fernseherfahrung. Gibt es ein Format, das Sie reizen würde?

Wenn jemand auf mich zukäme und sagen würde „Mach, was Du willst“, dann schon. Aber so läuft das bei uns leider nicht. Ich würde mir mehr britische Zustände wünschen.

Was meinen Sie damit?

In Edinburgh gibt es jedes Jahr das Fringe, ein irres Comedy- und Theaterfestival. Da gehen die ganzen Fernsehscouts hin und halten Ausschau nach Talenten. Hinterher werden zehn neue TV-Formate produziert, von denen neun im Mülleimer landen. Bei uns läuft das komplett anders. Da scheint jeder Redakteur erst mal Angst um seinen Job zu haben. Wenn man sich was Neues traut, dann höchstens das, was im Ausland schon Erfolg hatte. Für mich sind Redakteure nicht dazu da, um Konzepte zu entwickeln. Die sollten lieber Ausschau nach Künstlern halten und denen den Job überlassen. Natürlich kann man dabei mit Pauken und Trompeten untergehen. Aber es kann auch wirklich Neues entstehen.

Woher kommt Ihre Begeisterung für Gedichte? Aus dem Schulunterricht?

Überhaupt nicht. Der Grundstein wurde in meiner Kindheit gelegt, als ich mit Texten von Heinz Erhardt und Robert Gernhardt in Berührung kam – und zwar über Otto Waalkes. Mit neun kannte ich ganze Otto-Nummern auswendig. Teilweise habe ich den Witz gar nicht verstanden, aber im Familienkreis große Erfolge damit gefeiert. Der eigentliche Einstieg kam über ein Geburtstagsgedicht für meine Frau.

Wie das?

Weil es nicht sehr speziell war, trug ich es als Zugabe in einem Zauberprogramm vor – und es kam besser an, als ich gedacht hatte. Das Tolle ist, dass Gedichte bei allen Altersgruppen funktionieren. Bei Älteren, die noch Heinz Erhardt kennen, und bei Jüngeren, die durch Poetry Slam und Rap mit gereimten Texten in Berührung kommen.

Werden Sie bei der „Nacht der Lieder“ dichten?

Patrizia und ich werden uns nicht zu weit ausbreiten. Das Programm ist umfangreich. Der eigentliche Job besteht darin, elegante und humorvolle Überleitungen zu schaffen. Aber falls es in der Umbaupause mal klemmt, und das tut es eigentlich immer, werden wir gewappnet sein.

Karten für die „Nacht der Lieder“ am 20. und 21.12. im Theaterhaus gibt es unter Telefon 07 11 / 40 20 7-20 oder www.theaterhaus.com.

Magier, Komiker, Gentleman

Helge Thun
kam 1971 in Kiel zur Welt. Nach einem Austauschjahr in den USA machte er 1991 sein Abitur am Johann Heinrich Voss Gymnasium in Eutin und begann ein Studium der Germanistik und Anglistik an der Universität Tübingen, das er 1995 abbrach, um Schauspieler am Landestheater Tübingen (LTT) zu werden. 1998 machte er sich als Zauberkünstler, Komiker und Moderator selbstständig.