Vor dem Landgericht werden zwei Männer beschuldigt, eine Frau aus dem Rems-Murr-Kreis nach Frankreich verschleppt zu haben. Das Opfer war im Juni 2019 eine Woche lang in der Gewalt der Männer.

Rems-Murr: Phillip Weingand (wei)

Aspach/Stuttgart - Unter einem großen Medieninteresse hat am Donnerstag vor dem Landgericht in Stuttgart der Prozess gegen zwei mutmaßliche Entführer einer Frau aus Aspach (Rems-Murr-Kreis) begonnen. Die Anklageschrift machte deutlich, welche Ängste das Opfer durchgestanden haben muss, während es sich rund eine Woche lang in der Gewalt der beiden Männer befand. Laut der Staatsanwaltschaft wurde die Frau nicht nur mit einem Messer bedroht und verletzt, sondern sie erlitt auch Verbrühungen.

 

Die damals 47 Jahre alte Polin hatte seit dem Jahr 2018 in Aspach als Altenpflegerin gearbeitet. Sie betreute dort zunächst ein Ehepaar; nach dem Tod des Mannes kümmerte sie sich um dessen Witwe. Zum Sohn des Seniorenpaares soll sich während ihrer Zeit in Deutschland eine intime Beziehung entwickelt haben. Ihr langjähriger Partner Maciej I., der nun auf der Anklagebank sitzt, erfuhr jedoch davon, als die 47-Jährige vorübergehend nach Polen kam. Die Ankläger gehen davon aus, dass er seine Partnerin technisch überwacht hatte – wie genau, muss der Prozess nun beweisen.

Plötzlich hat das Opfer einen Elektroschocker am Hals

In den 26 Jahren ihrer Beziehung mit diesem Mann hatte sie drei inzwischen erwachsene Kinder geboren. Nachdem er erfahren hatte, dass sie sich einem anderen Mann zugewandt hatte, soll Maciej I. laut der Staatsanwaltschaft beschlossen haben, sie in Deutschland zu entführen und zurückzugewinnen – oder sie zu töten, wenn dies fehlschlagen sollte. Seinen deutlich jüngeren Angestellten Krysztof T. konnte er dafür als Komplizen gewinnen. Die beiden machten sich in getrennten Fahrzeugen nach Deutschland auf – einer in einem Wohnwagen, der andere in einem Renault Laguna.

Am 3. Juni 2019 setzte Maciej I. den Plan mutmaßlich in die Tat um: Der Kfz-Mechaniker lockte laut der Anklage seine Verflossene in Aspach zu einem Treffen, indem er behauptete, 200 Euro für einen Autokauf zu benötigen. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass das Opfer nichts ahnte, als es am frühen Nachmittag den Wohnwagen betrat, den die mutmaßlichen Täter auf dem Parkplatz der Mechatronik-Arena abgestellt hatten.

Krysztof T. soll der Frau dann einen Elektroschocker an den Hals gehalten haben, während ihr Expartner sie mit Kabelbindern fesselte und mit Klebeband knebelte. Als sie sich wehrte, fiel offenbar ein Topf zu Boden, den die beiden Männer im Wohnwagen zum Kartoffelkochen benutzt hatten. Heißes Wasser verbrühte die Frau am Fuß. Da sie sich gegen ihre Fesseln wehrte, soll Maciej I. ihr gegen den Kopf geschlagen haben.

Ein Angeklagter gilt als suizidgefährdet

Die Fahrt führte über Steinheim und Großbottwar auf die Autobahn 8 und dann weiter in das deutsch-französische Grenzgebiet. Warum die Fahrt des Trios nach Südwesten führte und nicht gen Osten in die polnische Heimat, ist bisher unklar. Immer wieder soll Maciej I. seiner Ex-Freundin während der Fahrt ein Messer an den Oberschenkel und an die Kehle gesetzt und gedroht haben, sie umzubringen. Gegenüber der Polizei sagte das Opfer aus, die beiden Männer hätten immer wieder weißes Pulver geschnupft – dies bestritten die beiden Angeklagten am Donnerstag allerdings.

In einem Waldgebiet bei Haguenau im Elsass fuhr sich das Wohnmobil schließlich fest. Zu Fuß und mit Zelten und Schlafsäcken ausgestattet, sollen sich die Entführer nun rund eine Woche lang mit ihrem Opfer im Wald aufgehalten haben – an wechselnden Standorten. Dank Zeugenhinweisen und einer Wildkamera konnten deutsche und französische Ermittler sie schließlich lokalisieren. Am Abend des 10. Juni nahmen französische Spezialkräfte die beiden Männer fest.

Die beiden Angeklagten haben sich beim Prozessauftakt nur zu ihren Personalien geäußert, vermutlich werden sie an einem der folgenden Prozesstage auch zum Ablauf der mutmaßlichen Entführung etwas sagen. Maciej I., der das Opfer schon während der Beziehung mehrere Male misshandelt haben soll und als gewaltbereit gilt, wirkte auf der Anklagebank geschwächt. Der glatzköpfige Mann, der auf den Fahndungsfotos selbstbewusst in die Kamera geblickt hatte, ist hinter seinem Mundschutz und mit nun halblangen, grauen Haaren kaum noch zu erkennen. Er ist zurzeit in einem Justizkrankenhaus untergebracht. Wie er sagte, habe er im Wald in Frankreich versucht, sich das Leben zu nehmen.