Nach der Entgleisung eines Intercitys am Samstag Mittag kam es am Stuttgarter Hauptbahnhof auch am Montag noch zu Verspätungen und Zugausfällen. Verwunderlich ist: Die Passagiere scheinen sich damit abzufinden.

Stuttgart - Ratlose Blicke schweifen umher. Menschen sitzen auf ihren Koffern und trinken Kaffee oder unterhalten sich mit ihren Begleitern. Dann knarzt eine weibliche Stimme durch die Lautsprecher: „Achtung, eine Durchsage. RE nach Karlsruhe Hauptbahnhof, Abfahrt neun Uhr neunzehn, heute etwa zehn Minuten später von Gleis 2.“ Es ist nur eine von vielen Ankündigungen des Montagmorgens. Ein Seufzen geht durch die Reihen, vereinzelt hört man Fluche und Schimpfworte.

 

Die weiße Uhr an der Wand zeigt 09:06 Uhr. Der Stuttgarter Hauptbahnhof ist überfüllt mit Passagieren, die immer wieder zur Anzeigetafel schauen, in der Hoffnung, neue Informationen zu erhalten. Sie warten. „Was bleibt uns denn anderes übrig?“ fragt Ingrid Lochmann, die auf dem Weg nach Unna ist. Sie ist heute extra eine Dreiviertelstunde früher von Waiblingen aus losgefahren. „Die S-Bahn hatte allerdings auch Verspätung.“ sagt sie lachend. Ihr Zug fährt um 09:51 Uhr von Gleis 9 ab, steht auf der Tafel. Das Problem: Gleis 9 ist gesperrt.

Verwirrung bei gesperrten Gleisen

Dieses Paradoxon stellt die meisten Passagiere vor ein Rätsel. Nachdem am Samstagmittag ein Intercity bei der Ausfahrt aus dem Hauptbahnhof entgleiste, sind fünf der 16 Gleise am Hauptbahnhof nicht befahrbar. Dennoch werden sie auf der Anzeigetafel gelistet. Wo der gewünschte Zug letztlich abfährt – und ob überhaupt – erfahren Reisende meist erst über die Durchsagen. Die Schlange vor dem Info-Point ist zwar lang, aber auch das Bahnpersonal weiß nicht immer Bescheid. „Mir wurde gesagt, ich solle auf die Ansagen achten.“, sagt Ingrid Lochmann. Allgemeine Unsicherheit liegt in der Luft.

Viele Fahrgäste machen sich also gar nicht erst die Mühe, nach genauen Informationen zu fragen. Man trinkt Kaffee, liest, unterhält sich. Auf den Gleisen vernimmt man immer wieder Small Talk, man möchte sich versichern, nicht allein zu sein: „Nehmen Sie auch den Zug nach Dortmund?“ Die meisten Fahrgäste jedoch konzentrieren sich auf die Ankündigungen und sind bereit, eventuell sofort aufzuspringen, sobald es Neuigkeiten gibt. Immer wieder keimt Hoffnung auf, immer wieder wird sie durch weitere Verspätungen erschlagen.

Ärger über Verspätungen

„Ja natürlich ärgere ich mich!“, empört sich Philipp Braun, ein junger Mann, der mit seiner Freundin gerade aus dem Urlaub zurück gekommen ist. Die beiden wollen in ihre Heimat Tübingen und haben aufgrund der Verspätungen am Hauptbahnhof ihren Anschlusszug verpasst. „Auf Informationen wartet man hier vergeblich“, kritisiert er.

Rafael Bauer und seine Kollegen müssen auf einen Geschäftstermin nach Frankfurt. Auch ihnen ist das genaue Abfahrtsgleis unbekannt. Sie haben allerdings einen zeitlichen Puffer eingeplant und geben sich optimistisch: „Wir verlassen uns auf die Bahn. Wir müssen einfach pünktlich sein – andernfalls werden wir gefeuert!“, sagt er. Seine Kollegen lachen nervös.

Die Hände der Passagiere sind gebunden

So ärgerlich die Verspätungen, Zugverlegungen und Ausfälle auch sind: Viele der Reisenden geben sich einfach damit ab. Katharina Heck hat gerade einen zehnstündigen Flug hinter sich und muss zurück nach Singen, doch ihr Zug ist ausgefallen. „Natürlich möchte ich so früh wie möglich nach Hause“, sagt sie. Von dem Trubel am Stuttgarter Hauptbahnhof hat sie bisher nichts mitbekommen. „Mal sehen, was das jetzt wird.“

Eine Gruppe Jugendlicher hat sich mit ihrem Gepäck auf einer Bank niedergelassen, sie unterhalten sich entspannt. „Wir müssen nach Freiburg zu einem Seminar“, sagt Maria Bestgen. Auf die Frage hin, ob sie durch den Unfall am Wochenende eingeschränkt seien, antwortet ihr Freund: „Bisher hatten wir keine Probleme und in Karlsruhe haben wir noch 31 Minuten Umsteigezeit. Wir hoffen, dass uns das reicht!“ Eine Freundin ergänzt schulterzuckend: „Es war eben etwas stressiger als sonst.“

Vereinzelt positive Stimmen

Vereinzelt gibt es sogar Stimmen, die das Krisenmanagement der Deutschen Bahn für völlig zufriedenstellend halten. So zum Beispiel Rüdiger Bahr, der mit seiner Frau nach Köln fährt. Er hat am frühen Morgen bei der Bahn angerufen, um sich zu informieren: „Ich musste umsteigen und es gab Verspätungen. Aber die Informationen an der telefonischen Auskunft waren gut und vor allem richtig.“ Seine Frau zieht ihn am Ärmel: „Komm, der Zug ist da!“

Mit fünfminütiger Verspätung fährt der Zug ein. Die Passagiere klauben ihre Gepäckstücke zusammen und machen sich auf den Weg zum Gleis. Einige seufzen, andere sind erfreut über den geringen Grad der Verspätung. Wiederum andere rechnen angestrengt im Kopf ihre Umsteigezeiten durch. Es besteht die Hoffnung, dass das Chaos in anderen Bahnhöfen geringer ist als hier. Und dass man dort dann den Anschluss erwischt.

Aktuelle Informationen zu Verspätungen gibt es bei der Bahn und für die S-Bahn beim VVS.