Die Figuren in Mario Vargas Llosas neuem Roman „Enthüllung“ sind flach, die Systemkritik ist oberflächlich, die Sprache ein Gemisch aus altbackenen Altmännerfantasien und frivolem Blümchen-Sex – das reicht vielleicht für einen dahingeschluderten Heftchenroman, aber nicht für nobelpreiswürdige Prosa.

Peru - Rache ist kein gutes Schreibmotiv. Das gilt auch für „Die Enthüllung“, mit der Mario Vargas Llosa jetzt Vergeltung für zwei schmerzliche Kränkungen nimmt: 1990 unterlag er bei der Präsidentschaftswahl Alberto Fujimori, dessen Tochter Keiko bis heute in der peruanischen Politik mitmischt. Und 2015 wurde Vargas Llosa von der Klatschpresse gehetzt, nachdem er sich von seiner langjährigen Ehefrau getrennt und mit Isabel Preysler verbunden hatte, einer ehemaligen Schönheitskönigin, die als frühere „Perle von Manila“, Ex-Frau des Schnulzenkönigs Julio Iglesias und Journalistin des Klatschblatts „Hola!“ einige Berühmtheit genießt.

 

Schon Vargas Llosas letzter Roman „Ein diskreter Held“ war ein Alterswerk voller Kitsch und Kolportage, jovialen Machismo-Sprüchen und Jeremiaden über Kulturverfall und „stinkenden Kloakenjournalismus“. Jetzt legt Vargas Llosa noch einmal eine Schippe Presseschelte und Politikverdruss drauf, aber die heitere erotische Komödie und der Ernstfall wollen nicht so recht zusammen passen.

Genie des Bösen

Der Plot ist schlicht gestrickt wie eine Telenovela. In den Neunzigern, als Peru im Klammergriff von Korruption, politischer Willkür und dem Terror des Leuchtenden Pfads steckt, geraten zwei befreundete Ehepaare aus den besseren Kreisen Limas in eine unangenehme Situation. Der Minenunternehmer Enrique hat sich vor Jahren bei einer Sexparty amüsiert, und das droht dem smarten Saubermann zum Verhängnis zu werden. Rolando Garro vom Klatschblatt „Enthüllt!“, ein hässlicher, widerwärtig schwitzender Schreiberling, droht peinliche Fotos zu veröffentlichen. Enriques Freund Luciano rät als Anwalt und Katholik zu hinhaltendem Widerstand, aber der Strippenzieher hinter Gallo versteht keinen Spaß: Es ist der „Doktor“, die rechte Hand des Präsidenten, ein „Genie des Bösen“, für das wohl Fujimoris graue Eminenz Vladimiro Montesinos Pate gestanden hat.

Während die Gatten mit den Dämonen von Politik und Journaille ringen müssen, genießen die Frauen das süße Leben in vollen Zügen. Bei Shoppingtouren in Miami lernen Marisita und Chabelita sogar die Wonnen lesbischer Liebe kennen; das entlockt ihnen softpornografische Lustschreie, in denen neben Champagner und Yoga-Tee auch viel Speichel und andere Körpersekrete „geschlürft“ und geschluckt werden: „Ich will deine leckeren Säfte schlucken, will spüren, wie du keuchst, wenn ich dich zum Höhepunkt bringe“. Durch einige Morde und die ehrgeizige Journalistin Pummel aus ihrer Klemme befreit, erweitern die Herren die Damenrunde alsbald zum flotten Dreier, am Ende sogar zur ménage à quartre.

Frivoler Blümchen-Sex

Es gibt einige hübsche Passagen, etwa die Schilderung einer Nacht im Gefängnis oder das Porträt eines melancholischen Rezitators, den das Fernsehen vom seriösen Künstler zur würdelosen „Juxkanone“ degradierte. Alles in allem aber liest sich „Die Enthüllung“ wie eine verunglückte Selbstparodie auf frühere Vargas-Llosa-Komödien wie „Tante Julia und der Kunstschreiber“ und „Lob der Stiefmutter“. Die Figuren sind flach, die Systemkritik ist oberflächlich, die Sprache ein Gemisch aus altbackenen Altmännerfantasien und frivolem Blümchen-Sex, vornehm näselnder Herrenmagazin-Prosa und volkstümlich derben Kraftwörtern.

Mario Vargas Llosa war einmal der scharfsinnige Chronist und das moralische Gewissen Perus, ein durchaus innovativer Kunstschreiber, der die Mythen des Magischen Realismus in die europäische Kultur brachte, ein Gentleman, der sich in den Soldatenpuffs am Amazonas so gut auskannte wie in den Lotterbetten der High Society. Von all dem ist hier nur noch wenig zu spüren: „Die Enthüllung“ enthüllt vor allem, wie viel von seiner sinnlichen Kraft und realistischen Härte der inzwischen achtzigjährige Großschriftsteller verloren hat.

Von Journalisten „nackt zwischen Nuttentitten und Nuttenärschen“ zur Schau gestellt, unbeugsam Champagner und leckere Säfte schlürfen und dabei noch alte Rechnungen mit Politik und Presse begleichen: Das reicht vielleicht für einen kunst- und lieblos dahingeschluderten Heftchenroman, aber ganz und gar nicht für nobelpreiswürdige Prosa.