Der Skandalautor Michael Wolff zeichnet ein desaströses Bild der Machtriege um Präsident Donald Trump. Die Quellenlage des Bestsellers ist umstritten – doch die Folgen der Enthüllungen sind verheerend.

Washington - Das ganze Wochenende: keine Chance. „Sold out! ‚Fire and Fury‘“, warnt ein unscheinbarer Zettel an der Tür von Kramerbooks, dem renommierten Buchladen am Washingtoner Dupont Circle. Ausverkauft. „Wir können Ihren Namen gerne auf eine Liste setzen“, sagt die Verkäuferin. Wie lange die Liste sei? Sie lächelt. Nicht nur im klassischen Buchhandel ist die Nachfrage deutlich höher als das Angebot: Auf zwei bis vier Wochen Wartezeit stellt der Versender Amazon seine Kunden inzwischen ein.

 

Das Enthüllungsbuch „Fire and Fury“ (Feuer und Wut) über das Innenleben des Weißen Hauses hat eingeschlagen wie eine Bombe: Die Talkshows der amerikanischen Kabelsender kennen kein anderes Thema. Wutentbrannt versucht Donald Trump, seine geistige Zurechnungsfähigkeit zu beweisen. Sein Ex-Chefstratege Stephen Bannon scheint politisch erledigt. Der Verlag Henry Holt kommt mit der Nachlieferung nicht nach – und muss um seine Einnahmen fürchten, seit Wikileaks unter Missachtung des Urheberrechts am Sonntag eine Raubkopie ins Netz gestellt hat.

Trump – ein ich-fixierter Schauspieler?

So viel steht fest: Seinem Titel „Feuer und Zorn“ macht dieses Buch alle Ehre. Bereits vor dem offiziellen Erscheinungstag an diesem Dienstag hat es ein Feld der Verwüstung hinterlassen. Dabei präsentiert der Autor Michael Wolff im Grunde keine neue Erkenntnis, wenn er Trump als einen ich-fixierten Reality-TV-Schauspieler mit absolutistischem Gehabe schildert, der von einer Riege opportunistischer Hofnarren umgeben ist, die ihn hinter seinem Rücken einen Idioten nennen. Auch werden inzwischen einzelne Schilderungen angezweifelt. Ganz offensichtlich hat Wolff teilweise mit fragwürdigen Methoden gearbeitet und seiner Fantasie als allwissender Erzähler deutlich zu viel Raum gelassen.

Doch die Veröffentlichung hat in ein Wespennest gestochen. Auf 330 Seiten zusammengestellt und fesselnd erzählt, hinterlassen die unglaublichen Anekdoten, Schlüssellochbeobachtungen und Gesprächszitate einen intensiven Eindruck. Das Buch wirkt wie ein Katalysator im politischen Chemielabor Washingtons. Es produziert täglich aufs Neue explosive Reaktionen – live und in Farbe.

„Ich bin ein stabiles Genie“

Den Anfang machte am Samstag der Präsident. Um kurz nach sieben Uhr am Morgen hatte er bei seinem Lieblingssender Fox gesehen, dass er als beratungsresistent, schwankend, aufbrausend, narzisstisch und dumm geschildert werde. Zehn Minuten später griff Donald Trump zum Handy. „Tatsächlich sind meine beiden größten Stärken in meinem ganzen Leben geistige Stabilität und dass ich klug bin“, twitterte er. Als erfolgreicher Geschäftsmann und Top-Fernsehstar habe er „im ersten Anlauf“ den Sprung ins Weiße Haus geschafft: „Das kennzeichnet mich als Genie, und als ein sehr stabiles Genie.“

Es dauerte nicht lange, bis in den sozialen Netzwerken spöttisch gefragt wurde, ob ein Genie wohl so über sich reden würde. Doch das Weiße Haus hat in seinem dilettantischen Umgang mit Wolffs Enthüllungsbuch so ziemlich jeden denkbaren PR-Fehler gemacht: Erst trieben Trumps Juristen mit der Androhung eines Buch-Verbots die Verkaufsprognosen weit über die angepeilten 250 000 Exemplare hinaus. Dann lieferte Trump bei Twitter seine Kostprobe jener psychischen Instabilität, die im Buch beschrieben wird. Und schließlich schickte er den verklemmten Rechts-Ideologen Stephen Miller zu seiner Verteidigung in eine der wichtigsten Sonntags-Talkshows des Landes.

Ein Sprecher muss das TV-Studio verlassen

Millers Auftritt in der CNN-Sendung „State of the Union“ vermittelte einen beängstigenden Eindruck vom geistigen Zustand der Regierung. Erst geißelte der merkwürdig benommen wirkende Trump-Berater das Buch als „Betrug am Präsidenten“. Dann pries er Trumps „magische Kräfte“ und distanzierte sich von Stephen Bannon, der ihn einst als nationalistischen Verbündeten ins Weiße Haus geholt hatte. Schließlich startete er eine atemlose Hasstirade gegen CNN. Nach zwölf Minuten drehte ihm Moderator Jack Tapper den Ton ab. Doch Miller weigerte sich, das Studio zu verlassen und musste von Sicherheitskräften auf die Straße eskortiert werden. Tappers Mutmaßung, das groteske Spektakel habe der Beamte nur aufgeführt, um Trump zu gefallen, wurde kurz darauf bestätigt. „Jake Tapper vom Lügensender CNN wurde gerade von Stephen Miller zerstört“, twitterte der Präsident.

Derweil bemühte sich Millers einstiger Förderer Bannon, den Trump nun als „Schmuddel-Steve“ beschimpft, um eine Deeskalation des Konfliktes. Seine Finanziers haben ihm den Geldhahn zugedreht, der Posten als Chef der ultrarechten Propagandaseite „Breitbart“ wackelt. Also bedauerte Bannon ungewohnt zahm, dass das von ihm mutmaßlich unterstützte Buch „die Aufmerksamkeit von den historischen Leistungen des Präsidenten“ abgelenkt habe. Doch er dementierte nicht, dass er das konspirative Treffen von Donald Trump jr. und Schwiegersohn Jared Kushner mit einer russischen Clinton-Denunziantin im Sommer 2016 als Verrat bezeichnet hat. Damit drängt er sich als Topzeuge für die Untersuchung der Russland-Verwicklungen der Trump-Kampagne durch Sonderermittler Robert Mueller geradezu auf.

Ist der US-Präsident amtsunfähig?

Vier Tage, nachdem in Washington „Feuer und Zorn“ eingeschlagen ist, befindet sich das Weiße Haus in Aufruhr. Der einstige Chefstratege Bannon hat sich ins Abseits manövriert. Trump wird die Russland-Affäre nicht los. Am bedrohlichsten für ihn aber sind die Zweifel an seinem Geisteszustand, die nun allerorten laut werden. Bei seinen Recherchen im Weißen Haus sei die Möglichkeit, dass Trump amtsunfähig sei, stets ein Thema gewesen, berichtet Autor Wolff. Noch hat kein führender Republikaner das Kabinett aufgefordert, den Präsidenten nach dem einschlägigen Zusatzartikel 25 als amtsunfähig zu bezeichnen. Doch der einstige Weggefährte Bannon sieht die Chancen, dass Donald Trump bis zum Ende der Amtszeit im Weißen Haus bleibt, inzwischen nur noch bei 33 Prozent.

Ein Drittel Wahrscheinlichkeit, so wird Bannon in dem Buch zitiert, spräche dafür, dass Trump aufgrund der Russland-Affäre seinen Job verliert. Ebenso groß sei die Chance, dass er vorzeitig zurücktrete, um einer Amtsenthebung aus gesundheitlichen Gründen zuvorzukommen. Diese Prognose hat Bannon nicht dementiert.