Enthüllungsbuch „Korrupte Medienmacht“ Mehr Transparenz wagen

Die frühere Drehbuchautorin Nicole Joens rechnet mit ARD und ZDF ab.„Korrupte Medienmacht“ heißt ihr Buch über die öffentlich-rechtlichen Sender.
Stuttgart - Das letzte Buch von Nicole Joens hieß zwar poetisch „Tanz der Zitronen“, war aber handfeste Prosa. Die frühere Drehbuchautorin fühlte sich vom ZDF betrogen und zahlte es dem Sender schriftlich heim. Der Titel ihres neuen Werks macht hingegen unmissverständlich klar, worum es geht: „Korrupte Medienmacht“ ist eine nicht minder erbitterte und auch verbitterte Abrechnung mit ARD und ZDF. Schon die Einleitung wirkt dank Schlagwörtern wie Hydra, Krake oder Größenwahn wie ein Pamphlet. Mitunter erinnern die Ausführungen an Schriften von Verschwörungstheoretikern, so oft ist von „seltsamen Geheimhaltungsklauseln“ und „dubiosen Quersubventionen“ die Rede.
Joens hat zwar dank vieler Gespräche und leidvoller eigener Erfahrungen tiefe Einblicke ins öffentlich-rechtliche System, lässt ihren Anklagen aber oft keine Belege folgen; und wenn doch, sind sie falsch. Dass ARD und ZDF angeblich 60 Prozent ihrer Fernsehfilme selbst herstellen, ist definitiv falsch, die Zahl ist viel zu hoch. In der Sache wenig hilfreich sind auch plakative Prädikate wie „verdummender Wahnsinn“. Eine Erklärung für die Behauptung, ARD und ZDF wollten den deutschen Kinofilm zerstören, bleibt die Autorin ebenfalls schuldig. Gleiches gilt für den nicht näher erläuterten Rassismusvorwurf sowie die Feststellung, ein „Hauptredakteur“ des ZDF habe ein katastrophales Frauenbild, weshalb viele Filme frauenfeindlich seien.
Konstruierte Allianz zwischen Politik und Medien
Wenn das Buch konkret wird, ignoriert es Tatsachen, die nicht ins Bild passen. Bei der Abrechnung mit dem auch für die Freitagsfilme zuständigen ARD-Unternehmen Degeto konstruiert Joens eine unheilige Allianz zwischen Politik und Medien, weil die Degeto-Chefin Christine Strobl, früher Leiterin der SWR-Abteilung Film- und Familienprogramm, eine Tochter von Wolfgang Schäuble ist; außerdem könne sie als Juristin keine Ahnung von Filmen haben. Dabei war gerade Strobl seit ihrem Amtsantritt im Sommer 2012 dafür verantwortlich, dass die Degeto-Produktionen eben nicht mehr dem früher in der Tat völlig angebrachten Verdummungsvorwurf entsprechen.
Mit besserer Programmkenntnis wüsste Joens auch, dass ARD, ZDF und Arte wenigstens einmal pro Woche eine filmische Eigenproduktion zeigen, die „von inhaltlicher Relevanz“ und „gut erzählt“ ist. Interessant, aber nicht neu ist die These, die vielen Krimis sollten das Vertrauen der Bürger in den Staat stärken; das hat der Soziologe Dieter Prokop schon vor Jahrzehnten als „kalkulierten Konformismus“ bezeichnet.
Hinzu kommen gelegentliche sachliche Fehler; die Titelheldin der ZDF-Reihe „Lena Fauch“ ist nicht, wie Joens schreibt, Kommissarin, sondern Polizeiseelsorgerin. Gewagt ist auch die Behauptung, es würden so viele Filme über das Dritte Reich produziert, weil die sich gut ins Ausland verkaufen ließen. Teil zwei der Aussage ist fraglos korrekt, Teil eins tut dagegen so, als gebe es jede Woche einen neuen Nazifilm.
Sender sollen sich aus der TV-Unterhaltung zurückziehen
Die konstruktiven Passagen des Buches wiederum sind zumindest derzeit wenig realistisch. Ginge es nach Joens, sollten sich ARD und ZDF komplett aus der TV-Unterhaltung zurückziehen und sich allein auf Informationsvermittlung beschränken. Für Filmkultur könnte ein Bezahlkanal eingerichtet werden. Später schreibt sie allerdings von einem „Unterhaltungskanal“, was die Filmkultur offenbar mit einbezieht; ein entsprechendes Abo wäre ihr immerhin 30 Euro im Monat wert. Der Rundfunkbeitrag sollte ohnehin abgeschafft und durch eine Steuer ersetzt werden, was allerdings schon allein wegen der gesetzlich verankerten Staatsferne nicht möglich wäre.
Trotzdem hat Joens natürlich recht mit ihrer Beschreibung diverser Missstände und ihrer Forderung nach viel mehr Transparenz. Aber wer nur ein bisschen Sympathie für ARD und ZDF hegt, wird angesichts des Furor dieses Buches ähnliches Unbehagen empfinden wie bei der Lektüre von Hans-Peter Siebenhaars mit vergleichbar heiligem Zorn verfasster Generalabrechnung „Die Nimmersatten“.
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