Die Angst des Wikileaks-Gründers Julian Assange vor der Auslieferung in die USA hat ein Ende. Er darf zurück in seine australische Heimat.

Korrespondenten: Peter Nonnenmacher (non)

Eine „große Überraschung“ kündigte Stella Assange ihren Kindern für diesen Mittwoch an – in Australien. Genaueres wollte sie ihnen noch nicht sagen, bevor die Sache vom zuständigen Richter unterzeichnet war. Die Frau des Wikileaks-Gründers Julian Assange, die auch dessen Anwältin ist, war mit den beiden Jungen (fünf und sieben) des Paares von England aus in Assanges Heimat geflogen. Die „Überraschung“ bestand darin, dass Vater Julian selbst schon kurz danach auf dem Weg zu ihnen sein würde – und dass seine Kinder ihn erstmals unter anderen Umständen kennenlernen würden als während der kurzen Besuchstermine im Londoner Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh.

 

Überraschend kam die Entlassung Assanges aus britischer Haft freilich auch für die Öffentlichkeit, obwohl in den vergangenen Monaten immer wieder über einen Deal spekuliert worden war, der zur Freilassung des 52-Jährigen führen könnte. In aller Heimlichkeit wurde der gebürtige Australier am Montag zum Londoner Flughafen Stansted gefahren, wo er am selben Abend eine von der australischen Regierung gecharterte Maschine Richtung Bangkok bestieg. Begleitet wurde er von Sicherheitsbeamten sowie von Hochkommissar Stephen Smith, dem australischen Botschafter im Vereinigten Königreich.

Es drohte eine lebenslange Haft

Australiens Premierminister Anthony Albanese bestätigte zur selben Zeit, dass Assange unterwegs war. Albanese hatte sich seit langem für die Freilassung Assanges eingesetzt. „Ganz egal, wie man steht zu Julian Assange und seinen Aktivitäten“, erklärte Albanese, „hat sich der Fall viel zu lang schon hingezogen. Seine weitere Inhaftierung hätte nichts gebracht. Wir wollen, dass er heim nach Australien kommt“. Um dies zu ermöglichen, mussten die Australier Washington für eine Absprache gewinnen. Denn die US-Justiz weigerte sich beharrlich, auf das Auslieferungsbegehren zu verzichten, das Assange in britischer Haft hielt.

Von den USA der Spionage angeklagt, sollte Assange in die Staaten überführt werden, wo ihm eine lebenslange Haftstrafe drohte. Die Anklage fallen zu lassen oder sie auf die geringfügigere Anklage des „unsachgemäßen Umgangs mit Dokumenten“ zu reduzieren, lehnte Washington ab.

Der Grund für das unnachgiebige Verlangen, Assange den Prozess zu machen, waren die berühmten Wikileaks-Veröffentlichungen der Jahre 2010 und 2011, bei denen die Enthüllungsplattform Hunderttausende von US-Geheimdokumenten – hauptsächlich zu den Kriegen im Irak und in Afghanistan – veröffentlicht hatte. Die Dokumente hatte der Militäranalyst und Armee-Angehörige Bradley Manning (heute Chelsea Manning) Assange damals zugespielt.

Obama hielt sich einst zurück

Julien Assange wurde in der Folge zur Last gelegt, durch den „Diebstahl“ und die Veröffentlichung des Geheimmaterials an Spionage-Aktivitäten beteiligt gewesen zu sein und das Leben von Informanten gefährdet zu haben. Er selbst bestand stets darauf, dass er wichtige Informationen, teils über US-Kriegsverbrechen, ans Tageslicht befördert habe, und dass die USA ihn dafür bestrafen wollten.

Tatsächlich hatte die Administration des früheren US-Präsidenten Barack Obama sich mit einer Anklage gegen Assange seinerzeit zurückgehalten. Obama hatte auch die 35-jährige Haftstrafe Mannings zu sieben Jahren Haft umgewandelt. Unter Donald Trump hatte das US-Justizministerium aber Anklage gegen Assange in 18 Punkten, von denen 17 Spionage betrafen, erhoben. Das führte zum Auslieferungsbegehren an London, wo man Assange, während er sich vor britischen Gerichten gegen seine Auslieferung an die USA wehrte, fünf Jahre lang wegen „Fluchtgefahr“ hinter Gittern hielt.

Der jetzige US-Präsident Joe Biden hatte an Trumps harter Linie festgehalten, zuletzt aber signalisiert, dass er über ein australisches Freilassungsgesuch „nachdenke“. Als Lösung bot sich an, dass ein Urteil über Assange gefällt wird, ihm aber seine Jahre in Belmarsh Prison angerechnet werden, sodass die Strafe als abgesessen gilt.

Die Charter-Maschine sollte Assange darum, nach der Zwischenlandung in Bangkok, auf die winzige US-amerikanische Pazifik-Insel Saipan, einen Teil der Northern Mariana Islands, bringen, wo ein US-Bezirksgericht den Australier nach einem Schuldbekenntnis, verurteilen und ihm dann – nach Anrechnung seiner Haft in Großbritannien – freies Geleit gewähren würde. Noch im Laufe des Mittwoch soll er in Australien eintreffen – nicht länger als Häftling, sondern erstmals in zwölf Jahren als freier Mann.

Assange hat nicht nur 1901 Tage in einer Einzelzelle in Belmarsh verbringen müssen. Zuvor hatte er sich selbst, um sich einem schwedischen Haftbefehl zu entziehen, sieben Jahre lang in der ecuadorianischen Botschaft Londons verschanzt. In Stockholm hatten ihn zwei Schwedinnen der Vergewaltigung bezichtigt. Assange bestritt dies und argumentierte damals, er müsse das Asyl in Anspruch nehmen, weil ihm in den USA die Todesstrafe drohe.

In der Botschaft wurde er mit seinen gelegentlichen Balkon-Auftritten und dem Empfang von allerlei Besuchern, zu einer fixen Figur in London. Jedermann war bewusst, dass er gleich hinterm Kaufhaus Harrods in seinem Zimmer saß und von dort aus Wikileaks weiter steuerte, so gut es eben ging. Seine Anhänger versammelten sich regelmäßig zu Protesten vor dem Gebäude. Für sie war Assange ein Kämpfer für die Pressefreiheit.

„Es ist einfach unglaublich“

Erst als die Ecuadorianer 2019 ihm das Asylrecht aufkündigten, wurde er von der britischen Polizei aus der Botschaft geholt und nach Belmarsh verfrachtet. Zwölf Monate Haftstrafe erhielt er, weil er sich dem von Schweden initiierten europäischen Haftbefehl widersetzt hatte mit seinem Aufenthalt in der Botschaft. Vor Ablauf der Strafe aber forderten die USA seine Auslieferung. Seither hatte Assange sich von seiner Gefängniszelle aus mit juristischen Mitteln zur Wehr gesetzt – auch gegen die eilends bekundete Bereitschaft der britischen Regierung, den Wunsch des großen Verbündeten zu erfüllen, egal was aus Assange in den USA würde.

Unterdessen verjährte das Verfahren, das Schweden gegen Assange hatte anstrengen wollen. Zuletzt war dem Australier im Mai vom High Court in London das Recht zugesprochen worden, gegen seine Auslieferung weiter in Berufung zu gehen. Aber mit dem amerikanisch-australischen Deal erledigt sich das alles nun.

Mit Erleichterung reagierte auf die Übereinkunft am Dienstag Stella Assange in Australien. Sie sei „froh wie nie“, sagte sie. „Es ist einfach unglaublich. Es ist, als wäre es gar nicht wahr.“ Wie sich herausstellte, war der Entscheid am Mittwoch voriger Woche in London getroffen worden. Bis zuletzt habe sie aber nicht sicher sein können, dass ihr Mann wirklich in seinen Flieger komme, meinte Stella Assange.

Julian Assange selbst ist dem Vernehmen nach vorerst hauptsächlich daran gelegen, die traumatischen letzten Jahre hinter sich zu lassen. Sobald er in Australien sei, werde ihr Mann sich um eine offizielle Begnadigung durch den US-Präsidenten bemühen, berichtete seine Ehefrau.