Polystyrol-Reste zu entsorgen ist äußerst schwierig, seit ein früher enthaltenes Flammschutzmittel als gefährlicher Abfall deklariert worden ist. Die Folgen dieser Entscheidung machen sich auch für Bauherren in Münchingen bemerkbar.

Korntal-Münchingen - Wer ein Haus baut, muss es dämmen. Die energetischen Anforderungen an Neubauten sind streng, in der Energieeinsparverordnung wurden sie zuletzt noch einmal verschärft. Otto Koblinger kennt sich damit aus. Er baut mit Freunden ein altengerechtes Sechs-Familien-Haus in Münchingen, das mit Polystyrol-Platten – umgangssprachlich Styropor – gedämmt wurde. Nun stehen die Bauherren jedoch vor einem Problem: Denn die als Verschnitt angefallenen Abfälle werden sie nicht los.

 

Damit sind die Münchinger Hausbauer nicht allein. Bundesweit gibt es ein massives Entsorgungsproblem bei Polystyrol-Dämmstoffen. Im Fokus steht dabei das früher enthaltene Flammschutzmittel Hexabromcyclododecan, kurz: HBCD. Der bromhaltige Stoff ist giftig – und vom Bundesrat als gefährlicher Abfall eingestuft worden. Das hat Auswirkungen: Entsprechende Abfälle dürfen nur noch gesondert verbrannt werden, dafür sind spezielle Zertifikate erforderlich. Weil die wenigsten Müllentsorger diese haben, verweigern sowohl öffentliche als auch gewerbliche Betreiber in der Regel die Annahme.

HBCD ist in neuen Dämmstoffen eigentlich nicht mehr enthalten. Doch weil die optische Unterscheidung schwierig ist, wird auch HBCD-freies Polystyrol meist nicht angenommen. Otto Koblinger und seine Mitstreiter sind mit ihren Schnittabfällen bei der Abfallverwertungsgesellschaft des Kreises (AVL) abgeblitzt. Diese ist zwar zur Annahme von privaten Abfällen verpflichtet, nimmt aber seit Oktober keine gewerblichen Polystyrol-Dämmstoffe mehr an. Und Koblingers Abfälle gelten als gewerblich. Dafür, darauf verweist ein Sprecher des Umweltministeriums, sei die private Entsorgungswirtschaft zuständig. Doch auch da hatten die Münchinger Hausbauer keinen Erfolg. „Die Entsorgung ist derzeit schwierig bis gar nicht möglich“, sagt Ralf Müller, Geschäftsführer des Entsorgers Schaal und Müller in Ditzingen. „Die meisten lagern es selbst.“

Keine Einigung unter Umweltministern

Seit der Einstufung von HBCD-haltigem Polystyrol als gefährlicher Abfall gibt es bundesweit Probleme. Der Zentralverband des Deutschen Dachdeckerhandwerks hat früh vor Engpässen bei der Dämmstoff-Entsorgung gewarnt. Viele Dachdecker, so der Geschäftsführer Ulrich Marx, blieben auf den Dämmstoffen sitzen. In der Folge gebe es teils Kurzarbeit, Entlassungen, und „zahlreiche Baustopps“. Bei einer Umweltminister-Konferenz vorige Woche stand eine Rückstufung des Stoffs als ungefährlich im Raum, verständigen konnten sich die Minister nicht. Das Land Baden-Württemberg hat mit einem Erlass vor Kurzem erlaubt, dass HBCD-Abfälle doch mit anderen Materialien gemischt verbrannt werden dürfen. Damit versucht das Ministerium auch, ein spezifisches Problem zu lösen. Denn die gesonderte Verbrennung ist in vielen Anlagen nicht möglich: Polystyrolen entwickelt eine so große Hitzen, auf die die meisten Anlagen nicht ausgelegt sind. Zwar ist im Land weiterhin eine Genehmigung nötig, wenn HBCD verbrannt wird. Eine übergangsweise Annahme der Abfälle, bis diese da ist, würde das Umweltministerium laut Frank Lorho jedoch dulden. Dem Ministerium geht es seinem Sprecher zufolge vielmehr darum, dass dokumentiert wird, was mit dem giftigen Abfall passiert.

Eleni Auer glaubt nicht, dass den Entsorgern an dem nötigen Zertifikat überhaupt gelegen ist. Die Pressesprecherin der Landesvereinigung Bauwirtschaft Baden-Württemberg sagt, man habe den Erlass des Ministeriums zunächst begrüßt – „bis wir gemerkt haben, dass die Betreiber der Müllverbrennungsanlagen die Genehmigung gar nicht beantragen möchten“. Schließlich handele es sich um eine Sondermüll-Verbrennung, was in der Öffentlichkeit ein „heikles Thema“ sei, und die Debatte darüber „politisch nicht gewollt“. Nach den Angaben der Landesvereinigung Bauwirtschaft ist die Entsorgung von Polystyrol-Dämmstoffen nur in einer Sondermüll-Verbrennungsanlage bei Ulm möglich – sie hat das Zertifikat beantragt.

Preise steigen auf bis zu 1700 Euro pro Tonne

Die Preise für die fachgerechte Entsorgung steigen derweil exorbitant. Statt bislang rund 200 Euro pro Tonne, schätzt die Landesvereinigung Bauwirtschaft, werden nun 1700 Euro und mehr für die Beseitigung der Dämmabfälle verlangt. Auch für Otto Koblinger dürfte die Entsorgung seiner Abfälle teuer werden. Der Hersteller, so Koblinger, habe angeboten, die Dämmreste zurückzunehmen und bei sich zu lagern. Gegen eine „höhere Gebühr“.

HBCD, kurz für Hexabromcyclododecan, ist ein bromhaltiges Kohlenwasserstoffmolekül. Der Stoff wurde lange als Flammschutzmittel in Polystyrol-Dämmstoffen verwendet, die besser unter dem Markennamen Styropor bekannt sind.

Im Jahr 2013 wurde HBCD im Rahmen der sogenannten Stockholm-Konvention, einem internationalen Übereinkommen über Schadstoffe, als schwer abbaubar eingestuft. Seit diesem März dürfen Produkte, die mehr als 0,1 Prozent HBCD enthalten, in der Europäischen Union nicht mehr hergestellt oder in Umlauf gebracht werden. Seit dem 30. September gelten die Stoffe als gefährliche Abfälle.

Auf die Umwelt hat HBCD teils schwerwiegende Auswirkungen. Laut dem Umweltbundesamt reichert sich der giftige Stoff in Lebewesen an. In Fischen, Meeressäugern oder Raubvögeln in arktischen Regionen wurde der Stoff nachgewiesen. Es wird vor Gesundheitsproblemen bei Säuglingen durch Muttermilch gewarnt. Auch in Lebensmitteln ist HBCD teilweise nachzuweisen – wenn auch in geringen Konzentrationen.

HBCD wurde vor allem in Polystyrol-Dämmstoffen für Gebäude eingesetzt. Teilweise kommt es auch in Verpackungskunststoffen vor, etwa für Elektrogeräte. In geringen Mengen wird der Stoff zur Beschichtung von Vorhängen oder Möbelbezügen verwendet.