Ein Projekt, angestoßen von der Allgäuerin Margareta Riese, ermöglicht den Menschen in Uganda Bildung und ein geregeltes Einkommen.

Wangen - Nakiyaga ist ein Dorf unweit des Viktoriasees. In der Mitte steht ein großer Baum, unter dessen Krone sich die Einwohner den Schatten mit den Ziegen teilen. Es gibt eine Krankenstation, eine Grundschule, zwei Barbiere, eine Schneiderin und eine Art Supermarkt in einer kioskgroßen, fensterlosen Baracke. Der Laden öffnet, wenn die Sonne untergeht. "Tagsüber hat keiner Zeit zum Einkaufen, da müssen alle arbeiten", sagt Jenny Namukasa. Sie trifft sich abends oft mit ihrer Freundin, der Schneiderin. Dann sitzen sie mit ihren Babys in der winzigen Nähwerkstatt und trinken im Schummerlicht ein Bier. Ein paar Funzeln sind die einzigen Lichtquellen. Strom gibt es keinen in der Hütte.

 

Die 30-jährige Jenny Namukasa ist Stricklehrerin an der St. Helen Vocational Training School, nur ein paar Meter vom Dorfplatz entfernt. Die Schule ist ein Vorzeigeprojekt für ganz Uganda. Hier lernen junge Frauen im Alter von 16 bis 21 in zweieinhalb Jahren Handarbeiten, Englisch, den Umgang mit Computern und alles, was eine moderne Frau in Uganda sonst noch gut gebrauchen kann. Zurzeit gibt es 60 Schülerinnen.

Afrikanische Frauen sind für die Betreuung der Kinder sowie deren medizinische Versorgung zuständig. Sie erbringen den größten Teil der Arbeitsleistung, sie müssen in vielen Fällen die Familie allein versorgen und sie tragen die Hauptverantwortung. Für die Entwicklungshilfe gelten Frauen daher als besonders förderungswürdig und Projekte wie die St. Helen School als besonders wichtig - auch wenn die 63-jährige Margaret Nababi, Schulleiterin und Lehrerin für das Fach Gesundheitswesen, das Ganze etwas pragmatischer sieht: "Frauen lassen sich einfach besser kontrollieren."

Armut, Bildungsnot, mangelnde Gesundheitsversorgung

Die St. Helen School sowie die benachbarte Entbindungs- und Krankenstation St. Margaret's Maternity Centre werden von Spenden aus Deutschland getragen. Dafür sorgt seit vielen Jahren Margareta Riese aus Wangen, nach der die Entbindungsstation auch benannt wurde.

1987 besuchte sie zusammen mit ihrem Mann zum ersten Mal das zentralafrikanische Land. Die Eindrücke ließen das Ehepaar nicht mehr in Ruhe schlafen: Armut, Bildungsnot, mangelnde Gesundheitsversorgung, eigentlich war in allen Bereichen dringend Hilfe notwendig.

Zurück im Allgäu organisierte Riese gleich einen Weihnachtsstand für Uganda, mit Hilfe von Freundinnen und dem Verkauf selbst gebastelter Waren kamen die ersten Spenden zusammen - bis heute steht Riese jedes Jahr an ihren Adventsständen. Nach den Weihnachtsmärkten folgten Spendenbriefe, Garagenflohmärkte und die Vermittlung von Patenschaften. Damit verbrachte Margareta Riese einen großen Teil der Freizeit, die ihr neben der beruflichen Tätigkeit im elterlichen Korbladen und später in der Stadtverwaltung von Wangen noch blieb. "Ohne meinen Mann hätte ich das alles nicht geschafft", sagt sie.

Bundesverdienstkreuz für Riese

Aus der ersten finanziellen Unterstützung für den Auf- und Ausbau der Kranken- und Entbindungsstation in Nakiyaga entwickelten sich im Lauf der Jahre viele weitere Projekte in Uganda, vom Betrieb eines Waisenhauses über die Errichtung von Solaranlagen bis zum Bau von Brunnen. Inzwischen werden auch Praktikanten aus Wangen an die St. Helen School vermittelt. In den vergangenen zwanzig Jahren gelang es Margareta Riese, 400.000 Euro Spenden zu sammeln und in Uganda zu investieren. Im September diesen Jahres hat sie für ihr Engagement das Bundesverdienstkreuz am Bande erhalten.

Nur alle paar Jahre besucht das Ehepaar Riese die Projekte vor Ort in Afrika. Mehr gebe das Budget nicht her, das wegen der laufenden Kosten für Personal und Gebäude immer wieder schnell erschöpft sei, sagt die 63-Jährige. Der Staat Uganda beteiligt sich nicht an den Kosten.

Das Land kann durchaus Erfolge aufweisen. So ist die Zahl der Menschen unterhalb der Armutsgrenze zwischen 1992 und 2007 von 56 auf 31 Prozent gesunken. Die Alphabetisierungsrate liegt bei etwa 70 Prozent, die ersten zwei Grundschuljahre sind gebührenfrei. Doch sind die Herausforderungen, die das Land zu bewältigen hat, noch immer riesig: schlecht ausgebildete und schlecht bezahlte Lehrer unterrichten in überfüllten Klassen. Die qualitativ besseren privaten und kirchlichen Schulen sind für viele Eltern unbezahlbar.

Ein Land am Tropf der westlichen Industriestaaten

Die Bevölkerung wächst pro Jahr um mehr als drei Prozent. Fast die Hälfte der Einwohner sind jünger als 15, zugleich zählt Uganda zu den ärmsten Ländern der Welt. Eine schwere Hypothek. Seit zwei Jahrzehnten ist die Abhängigkeit Ugandas von ausländischer Hilfe unverändert hoch. Die Hälfte des ugandischen Budgets wird über diesen Weg abgedeckt. Ein Land am Tropf der westlichen Industriestaaten.

Für die Situation der "Perle Afrikas" gibt es viele Gründe: Überbevölkerung, Kriege, Aids, Korruption. "Und das vorhandene Geld fließt in das Militär", sagt Margaret Nababi, die als gelernte Hebamme auch das St. Margaret's Maternity Center leitet.

Im Vorraum der Entbindungsstation hängt ein Plakat mit vielen Abbildungen von Pflanzen wie Mango, Artemisia, Knoblauch, Papaya. Nababi hat einen Kurs in Pflanzenheilkunde besucht, dieses Wissen gibt sie nun an die Patientinnen weiter. Im Gebäude lärmt ein Generator, eine Deckenlampe wirft ihr fahles Licht in das Behandlungszimmer, die Fensterläden sind geschlossen. "Es soll keiner reinschauen können, wenn ich die Frauen untersuche", sagt sie. Im Hinterzimmer steht ein Bett, auf dem sich die Patientinnen ausruhen können. Nach der Geburt stattet Nababi ihnen Hausbesuche ab. Für ihre Tätigkeit bekommt sie kein Gehalt vom ugandischen Staat: "Die Regierung zahlt nichts, nur die obligatorischen Impfungen für die Schwangeren. Die Geburten müssen die Frauen selbst bezahlen, ich berate, untersuche und impfe umsonst." Ohne das Geld aus Deutschland wäre ihre Arbeit undenkbar.

Ist Entwicklungshilfe sinnvoll?

Zementiert Entwicklungshilfe, wie oft kritisiert, die Abhängigkeit vom Westen? Ist sie, angesichts der Tatsache, dass sich die Situation in vielen afrikanischen Ländern wie Uganda im Laufe der vergangenen Jahre kaum grundlegend verbessert hat, überhaupt sinnvoll? "Man kann ja die Menschen nicht einfach medizinisch unterversorgt lassen, um das Bevölkerungswachstum zu stoppen", sagt Margareta Riese. Sie setzt auf Bildung und Aufklärung - und glaubt, dass die Saat, die derzeit gelegt werde, später viele Früchte trägt. "Irgendwann einmal werden wir unsere Projekte sich selbst überlassen können."

Insgesamt 73 Brunnen wurden in der Diözese Masaka westlich des Viktoriasees, zu der auch Nakiyaga gehört, über das Projekt des Ehepaars Riese bereits finanziert. Drei weitere sind zurzeit im Bau. Durch das saubere Wasser sei, so Riese, die Krankheitsrate um 50 Prozent gesunken. Neben der Klinik und der Schule errichteten die Rieses zudem zwei Läden in der Stadt Masaka, unweit von Nakiyaga. Im Eva Shop etwa verkauft die 25-jährige Namata Lukyamuzi, eine ehemalige Absolventin der St.Helen School, Schulutensilien aller Art: Bleistifte, Büchermappen, aber auch Pullover, die in der St.Helen School produziert wurden. Es gibt einen Kopierer im Eva Shop, und als Zusatzerwerb verfasst Natama Lukyamuzi Briefe für Leute, die nicht schreiben können. Über den Laden wird ein Teil der Lehrergehälter in Nakiyaga erwirtschaftet. "So schließt sich dann wieder der Kreis", sagt Margareta Riese.

Den Lehrlingen der St. Helen Vocational School eröffnen sich durch die Ausbildung ganz neue Chancen. Die 19-jährige Hadija möchte nach der Schule in andere Länder gehen - "nach Kenia oder Tansania, oder noch lieber nach Europa". Die 21-jährige Sylvia hat den Wunsch, nach der Schule wieder auf den im Viktoriasee gelegenen Ssese Inseln zu leben, um dort als Schneiderin ihr Geld zu verdienen. Für diese Ziele sitzen die jungen Frauen bis spät in den Abend an den etwas altmodischen Strick- und Nähmaschinen und üben. Auch sonntags finden die Lehrerin Jenny Namukasa immer eine Beschäftigung für ihre Zöglinge. "Damit sie nicht auf dumme Gedanken kommen."