Der Egotronic-Sänger Torsun Burkardt ist beim Konzert seiner Band im Keller Klub schon zu Beginn betrunken. Dann geht's los: Bass, Stagediving, das volle Programm. Und am Ende ist klar: Party und Haltung funktionieren, auch gemeinsam.

Stuttgart - "Stuttgart ist ein bisschen so wie Prenzlauer Berg, voller Schwaben.“ Torsun Burkardt, Frontmann und Agitator der Berliner Electro-Urgesteine Egotronic, kichert. „Tut mir leid, es ist das erste Mal auf dieser Tour, dass ich schon am Anfang betrunken bin.“

 

Zwischen politischem Electro-Punk und Hymnen für den schwarzen Block bleibt im gut besuchten Keller Klub Zeit für ein augenzwinkerndes Liebesbekenntnis an Äffle und Pferdle und das schwäbische Naturell. Doch dann ist wieder gut. Auch wenn die auf Krawall gebürsteten Nummern mit stumpfem Techno-Beat mittlerweile zum Kanon jeder Indie-Disco gehören, ist das linke Selbstverständnis der Band um ihren Frontmann allgegenwärtig. „Raven gegen Deutschland“, der lautstark skandierte Untergrundhit, bringt die Grundhaltung auf den Punkt.

Kritiker und Gegner von Egotronic greifen dennoch oft zu kurz, wenn sie die Gruppe um Burkhardt als „antideutsch“ ins linksradikale Spektrum einordnen, ohne ihr gehöriges Maß an Einsatz gegen rechtsextremistische Strömungen zu würdigen. Man unterstützt die Initiative „I can’t relax in Deutschland“, sicher, aber das machen Tocotronic auch. Bei den Konzerten reißt das überraschend junge Publikum, optisch angesiedelt irgendwo zwischen buntem Rave, Hipster-Disco und klassischem Punk, zwar naturgemäß die linke Faust hoch, ist textsicher, freut sich aber mit überschwänglicher Euphorie vor allem über das, was die Band auch mitgebracht hat, nämlich „Bass, Bass, Bass“.

Angesagt, weil Audiolith

Egotronic sind angesagt. Sie veröffentlichen beim ultrahippen Hamburger Electro-Label Audiolith - so wie Frittenbude oder Supershirt. Die 2001 gegründete Formation gehört zur Speerspitze des politischen Electro-Punks in Deutschland. Vom Gameboy- und C64-lastigen Klang der Vorgänger ein stückweit losgelöst, wartet das aktuelle Egotronic-Album „Die Natur ist der Feind“ mit einem überaus organischen Sound auf. Wie Andreas Dorau, den Torsun Burkhardt im Vorfeld des Stuttgarter Konzerts gemeinsam mit Punk-Legende Jens Rachut als größtes musikalisches Genie aller Zeiten und Vorbild würdigte, schlagen Egotronic mit Neubesetzung am Synthesizer und verstärktem Schagzeug- und Gitarreneinsatz den Weg zum volleren Bandsound an.

Egotronic mache jetzt „Schrammel-Punk“, lässt schon Support Act Der Flug wissen. Live bekommt die musikalische Verjüngungskur mit den Neumitgliedern Kilian (Synthesizer), Chrü (Gitarre) und Reuschi (Schlagzeug) auch älteren Songs der Band überaus gut. „Rannte der Sonne hinterher“ beschwört den ursprünglichen Geist des Punks und eine pogende Menge.

Als kurz darauf der beste Moment des aktuellen Albums und die gnadenlose Abrechnung mit den Südtiroler Blut-und-Boden-Rockern von Frei.Wild folgt, gibt es kein Halten mehr. „Jedes Land bekommt die Band, die es verdient. Und Deutschland hat Frei.Wild verdient, solange hier jeden zweiten Tag rechte Anschläge gegen Asylanten geschehen, mehr als die Hälfte davon sind Brandanschläge. Da ist es ganz okay, wenn ausgerechnet Frei.Wild für den Echo nominiert werden. Das ist geradezu sinnbildlich.“

Tote Crackhuren, weiße Hasen

Burkhardt redet sich förmlich in Rage, dann schallen die Stimmen der Berliner Techno-Punk-Gören The Toten Crackhuren im Kofferraum aus den Boxen. „Das ist die Band der Vollidioten.“ Die Meute pogt, eine zerrissene Deutschlandflagge wird hochgehalten, bevor „Tolerante Nazis“ noch einmal die Attitüde der Band unterstreicht. Das Stück sei für diejenigen geschrieben, die meinen, man könne Frei.Wild und Egotronic gleichzeitig mögen, erklärt Burkardt und wirkt für einen kurzen Augenblick konsterniert. Dann darf wieder ausgelassen gefeiert werden zu den satten Bässen des Kollektivs.

Nach Momenten des Innehaltens und der antifaschistischen Manifestation beweist Egotronic eindrucksvoll, warum man auch in den alternativen Discos stattfindet. Mit dem „Follow the white rabbit“-Aufkleber auf der Brust solidarisiert sich Burkhardt mit der Clubszene des Kessels, während Gitarrist Chrü im Hot Water Musis-Shirt die alte Punktugend hochhält. Es darf getanzt werden und macht Spaß. Der zusätzliche Bandeinschlag verstärkt das nur und wird auch vom Musikexpress als Argument aufgeführt, warum „Die Natur ist dein Feind“ "das reifste, das überlegteste Album von Egotronic“ sei.

Als das reguläre Set mit dem Superpunk-Cover „Die Bismarck“ und zahlreichen Stage-Divern angemessen endet, erreicht die Stimmung ihren Höhepunkt. Hier dominieren Gitarre und Schlagzeug.

Bismarck versenkt, Ziel erreicht. Haltung und Party funktionieren zusammen.