EP-Release: Liladillet von Nuria Noba aus Stuttgart „Viel zu weiß für ’ne Arab und viel zu farbig für dich“

Jasmin Kleinheins aka Nuria Noba vor ihrem EP-Release-Konzert im White Noise in Stuttgart. Foto: Lichtgut/Christoph Schmidt

Jasmin Kleinheins aka Nuria Noba feierte an diesem Wochenende den EP-Release ihres Debütalbums im White Noise in Stuttgart. Wir haben die 25-jährige Musikerin zum Gespräch getroffen.

Stadtkind: Tanja Simoncev (tan)

„Sie erinnert mich an Sabrina Setlur, die in die heutige Zeit gebeamt wurde“, hört man einen Gast im Publikum sagen, als Jasmin bei ihrem Song „327“ ein paar coole Rap-Parts auspackt. Spannend, denn die 25-Jährige, die in einem Dorf bei Schorndorf groß wurde, studiert eigentlich Jazz-Gesang an der Musikhochschule in Stuttgart.

 
EP-Release-Konzert von Nuria Noba schafft besondere Stimmung. Foto: Lichtgut/Christoph Schmidt

Doch ihr Album „Liladillet“ ist eben auch ein gelungener Mix aus Hip-Hop, Pop und Jazz, der mindestens Lust macht, mitzurappen. Die Melodien sind leicht, lassen einen lächelnd und tänzelnd den Klängen lauschen, der Vibe im White Noise macht gute Laune. Und das, obwohl auf der Debüt-EP der Sängerin schwere (Herzens)-Themen verarbeitet wurden.

Die Sehnsucht nach einer Vaterfigur

„Es geht um den Verlust meines Vaters, der zurück in sein Heimatland Ägypten ging, als ich drei Jahre alt war. Ich spreche über den dadurch verursachten Schmerz und die Sehnsucht nach einer Vaterfigur“, lässt uns Jasmin bereits geraume Zeit vor dem Release-Konzert wissen.

Ein Screening hatte den EP-Release-Abend schließlich eröffnet, bei dem das Video zum Lead-Track „Hotel Zeitlos“ gezeigt wurde. „Zwanzig Jahre hatte ich keinen Kontakt zu meinem Papa und habe auch nichts von ihm gehört. Und der Track ist entstanden, als ich ihn in Frankfurt wiedergetroffen und ihm ganz viele Fragen gestellt habe.“

Das dazugehörige Musikvideo würde ihn als jungen Mann zeigen, der nach Deutschland kam und hier nie richtig ankam. „Wir haben versucht, diesen inneren Konflikt, diese Zerrissenheit darzustellen.“

In der Nähe von Schorndorf als so ziemlich einzige Person mit postmigrantischem Hintergrund aufgewachsen zu sein, hat letztendlich dem Gefühlschaos, das in Jasmin lange herrschte, die Krone aufgesetzt. „ Ich beschreibe auf Liladilett auch mein Gefühl von Zugehörigkeit, aber auch von Entfremdung, Ausgrenzung und dem Nicht-Dazugehören.“

Deshalb habe sich Jasmin mit der einzigen Araberin in ihrem Umfeld verbunden, auch wenn sie sich damit nicht wirklich wohlgefühlt habe. „Aber mir wurde eben auch schnell klar, hier werden Teile von mir gemocht – das kannte ich vorher nicht. Sonst war ich oft zu laut, zu viel, zu touchy.“

In Städten wie Leipzig und Berlin habe sich die 25-Jährige dann später viel wohler gefühlt, „weil ich gemerkt habe, dass ich nicht mehr das Exotischste bin, was es auf dem Markt gibt.“ Und trotzdem sei man irgendwie zu deutsch und vielleicht auch nicht laut genug usw. für andere Leute mit Migrationsgeschichte. Dies verarbeitet die Musikerin unter anderem auch mit einer Line aus dem Song „327“: „Viel zu weiß für ’ne Arab, viel zu farbig für dich!“

Zeitgeist, Zeitreise, Hotel Zeitlos

Und gerade diese schmerzvollen Erlebnisse, die mit Identitätsfragen und dem Verarbeiten derer einhergehen, treffen den Nerv der Zeit. Wie geht man mit dem Verlust des eigenen Vaters um? Was macht das mit einem? Wie ist es, weder richtig deutsch, noch richtig „ausländisch“ zu sein? Wo gehört man hin? Und letztendlich auch: Wer ist man?

Spätestens seit „Black lifes matter“ ist auch in Deutschland eine Bewegung entstanden, die vieles in Frage stellt und nicht mehr alles akzeptiert. Es wird endlich über Alltagsrassismus, Zugehörigkeit und Ausgrenzung gesprochen, mittlerweile aber auch oft erzwungen und von einer merkwürdigen Distanz aus, etwa von Menschen, die davon nicht wirklich betroffen seien, findet Jasmin.

Ein Raum für Austausch

Die Sängerin hatte nicht unbedingt eine Party zum EP-Release geplant, doch die Veranstaltungsreihe „Make Noise“ im White Noise sprach sie direkt an. Denn beide haben das gleiche Ziel: Sie wollen einen Raum für Austausch und Repräsentation diverser, wichtiger und zeitgemäßer Themen schaffen.

Die Veranstaltungsreihe „Make Noise“ im White Noise in Stuttgart bietet Raum für Austausch. Foto: Lichtgut/Christoph Schmidt

„Während des Kreation-Prozesses und beim Entstehen der EP habe ich oft gedacht, wer bin ich, darüber zu schreiben!?“, erinnert sich Jasmin, die sich in immer mehr Kollektiven sozial engagiert.

Denn ihre Texte würden das Thema „Postmigration“ stark aufgreifen, aber seien letztendlich „nur“ eine Facette von einem inneren Verarbeitungsprozess. „Es geht nämlich auch um den Umgang mit mir selbst, den ich angefangen habe zu pflegen, gezwungenermaßen, durch einen psychischem Zustand, in dem ich ganz lange war.“

Herkunft, Zugehörigkeit und Verlust

Durch Hilfe von außen habe sie gelernt, damit umzugehen. „Und dieser Umgang beinhaltet, mich von dem was da in mir ist, was sich schmerzvoll anfühlt und chaotisch anmutet, nicht abzuwenden und ehrlich in mich hinein zu spüren.“

So seien dann eben auch die Themen Herkunft, Zugehörigkeit, Verlust, Ausgrenzung – hier in Deutschland, ein weirdes Gefühl – aufgekommen. „Und anstatt, dass es in Form von Wut, wie bei vielen anderen, ausbricht, ist es ganz tief in mir implodiert.“

Gefühle verstoffwechseln

Durch den Zugang zur Musik habe Jasmin gemerkt, was für ein Heilungsprozess durch das, wie sie selbst sagt, Verstoffwechseln der Gefühle in Texte und Klänge und Produktion eingeleitet und gleichzeitig sehr liebevoll begleitet wurde, von Menschen in ihrem Umfeld, die das Ganze mitgetragen haben.

Und so erklärt sich auch, warum die musikalische Stuttgarterin ihren EP-Release in einen interaktiven Rahmen setzen wollte. „Es hätte sich nicht stimmig angefühlt, die Musik einfach nur so zu veröffentlichen.

Und weil ich gerade durch dieses „Spoken Word“ gemerkt habe, dass ich die Menschen dadurch noch besser erreiche, kann ich sie dadurch vielleicht auf einer anderen Ebene berühren und möglicherweise auch inspirieren.“

Hier in die EP „Liladilett“ reinhören >>>

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